4: Lucas' Meinung

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Castor:

Gut gelaunt schlendere ich neben Cody her, der sich nach seinem Gespräch mit Lucas wieder beruhigt hat.
Manchmal ist er echt eine Pfeife, aber ich verstehe seine Angst auch irgendwie.
Mein offizielles Outing war ja auch erst ein Jahr nach dem vor meiner größten Vertrauensperson.

Flashback:

Damals war ich so nervös wie noch nie in meinem Leben. Mir war schon lange bewusst, was mit mir los war, doch ich hatte es einfach nicht akzeptieren wollen. Ich musste wissen, was mein bester Freund davon hielt.
Es war Filmefreitag und ich saß bei Lucas auf der Couch, während er uns Süßigkeiten aus der Küche holte.
Bevor er den Film anmachte, hielt ich ihn in der Bewegung auf und nahm ihm die Fernbedienung ab.
„Ich muss dich was fragen, Lulu", meinte ich schüchtern wie selten.
Er sah mich aus hochgezogenen Augenbrauen an. „Was ist denn los?" Einfühlsam legte er die Hand auf meinen Oberarm.
Ich schaffte es nicht ihm in die Augen zu sehen, obwohl ich die Frage nur beiläufig stellen wollte. „Was hältst du von Schwulen?"

Im Gegensatz zu mir war er damals schon 16 gewesen, also schon etwas reifer als ich mit meinen 15. Es mochte nur ein Jahr sein, doch in dieser Lebensphase war das ein großer Reifeunterschied.
ER zog verwirrt die Augenbrauen zusammen.
„Nichts", sagte er dann als hielt er meine Frage für blöd.
Ich schluckte und hörte zu, wie er weiter sprach.
„Was soll ich denn von ihnen halten? Du kannst mich auch fragen, wie ich Schwarze finde oder Mexikaner oder Heteros. Am Ende ist jeder gleich"

Ich legte den Kopf zur Seite und musterte ihn.
Er schien meine Verwunderung zu bemerken, denn er lachte leicht. „Die Leute, die sich für die Meinungen anderer interessieren, sind diese, die so eine Einteilung machen. Nach schwarz, weiß, Hetero, Homo, Asiate, Afrikaner und so weiter. Aber eigentlich ist es doch egal, wo man herkommt, auf was man steht oder woran man glaubt. Jeder Mensch ist gleich, aber doch unterschiedlich. Und weißt du, was es ist, das jeden Menschen einzigartig macht?"
Ich schüttelte den Kopf und wartete auf seine Erklärung. „Seine Gefühle. Niemand fühlt genau das gleiche wie der andere, jeder hat eigene Gedanken und Emotionen. Ob du nun von anderen in diese Schublade gesteckt wirst oder in eine andere. Du solltest mich also nicht fragen, was ich von Schwulen halte, weil sie schwul sind, sondern mir einen vor die Nase setzen und Fragen, was ich von seiner Persönlichkeit halte. Das ist es nämlich, worauf es ankommt. Alles andere sind nur Labels, um es für die Menschen einfacher zu machen, die andere nicht verstehen können, weil sie so eine eingeschränkte Weltsicht haben"
Dann legte er einen Arm um mich und zog mich zu sich. „Können wir dann jetzt den Film schauen oder willst du mir endlich sagen, dass du auf Männer stehst?"

Geschockt sah ich zu ihm hoch.
So ziemlich alles an diesem Gespräch hatte mich verwundert, doch das war nur der Höhepunkt.

Lucas lachte über meinen Gesichtsausdruck und druckte mich näher an sich. „Denkst du denn, ich merke nicht, dass du Frauen ganz anders anschaust als ich? Wenn ich auf die Tritten schaue, schaust du auf die Haare, wenn ich auf den Arsch schaue, schaust du auf ihren Style. Und wenn ich bei einem Typen sage, schau mal, der hält sich für den Größten, was machst du? Du starrst ihm auf den Hintern. Ich bin doch nicht blöd, Cassy"
Als er mir zum Abschluss einen Kuss auf die Stirn gab und durch meine Locken wuschelte, begann ich erleichtert zu lächeln und bekam Tränen in den Augen.
Er sah es natürlich sofort, doch er deute es falsch. „Oh shit, hab ich jetzt was Falsches gesagt? Sorry, ich hab nicht nachgedacht."
Schnell wischte er mir die Tränen weg, aber es kamen immer neue nach.
Nicht vor Trauer, sondern vor Erleichterung. Ich war so froh, dass mein bester Freund war wie er war, dass er mich akzeptierte und keine Unterschiede machte. Es änderte rein gar nichts an seinem Verhalten. Zumindest nicht deswegen.

Flashback ende.

Aber so tolerant, wie er sich damals gegeben hat, ist er nicht.
Als ich dann nämlich begonnen habe, meine Sexualität ausleben zu wollen, hat er sich immer weiter zurückgezogen und wir haben uns entzweit. Aber ganz ehrlich, er ist selbst schuld, wenn er denkt ohne mich leben zu können. Soll er es doch versuchen.

„Wo ist denn dein Grinsen hin?" Cody steht plötzlich vor mir.
Ich habe kaum mitbekommen, wie wir in die Cafeteria gegangen sind, doch jetzt stehen wir darin und suchen nach Elisa und Marisa.
„Weiß nicht, hab's auf dem Weg hierhin irgendwo verloren", meine ich zu Cody, während wir auf unseren Stammplatz zu gehen.
Als wir unser Tablette abstellen, kommt er zu mir herum und fängt an in meinen Hosentaschen herum zu tasten. „Na dann suchen wir es mal", sagt er.
Im nächsten Moment beginnt er mich durchzukitzeln und ich halte mich an ihm fest, um nicht umzufallen.
Ich bin mehr als nur empfindlich und Cody weiß das natürlich.
Lachend flehe ich ihn an, erbarmen zu haben.

Irgendwann gibt er tatsächlich nach und hält mich nur noch fest, damit ich nicht umfalle, weil ich so schwer atme.
„Da ist es ja", meint Cody mit Blick auf meine grinsenden Lippen.
Kopfschüttelnd lasse ich ihn los und setze mich auf den Stuhl.
Er lässt sich mir gegenüber nieder. „Ich dachte schon die Apokalypse steht bevor, weil du aufgehört hast mit deinem Dauergrinsen herumzulaufen" Er streckt sich, um mir durch die Haare zu wuscheln.
Das machen irgendwie alle immer bei mir, doch bei Lucas damals hat es mich am wenigsten gestört.
Ich stoße seine Hand weg. „Du machst meine Frisur kaputt", beschwere ich mich.
Er lacht. „Hattest du denn jemals eine?"
Augenverdrehend widme ich mich meinem Essen, bis Elisa und Marisa zu uns kommen und der Schultag weiter geht.

Liebe ist auch nur eine Sucht (boyxboy)Where stories live. Discover now