Teil 23

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Du tratst aus der Umkleide und ich starrte dich förmlich an.

Was war mit dir passiert, Jack? Und wo war der Junge aus der Psychiatrie geblieben, der angeblich so gefährlich sein sollte? Ehrlich gesagt gefiel mir der Anblick gut, zu gut. Dafür hätte ich mir am liebsten selbst eine Ohrfeige verpasst.

"Warum gaffst du denn so, kleine Blume?", dein Kater aus dem Wunderland Grinsen war wieder zurück.
"Ich gaffe nicht, ich betrachte nur", ich musste selbst über meine dumme Bemerkung lachen, du sahst viel zu gut aus.
"Wenn du nicht meine Freundin wärst, dürftest du das auch nicht."
"Da hatte ich wohl Glück."
"Wie man es nimmt", grinsend verschwandest du wieder hinter dem Vorhang.
Die Verkäuferin von vorhin kam auf mich zu: "Hat der Anzug gepasst?"
Ich setzte eine nachdenkliche Miene auf: "Er war nicht so ganz das, was wir suchen, aber vielleicht wird der zweite besser." Sie nickte und wartete mit mir.

Der zweite Anzug war mit Krawatte. Oh, Jack, wie du dich blamieren würdest. Ich musste mir mein Lachen verkneifen. Auf die Blicke der Mitarbeiterin war ich äußerst gespannt.

"Er braucht immer so lange", sagte ich und genau in diesem Moment wurde der Vorhang geöffnet. Ich riss die Augen auf, als ich sah, dass die Krawatte perfekt saß.

Was hattest du noch alles zu verbergen?

Als du die Verkäuferin erblicktest, sahst du an dir herab und schütteltest den Kopf: "Das war nicht das, was ich mir vorgestellt hatte."
"Soll ich Ihnen noch einen Anzug empfehlen?"
"Ich glaube, das ist nicht nötig, oder Schatz?", ich sah zu dir, doch eigentlich wollte ich nur länger auf deinen Körper schauen, der so perfekt in diesem Anzug aussah.
"Nein, aber vielen Dank für Ihre Hilfe." Das Mädchen nickte und verschwand dann, wahrscheinlich mehr oder weniger erleichtert. "Dir stehen Anzüge."
"Das von dir zu hören ist außergewöhnlich."
Ich zuckte nur mit den Schultern: "Gewöhne dich nicht daran."
"Das wird schwer, kleine Blume." Ich seufzte und machte Anstalten zu gehen, doch du hieltest mich fest und zogst mich an dich. Ich sah mich um, es war keiner in unserer Nähe. "Nach Toiletten sollten auch Umkleiden eingeweiht werden", deine Stimme war mehr ein Flüstern an meinem Ohr.
"Jack, das ist eine ganz blöde Idee."
"Dein Körper sagt da etwas anderes", du zogst mich in die Kabine. Deine Lippen streiften meine und schon wieder verlor ich die Kontrolle.

Immer wieder aufs Neue ließt du mich die Fassung verlieren. Ich habe es nie zugegeben, aber eigentlich habe ich diese Momente zwischen uns geliebt. Ich meine, mit wem könnte man sonst alle Regeln brechen und aus einer Klinik abhauen?

"Für einen Bänker küsst du nicht gerade sehr spießig", stellte ich fest.
Dein Zahnpastalächeln erschien: "Wie küsse ich denn? Kann ja nicht so schlecht sein, so oft wie du es zulässt."
"Idiot. Zieh dich um."
"Bleibst du hier?"
Ich zeigte dir einen Vogel: "Das hier ist offiziell nie passiert." Ich schlich mich wieder in die Krawattenwelt.
"In Ordnung, kleine Blume."
"Woher wusstest du überhaupt, wie man die Krawatte bindet?"
"Du hast doch gesagt, ich soll mir die Abbildung anschauen, und das habe ich getan", du zogst den Vorhang beiseite und standest wieder in Jeans und Pullover vor mir.
"Sag schon."
"Vielleicht habe ich ja ein wenig Erfahrung gehabt."
"Spuck es aus, du Arsch."
"Ich liebe es, wenn du mich so nennst."
Ich schüttelte den Kopf: "Kann man überhaupt mal vernünftig mit dir reden?"
"Seit wann ist Liebe vernünftig?", du hieltest lächelnd mit mir Schritt.
"Du bist so-", mir fiel kein passendes Wort ein.
"Heiß?"
"Selbstverliebt."
Du begannst zu lachen: "Sagen wir, von mir überzeugt, und ich kenne da noch jemanden, der das ist."

Wenn Blicke töten könnten, wärst du jetzt gestorben. Wie konnte so ein selbstverliebter Arsch wie du nur mein Freund sein? Ich muss wohl einen sehr schlechten Geschmack haben.

"Ich ignoriere dich ab jetzt."
"Das hältst du aber nie lange durch, Elli." Dazu sagte ich nichts und trat wieder nach draußen. Gelächter und Menschen umringten mich und ich atmete durch, doch mein Atemzug wurde durch einen heftigen Hustanfall unterbrochen.

Ich hatte auf einmal das Bedürfnis zurück in das Geschäft zu rennen. Dieser Schritt nach draußen beförderte mich in eine andere Welt, in die Realität. Der Anfall war nur eine Erinnerung an meinen näherrückenden Tod und irgendwie begann ich mir Sorgen zu machen. Ich hatte mir nie viel daraus gemacht zu sterben, aber jetzt warst du da, Jack. Früher hätte mein Tod niemanden interessiert, wer sorgte sich schon um eine kranke, kleine Blume? Einsam in einer Klinik zu sterben wäre wahrscheinlich besser gewesen, aber lange nicht so schön.

Einsam fällt Sterben leichterWhere stories live. Discover now