Teil 20

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Ich schloss die Augen und achtete auf deine Atmung: "Wir atmen im Takt."
Du sahst lächelnd auf mich herab: "Wahrscheinlich schlagen unsere Herzen auch gleich."
"Schnulzig", ich kuschelte mich an deine Brust und du strichst mir über den Kopf.
"Ich bin froh, dass wir nicht mehr an diesem hässlichen Ort sind", flüstertest du.
"Ich auch, die Klinik war so langweilig."
"Ich meine nicht die Klinik oder die Psychiatrie."
"Sondern?"
"Diese Welt von Regeln und Bestimmungen."
"Ich verstehe, was du meinst", ich legte meinen Arm um dich.
"Umso genauer man sich alles anschaut, desto hässlicher wird es, finde ich." Ich nickte nur. Es war mittlerweile komplett dunkel. Ich hörte nur ein paar Grillen zirpen und hin und wieder Kuhgeräusche.
"Ich bin kein Landtyp", murmelte ich.
Du lachtest: "Was bist du denn für ein Typ?"
Ich zuckte mit den Schultern: "Ich weiß nur, was ich nicht bin und das hier ist nicht meine Welt."
"Meine auch nicht."
Ich griff nochmal zur Flache und leerte sie fast komplett: "Denkst du, dass es nachts nicht sicherer wäre mit Zügen zu fahren?"
Du begannst augenblicklich zu grinsen: "Willst du etwa weiterfahren?"
"Da wir uns ja gerade beide gestanden haben, dass wir keine Landtypen sind, ja." Du nahmst die Flaschen und die Tüte und halfst mir beim Aufstehen.
Ich musste mich augenblicklich wieder setzen, was dich zum Lachen brachte: "Das Wasser mit Gefühlen löst also auch Gefühle aus."
Ich schlug mir gegen den Kopf: "Ich bin nur zu schnell ausgestanden."
"Ja, klar."
Ich richtete mich langsam auf, konnte aber nicht gerade stehen: "Vielleicht brauche ich eine Gehhilfe."
"Schon zur Stelle, kleine Alkoholikerin."
"Ich bin nicht betrunken."

Also liefen, oder torkelten wir eher mitten in der Nacht über mehrere Felder, um schwarz zu fahren. Lediglich ein paar einzelne Laternen leuchteten uns den Weg zum Bahnhof, wie romantisch. Ich war froh bei dir zu sein, Jack. Bei dir fühlte ich mich nicht wie die Elli, die bald gehen würde und so viel Leid ertragen hat, bei dir fühlte ich mich wie ein Mensch, wie ein normales Mädchen, dass mit ihrem Freund zusammen war.

"Ich hätte gedacht du verträgst mehr", necktest du mich.
"Mehr als du auf jeden Fall, du hast ja gerade mal ein Viertel getrunken." Mir fiel es schwer aufrecht zu gehen und das konnte man an meinem Gang sicherlich erkennen. Wir erreichten den Bahnhof, der eher wie ein schlechter Ort für eine Szene aus einem Horrorfilm aussah.
"In diesem Kaff gibt es ja nicht mal eine Anzeigetafel", du sahst um dich.
"Dann musst du lesen", ich wusste nicht warum, aber ich musste auf einmal kichern. Du sahst mich lachend an, oder hattest du mich ausgelacht? Ich war mir nicht mehr sicher. Dann setzte ich mich einfach hin, nahm auf dem dreckigen mit Kaugummis beklebten Boden Platz und begann die Zigarettenstummel vor mir zu zählen, aber ich kam nie weiter als zehn.
"Elli, da liegen nur zwei Kippen", du wirktest amüsiert.
"Was? Nein."
"Der nächste Zug kommt in einer viertel Stunde", du sahst auf die Uhr, "also um halb."
"Schön."

Dann hast du dich zu mir in den Dreck gesetzt und das fand ich wieder lustig. Du hattest dann irgendwann aufgegeben mir zu erklären, dass nur zwei anstatt zehn Zigaretten vor uns lagen, wahrscheinlich fandest du es süß, dass ich zu viel getrunken hatte, um klar zu denken. Doch ich war nicht komplett weggetreten, Jack, sonst hätte ich mich ja auch nicht an diese besondere Nacht erinnert.

Der Zug kam angerollt und blieb schließlich stehen.
"Komm", du reichtest mir die Hand und ich zog mich daran hoch. Wir waren die Einzigen, die einstiegen und auch sonst wollte hier niemand aussteigen, was ich gut nachvollziehen konnte. Der ICE war ziemlich leer, nur ein Geschäftsmann mit Anzug saß auf einem der Sitze. Wir nahmen mit genug Abstand auf einer Sitzreihe weiter hinten platz.
"Ich bin müde", murmelte ich.
"Dann schlaf, ich bleibe wach."
"Ich will nicht schlafen."
"Warum?"
"Ich will nichts verpassen."
Du grinstest: "Ich wecke dich, falls etwas passiert."
"Ich meine das ernst, ich will nicht schlafen", doch ich gähnte.
"Gute Nacht, Elli. Träum etwas Schönes."
Ich schloss die Augen, da ich sie sowieso nicht mehr aufhalten konnte und habe noch etwas vor mich hingemurmelt: "Jack?"
"Ja?"
"Ich liebe dich", ich kuschelte mich an dich.
"Kann ich das morgen auch nochmal im nüchternen Zustand hören?", du streicheltest mir über die Wange. "Man ist doch ehrlich durch Alkohol", den Rest des Satzes verschluckte ich und schlief dann auch langsam ein.

In dieser Nacht habe ich von uns geträumt, Jack. Wir hatten ein kleines Haus am Rand einer Großstadt und einen riesigen Garten mit Swimmingpool. Ich trug ein wunderschönes Sommerkleid und du ein Tshirt und eine Jeans, die perfekt aufeinander abgestimmt waren. Du hast mich die ganze Zeit so geheimnisvoll angesehen und ich habe versucht dich nicht zu beachten, was mir allerdings nicht gelang. Und dann kam es auf einmal von oben: "Papa, liest du mir etwas vor?" Mein Blick ging zur Treppe, dort stand ein kleines Mädchen, das meine Haarfarbe und deine Augen hatte. Wünschte ich mir das für meine Zukunft? Wollte ich mit dir glücklich sein, Jack? Doch dieser Gedanke würde sowieso keine Rolle spielen, da das hier zu früh enden würde. Aber es endet doch immer zu früh, nicht wahr?

Einsam fällt Sterben leichterWhere stories live. Discover now