Kapitel 45

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Ich stand wie eine Salzsäule in dem Gang des Supermarktes und wartete auf mein Weckerklingeln, während ich zwischen Luke, Jack und Alex hin und her starrte. Die ganze Situation war so bizarr, dass ich nicht wagte mich zu bewegen oder Jack zu erklären, weshalb ich hier war. Aber eines hatte Priorität. Ich musste meinen Klienten finden. Das war meine Mission und die Mission stand immer an erster Stelle.

Deshalb hüpfte ich jetzt so hoch ich konnte und versuchte über die Regale zu spähen.

"Maglen, willst du uns nicht vielleicht erklären, was du da machst?", fragte mein Bruder und sah mich an, als wäre ich von den Toten auferstanden. "Aber das ist doch klar.", tönte es von Jack. "Sie ist eine Lügnerin und hält sich nicht an Abmachungen. Sie ist mit euch hier und hat euch vor uns gewarnt!" Ich schnappte nach Luft. Obwohl mir klar war, dass diese Schlussfolgerung auf der Hand lag, verletzten mich Jacks Worte doch. Wer wird schon gerne eine Lügnerin genannt? Zu allem Überfluss mischte sich auch noch Alex in die Konversation ein. "Wer sagt uns, dass sie nicht mit euch da ist?", gab er einen Kommentar ab und ich hätte ihm, wenn er nicht drei Meter von mir entfernt gestanen hätte sofort eine gescheuert. Sein Glück, dass er sich nicht näher an mich herantraute. Vermutlich strahlte mein Körper eine enorme Hitze ab, da ich innerlich kochte und deshalb kam niemand näher.

Jacks Schlussfolgerung lag nahe und erschien mir, wenn ich versuchte es aus seinem Blickwinkel zu sehen sogar plausibel, obwohl ich es immer noch anmaßend fand, aber bei Alex' Kommentar zog sich mein Herz zusammen. Wie konnte er mich auch eine Verräterin nennen. Wir standen auf der selben Seite obwohl, wie ich gleich darauf feststellte, ich momentan eigentlich auf keiner Seite stand. Ohne es wirklich bewusst bemerkt zu haben war mein Blick zu meinem Bruder gewandert. Als wünschte ich mir unbewusst Beistand von ihm. Und dieser Beistand kam.

"Ich glaube ihr habt sie nicht mehr alle!", schnaubte er wütend und erntete von beiden Seiten verachtende Blicke. "Hört gefälligst beide auf meine Schwester eine Lügnerin zu nennen!" Ich hätte ihn abknutschen können. In diesem Moment wurde mir mal wieder bewusst, wie sehr ich meinen idiotischen Bruder vermisste. Und seinen genau gleichaussehenden Kumpanen ebenso. Er stellte sich einen Schritt zu mir. Endlich! Ich zog an seinem Ärmel. "Luke, ich bin auf einer Mission ich suche einen seriös aussehenden Mann, der...", versuchte ich zu erklären, aber mal wieder wollte jemand seinen unqualifizierten Kommentar abgeben.

"Maglen, das kauft dir hier keiner ab!", höhnte Jack und ging einen Schritt auf Alex zu, der bestätigend nickte und in Abwehrhaltung ging, als er Jacks Absichten durchschaute. "Feiert ihr mal euer arrangiertes Familienwiedersehen. Wir regeln den Rest.", erklärte dieser gerade und schlug nach Alex, der sich wegduckte und gleichzeitig versuchte Jack zu verletzen.

"Seid ihr komplett bescheuert?", brüllte Luke und ging dazwischen. "Das hier ist noch öffentliches Gelände. Hier sind Zivilisten! Es ist verboten hier zu kämpfen ihr Trottel." Alex und Jack sahen sich an. In beiden Augen loderte Hass auf den anderen und das Verlangen, über ihn zu siegen. Ohne das einer der drei es merkte war ich um die Ecke gewichen und verschwunden. Ich dachte nur an meine Mission. Finde den Mann. Alles andere ist egal. Unwichtig. Ich lief von Gang zu Gang und spähte um jede Ecke. Bei jeder Fehlanzeige steigerte ich mein Tempo, um noch mehr unabgesuchte Fläche überblicken zu können.

Schließlich stand ich vor dem Ausgang und sah mich verwirrt um. Wo war er? Die einzige Möglichkeit schien der Lieferantenausgang zu sein, den wir auch immer benutzten, aber wieso sollte der Mann wissen, wo dieser sich befand und noch viel wichtiger war, warum verspürte er den unverständlichen Drang durch eine Horde kämpfender Schüler zu spazieren?

Aber da es die einzige Möglichkeit war, die noch übrig blieb musste es die Wahrheit sein. Ich hatte einen Entschluss gefasst und lief nun um den Supermarkt über den Parkplatz herum zum Lieferantenausgang. Aus den Augenwinkeln nahm ich drei schwarze Transporter wahr, aber ich war viel zu beschäftigt mit dem unauffindbaren Mann, sodass ich ihnen nicht weiter Beachtung schenkte.

Vor dem Ausgang stellte ich mich seitwärts hin und wartete, bis jemand herauskam. Erst als sich ein großes Knäul aus Menschen fluchend und beschimpfend durch den Ausgang drängte erkannte ich, dass es möglicherweise keine gute Idee gewesen war. Vor allem nicht, wenn man beachtete, dass sowohl Jack als auch Alex mich für den Gegner hielten. FBI gegen CIA und ich war mittendrin und wusste nicht wo ich hingehören sollte. In diesem ganzen durcheinander hörte ich verschiedene Stimmen, die meinen Namen riefen und mich ungläubig ansahen.

Ich stöhnte auf. Die ganze Situation entwickelte sich nicht gerade zu meinen Gunsten. Als letztes hinter der Menschenmasse sah ich die kleine Kessie stehen, die auf das ganze Chaos herunterblickte und als sie mich sah fröhlich winkte. Meine Rettung. Kessie war viel zu klein um alles zu Überblicken und hatte nicht mal den leisesten Verdacht, dass ich ihr Gegner sein könnte. Ich machte einen Schritt auf sie zu. "Kessie! Hör zu, du musst mir helfen! Ich suche...", begann ich und wurde von etwas oder besser jemandem in die Seite gerammt. "Lass Kessie in Ruhe Maglen. Du willst doch nur den Code ändern!", zischte eine wütende Stimme an meinem Ohr und schlug mir in die Magengrube, sodass ich hinfiel. "Verdammt Alex ich suche jemanden. Ich bin auf einer verfluchten Mission!", versuchte ich ihm alles zu erklären, aber er hatte daran kein großes Interessen.

"Suchst du den Mann?", fragte Kessies Stimme hinter Alex und ihr Kopf lugte an ihm vorbei. Ich zeigte einen erhobenen Daumen und wehrte gleichzeitig Alex Fäuste ab. Ich kippte ihn mit mir auf die Seite, sodass wir beide kurz Zeit brauchten, um wieder aufzustehen. Währenddessen sagte ich: "Kessie, lass ihn nicht entkommen okay?" Die kleine nickte und stellte sich mit dem Rücken zum Parkplatz in die Tür. Ich beschloss mich ganz auf sie zu verlassen und mich erstmal auf Alex zu konzentrieren. Wir tänzelten umeinander herum, als würden wir fechten und ich blendete Kessie aus. Ein kurzer Schlagabtausch folgte und danach noch einer.

"Alex, jetzt hör mir doch mal zu! Ich. Bin. Nicht. Mit. Dem. CIA. Hier. Okay?", versuchte ich es erneut und riskierte einen kurzen Blick zu Kessie, um die Dringlichkeit mich aus diesem Kampf zu entlassen zu unterstreichen. Und dann stockte ich. Kessie war nicht mehr da. Alex nutzte meine Ablenkung und brachte mich zum taumeln. Ohne mich irgendwie um ihn zu kümmern ging ich durch  die Tür und jetzt erkannte ich meinen Fehler. Die schwarzen Lieferwagen. Einer für das FBI und einer für das CIA. Aber wem gehörte der Dritte?

Das war der Moment, indem ich aufgab. Ich sah wie in Zeitlupe, wie Kessie von dem Mann unter dem Arm geklemmt in den dritten Wagen verfrachtet wurde. Ihre Augen waren weit aufgerissen und sie schrie meinen Namen und dann stieß Alex mit voller Wucht neben mich und ich fiel. Mein Blick war auf Kessie gerichtet und ich hob einen Arm, um auf sie zeigen. Um Alex auf sie aufmerksam zu machen. Aber ich schaffte es nicht mehr und spürte nur noch die Wucht des Aufpralls auf den Steinen.

Young Spys: Auge in AugeWhere stories live. Discover now