Kapitel 38

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Eine Busfahrt und einen Latte Macchiato später saß ich in der angenehmen Maisonne auf einer Parkbank und ließ meinen Blick über die Spaziergänger schweifen. Ich hielt Ausschau noch etwas verdächtigem oder dem Typen von gestern. Aber wie so oft musste ich nicht erst nach dem Schicksal suchen, denn es kam direkt zu mir.

"Ist hier frei?", fragte mich ein ungefähr 18-jähriges Mädchen mit schwarz gefärbten Haaren und ziemlich auffälligem Lidstrich. Sie war ein klassisches Gothic-Girl, aber im Gegensatz zu den anderen Gothicleuten wirkte es bei ihr echt und nicht aufgesetzt.

Ich nickte und deutete neben mich. "Klar, setz dich." Sie nahm Platz und wir starrten eine Weile vorbeigehende Leute an. Dann beschloss sie ein Gespräch zu beginnen. "Du siehst ziemlich jung aus, um alleine hier im Park zu sitzen.", sagte sie. "Ich bin 16.", antwortete ich und hatte mich automatisch wie immer ein Jahr älter gemacht. Sie guckte erstaunt und ich schluckte.

"Wie bist du denn dann gestern ins Sound of the Night gekommen? Da darf man doch erst ab 17 rein.", fragte sie neugierig und kniff ihre Augen etwas zusammen, während sie mich forschend musterte. Verdammt, da hatte mir wohl jemand eine Falle gestellt. Ich blickte das Mädchen genauso forschend zurück an.

"Ich äh...", stotterte ich und versuchte mir möglichst schnell eine glaubwürdige Ausrede einfallen zu lassen. "Ich ähm...hatte neulich Geburtstag. Ich sage immer noch automatisch 16, aber eigentlich bin ich 17. Man braucht halt seine Zeit, um sich umzugewöhnen.", plapperte ich möglichst ungezwungen und zuckte die Schultern. Innerlich war ich so angespannt wie eine Hochspannungsleitung.

"Ah...ja klar. Auf jeden Fall habe ich dich mit Brad gesehen.", sagte immer noch misstrauisch. Wer zum Teufel war Brad? Ein Date mit Angelina und Brad hatte ich bisher noch nicht gehabt und ich kannte keinen...achso! Die Zeit, die ich braucht um mir klarzuwerden wer Brad ist war exakt die Zeit, die das Mädchen brauchte um mich an meinem Handgelenkt zu packen und mich unauffällig immer näher zu sich zu ziehen.

Ich schluckte, das roch ganz sicher nach einer Menge Ärger. Sie beugte sich ganz nah zu mir vor und taxierte mich mit einem ziemlich angsteinflößenden Blick, sodass ich mich wirklich zusammenreißen musste, damit ich nicht meine Abwehrhaltung einnahm. Die Devise lautete das kleine verängstigte Mädchen zu spielen, dass keine Ahnung hatte, was in der Weltgeschichte vorging und dabei wollte ich auch bleiben.

"Ich sage dir das nur einmal, verstanden?", sagte sie sehr und sehr bestimmt und ich nickte schnell. Sie holte noch einmal tief und schaute sich in alle Richtungen um, bevor sie anfing zu sprechen.

"Wenn du anfängst Brad zu vertrauen begibst du dich in eine andere Welt. In unsere Welt und glaub mir, dass ist kein Zuckerschlecken. Du wirkst nicht so wie das typische Großstadtgirl, also sei gefälligst vorsichtig, bei dem was du tust und halt deine kleinen Finger aus Angelegenheiten, die dich nichts angehen raus, sonst verbrennst du sie dir und glaub mir, diese Narben möchtest du nicht für den Rest deines Leben tragen."

Sie drückte meine Handgelenke jetzt fester zusammen und wirkte so ernst, dass mir wirklich etwas mulmig zu Mute wurde. "Bist du einmal dabei, dann gibt es kein zurück. Sei dir darüber im klaren, bevor die hier irgendetwas machst okay?"

Ich nickte und hoffte verängstigt zu wirken, aber in Wirklichkeit war ich nur verwirrt. Was sollte das? Stalkte dieses Mädchen mich etwa? Jetzt stand sie auf und war anscheinend mit ihrer Ansage fertig, aber bevor sie ging wandte sie sich noch einmal um.

"Ach und ich an deiner Stelle würde mich noch ein bisschen älter machen, dass geben deine Schminkkünste doch locker her!", schlaumeierte sie und verschwand. Immer noch leicht verwirrt nippte ich an meinem inzwischen kalt gewordenem Latte Macchiato.

Was war das denn? Ganz zweifelsfrei hatte mich dieses Mädchen gerade vor dieser Szene gewarnt, aber warum? Woher kannte sie mich und wieso hatte sie das getan? Ihr könnte unmöglich so viel an mir liegen, dass sie um mein Wohlergehen besorgt war. Grübelnd saß ich noch einige Zeit auf der Bank bis mir etwas Neues auffiel. Das schien mein Glückstag zu sein. Als erstes hatte ich dieses Mädchen getroffen und jetzt sah ich auch noch Brad wieder.

Er kam glücklicherweise nicht an mir vorbei, sonst hätte ich bestimmt noch einiges zu erklären gehabt und müsste mit ihm reden, bevor ich mir die Worte des Mädchens das tausendste Mal durch den Kopf hätte gehen lassen können.

Als er abbog und aus meinem Blickfeld verschwand stand ich auf und folgte ihm so unauffällig es ging. Er folgte den Schildern, die etwas außerhalb des Stadtzentrums führten. Unter ihnen waren 'Stadtbibliothek', 'Universität', 'Bahnhof' und 'Kulturzentrum'.  Wohin wollte er bloß?

Nach weiteren fünf Minuten war der Fall klar. Er ging in Richtung Bahnhof und zu meinem unglück fing er an sich je näher wir dem Ziel kamen umzudrehen und suchende Blicke über seine Schulter zu werfen.

Ich ließ den Abstand zwischen uns immer größer werden und warf unterwegs meinen leeren Becher in eine Mülltonne. Dann holte ich um nicht aufzufallen mein Handy aus der Tasche und starrte immer wieder während des Gehens auf den Bildschirm.

Dann waren wir am Bahnhof und irgendwann musste mich mein Glück selbstverständlich verlassen. Warum es das genau in diesem Moment tat, wusste ich nicht und ich hätte mit dem Glück gerne eine Diskussion geführt, wann es da zu sein hatte und wann nicht.

Das Ganze fing damit an, dass auf einmal jede Menge Busse anhielten und ich Mühe hatte den Typen -Brad meine ich natürlich- im Auge zu behalten, während ich auf mein Handy linste und gleichzeitig versuchte die Straße zu überqueren ohne von einem Bus überfahren zu werden.

Dummerweise hatte wohl eine von diesen verrückten Katzengroßmüttern beschlossen mit ihrer Katze zu verreisen und eine besonders unvorsichtige Familie hatte beschlossen einen ihrer drei Hunde kurzerhand abzuleinen, damit er ihnen nicht ständig zwischen den Füßen herumtollte und sie in Ruhe die Koffer ziehen und gleichzeitig den Kinderbuggy schieben konnte.

Als erstes sah der Hund die Katze und rannte sogleich los. Von Panik gepackt machte sich der Familienvater auf den Weg um ihn zu stoppen und ließ den ersten angleinten Hund los. Die Mutter versuchte ihn zu stoppen, aber gleichzeitig fing das Kind im Kinderbuggy an zu schreien, weil die Mutter über einen Stein gefahren war. Ebenfalls von Panik gefasst drückte sie der älteren Schwester die zweite Hundeleine und den Koffer in die Hand und schnappte sich den kleinen Schreihals.

Ab diesem Punkt war ich in den Vorfall vor mir involviert, denn als Hündchen Nr. 2 dem Familienvater hinterherstürmte und die Mutter mit dem Schreihals dem Hündchen Nr. 2 hinterherstürmte beschloss Hündchen Nr. 3 dem Rest der Familie zu folgen und zog die Schwester mitsamt dem Kinderbuggy, den Koffern und dem ganzen Mädchen fort.

Natürlich in meine Richtung, sodass ich, auf mein Handy starrend, geradewegs über die Leine stolperte und auf den Koffer fiel, den ich zu Boden riss. Unglücklicherweise hatte die Schwester ihren Fuß noch genau an dieser Stelle und der Fuß der armen wurde unter dem Gewicht des Koffers und mir begraben.

So war die nächste am weinen und Hund Nr. 3 auch über alle Berge. Brad hatte natürlich wie ungefähr alle am Bahnhof den Vorfall beobachtet und starrte das Szenario faziniert an. Oder nein, er starrte wohl eher mich faziniert an.

Und ich völlig aus dem Konzept schrie "Haltet den Hund." und sprang kurzerhand in den nächsten Bus, der praktischerweise gerade parkte und verkroch mich schnell nach ganz hinten. Im Sprung in den Bus kreischte ich noch eine Entschuldigung, aber ich war mir nicht sicher, ob das noch ankam, denn einer der Hunde war dabei die Katzenoma mitsamt der Katze umzureißen.

Völlig geschockt fuhr ich mit dem Bus durch die halbe Stadt und dann, nachdem ich mich beruhigt hatte erwischte ich den Bus nach Hause.

Eines war mir klar, am Dienstag musste ich  dem Typen -namens Brad- einiges erklären und am besten fing ich jetzt schon damit an, mir etwas Gutes auszudenken.

So nach längerer Zeit mal wieder ein Kapitel :)

Young Spys: Auge in AugeWhere stories live. Discover now