Teil 39

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Deine Hand fuhr sachte und behutsam über meinen Kopf und du zwirbeltest eine meiner Haarsträhnen zwischen deinen Fingern.
"Der Film beginnt, willst du ihn nicht schauen, oder warum ruht dein Blick auf mir?", fragtest du mit breitem Grinsen.
"Bilde dir ja nichts ein, Kont", sagte ich und wandte meine Aufmerksamkeit dem Fernseher zu, der jetzt das Titelmenü von einer schlechten Komödie zeigte. "Drück doch auf Play", murmelte ich und zog die Decke ein Stück höher.
"Nicht so stürmisch, kleine Blume, du brichst dir noch ein Blatt." Ich funkelte dich so böse wie möglich an, aber du lachtest nur und wähltest die richtige Sprache aus. Als der Vorspann ablief seufzte ich tief und lehnte mich gegen deinen Oberkörper und ich spürte wie sich deine Arme um mich schlangen. "Das-"
"Nein", unterbrach ich dich, "sag jetzt nichts, es ist gerade so schön." Dein Griff um mich verstärkte sich noch ein klein wenig, nur um sich dann wieder zu lockern.

Der Film war gut bei der Hälfte, als ich ein leichtes Knurren verspürte.
"Hat da jemand Hunger?", du lachtest und drücktest auf Pause.
"Gar nicht", ich verschränkte die Arme vor der Brust.
"Ich schaue mal, was man hier im Hotel bestellen kann."
"Nein!", platzte es aus mir heraus.
Du sahst mich stirnrunzelnd an: "Was?"
"Ich will nicht, dass du nur hier bleibst, weil ich wieder einen Anfall haben könnte."
Deine Mundwinkel sackten nach unten: "Ich bleibe hier, weil ich gerne bei dir bin, Elli. Und ja, ich mache mir auch darum Sorgen, aber das ist nicht der Hauptgrund." Mein Blick glitt zur Decke und ich zwirbelte das Ende der Decke zwischen meinen Fingern. "Elli", deine Hand hob meinen Kopf so an, dass ich dir in die Augen schauen musste, "weißt du eigentlich, dass du mir alles bedeutest? Dass du meine Sonne bist, auch wenn der Regen scheint? Dass du und ich wie Feuer und Flamme sind, weil es das eine ohne das andere nicht gibt?"
"Du bist schnulzig", entfuhr es mir und deine Lippen landeten wieder auf meinen. Als ich mich dich von dir löste, sah ich das rebellische Grinsen und deine Haare lagen auf deiner Stirn. "Sag so etwas Kitschiges nie wieder", ich lachte in mich hinein.
"Da ist sie wieder." Ich versuchte dich gespielt böse anzusehen, doch du zogst einen Schmollmund und das sah einfach viel zu niedlich aus.
"Hör auf damit!", ich boxte dir leicht gegen die Schulter.
"Ach, warum?", du setztest einen Hundewelpen Blick auf.
"Idiot!"
"Zicke!"
"Arsch!"
"Ich geh jetzt mal etwas zu essen holen."
"Lass dir ruhig Zeit", sagte ich und wandte den Blick ab.
"Sicher, Prinzessin", du wolltest mich schon wieder küssen, doch ich drehte mich weg, sodass du nur meine Wange erwischtest und deine Zunge streifte sie ebenfalls kurz.
"Ih, Jack! Wie alt bist du?"
Du standst lachend auf: "Alt genug."

Nachdem du gegangen warst, war es wieder so unglaublich still, und ich hatte Angst. Ich weiß nicht warum, aber es fühlte sich einfach falsch an, wenn du nicht bei mir warst. Klingt das irgendwie logisch? Meine Gedanken kreisten immer wieder darum, was ich jetzt ohne dich wäre. Ein Glasscherbenhaufen wahrscheinlich. Du hast mich wieder zusammengebaut, Jack. Das konnte vorher niemand.

Meine Augen wanderten nervös vom Fenster zur Tür und dann wieder zurück zur Uhr. Du warst erst seit zehn Minuten weg, aber es kam mir vor, als wären es Tage, wenn nicht sogar Wochen. Ich blieb mit meinem Blick an der Schublade hängen, in der sich meine Zigaretten befanden. Nervös knüllte ich die Bettdecke in meiner Hand zusammen, wo bliebst du nur? Ich suchte das Zimmer ab, Fenster, Tür, Uhr, Schublade. Es ging nicht, ich sprang auf. Mit schnellen Bewegungen war das Fenster geöffnet und die Kippe angezündet. Das mir bekannte Gefühl des giftigen Rauchs beruhigte mich wieder. Jack war nur etwas zu essen holen, redete ich mir ein. Lachend blies ich den Rauch durch die Luft und sah zu, wie sich bei jedem Stück der Stummel orange verfärbte, um dann wieder zu verblassen. Ich war wie in Trance, sodass ich gar nicht bemerkte, wie du die Tür öffnetest.
"Elli?" Vor lauter Schreck ließ ich das letzte Stück der Zigarette fallen und atmete den Rauch in die Richtung von dir aus.
"Das ging aber schnell", stotterte ich. Mit einem lautem Knall schmisst du die Tür hinter dir zu und ließt die Tüten fallen, die du eben noch in der Hand gehalten hattest. Du gingst auf mich zu und ich blieb wie angewurzelt stehen, weil dein Blick mich abschreckte. Das Fenster schlosst du und das Bild von dem Wald wackelte, jetzt sahst du mich ausdruckslos an. Ich war wie gelähmt und mein Mund wie versiegelt.
So einen Schmerz hatte ich noch nie in dem Gesicht eines Menschen gesehen.
"Warum?", hauchtest du leise mit Tränen in den Augen. Ich sah zu Boden, hattest du etwas anderes von mir erwartet, Jack? Innerlich schrie ich, doch blieb stumm. "Elli!", du rütteltest an meinen Schultern. "Du willst sterben, oder? Du willst mich allein hier zurücklassen, habe ich recht? Ich bin dir doch scheißegal, stimmt's? Du gibst einen Kack auf die Menschen um dich herum, weil du ja das Opfer bist! Weil du ja diejenige mit der unheilbaren Krankheit bist! Weißt du was? Es dreht sich verdammt nochmal nicht alles nur um dich! Ich habe auch Gefühle, Elli! Ich bin auch krank, ich verletze mich selbst! Ich habe auch keine Familie mehr, die sich um mich kümmert! Verdammte Scheiße, Elli, ich habe nur noch dich. Du bist die einzige Person, die mich noch am Leben hält und du machst dich kaputt, sag mal, bist du dir egal? Bin ich dir egal?", deine Stimme dröhnte in meinem Kopf. Meine Schultern sackten in sich zusammen und ich weinte, ich weinte und weinte und weinte, ich bekam keinen Ton heraus, außer diesem lauten unüberhörbarem Schluchzen.

Einsam fällt Sterben leichterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt