Teil 36

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Nachdem wir das Krankenhaus verlassen hatten, war ich immer noch ein wenig wacklig auf den Füßen und meine Lunge brannte. "Jack, nicht so schnell!", keuchte ich und du bliebst abrupt stehen, um mir zu helfen.
"Tut mir leid, ich will nur nicht daran erinnern werden, wie ich mich gerade noch gefühlt habe, als ich dachte, du wärst tot, deswegen will ich hier so schnell weg wie möglich." Ich nickte nur und stützte mich dann an dir ab. "Wenn ich könnte, würde ich dir jeden Schmerz abnehmen, Elli. Das hast du nicht verdient", du versuchtest zu lächeln, aber es sah einfach nur schrecklich aus, wie du scheitertest.
"Pst", sagte ich und dir traten schon wieder Tränen in die Augen.
Du fuhrst dir durch die Haare und probiertest ruhig zu bleiben: "Warum müssen die besten Menschen immer schon so früh gehen, Elli? Ich will nicht, dass du gehst. Du darfst nicht gehen."
"Hör auf, Jack", meine Stimme klang nur noch wie ein Hauch, weil ich jetzt auch gegen die Tränen ankämpfte.
"Das ist so unfair", du sahst mich an, "Elli, du weinst ja."
"Hör auf, sowas zu sagen, Jack, ich ertrage das nicht."
"Es wird alles gut, ich bin doch da", du nahmst mich in den Arm und ich heulte wie ein kleines Kind deine Schulter voll.

Wie lange standen wir so da? Eine Minute, zwei, drei? Ich konnte es nicht abschätzen, aber egal wie lange es tatsächlich war, für mich war es viel zu kurz.

"Was willst du jetzt gerne tun, Elli?"
Ich starrte dich ungläubig an, alles was ich gerne tun würde, ging nicht, war unmöglich oder konnte in meiner Verfassung auf keinen Fall geschehen: "Ich würde gerne irgendwo hin, wo es warm ist und geschützt, wo ich mich wohlfühle und angenehm sterben kann."
Für einen Bruchteil einer Sekunde sah ich den Schmerz in deinen Augen, aber dann lächeltest du: "Ihr Wunsch sei mir Befehl." Also suchten wir uns in der Nähe ein Hotel und dieses Mal machte ich mir nicht mal Gedanken über die Bezahlung.

Das Einzige, was jetzt noch zählte, waren wir, Jack. Der Rest war mir egal. Ich habe mir so viel wie möglich von dem Ort, an dem ich sterben würde, eingeprägt und die Idee in so einem schlichten Raum zu sterben war irgendwie wunderschön, zu wissen, dass du nicht von meiner Seite weichen würdest, bis zum bitteren Schluss, konnte man nicht beschreiben, zumindest wäre mir kein Wort eingefallen.

"Gefällt es dir?", fragtest du mit unsicherem Blick auf die weiße Wand und den zwei Bildern eines Waldes, die einfach mitten in den Raum gehängt worden waren.
"Es ist perfekt", alles war besser als eine Klinik. Ich legte mich ins Bett und schloss die Augen, und als ich ein paar Stunden später wieder aufwachte, studiertest du gerade irgendeine Erklärung oder Packungsbeilage. "Jack?"
"Ja?"
"Mir ist kalt", ich unterdrückte ein Lächeln.
Und da war es, ein angedeutetes Kater aus dem Wunderland Grinsen: "Ich glaube, da kann ich behilflich sein." Du kamst zu mir und ich kuschelte mich an dich. Deine Arme umschlungen mich mit Leichtigkeit, es war ja auch nicht mehr so viel Elli übrig. Ich gähnte schon wieder, aber fror nicht mehr. "Du kannst ruhig schlafen, kleine Blume."
Ich lächelte: "Ich liebe diesen Spitznamen, Jack."
Du beugtest dich vor, sodass du mein Gesicht sehen konntest: "Was?"
"Du hast schon richtig verstanden", flüsterte ich und zog die Decke noch ein Stück höher.
"Seit wann denn das?", ich musste nicht hinsehen, um zu wissen, dass du ebenfalls lächeltest.
"Eigentlich schon immer."
"Muss ich das verstehen?"
"Weil du ihn ausgesucht hast und nicht jeder so genannt wird, ich schätze, genau deswegen mag ich ihn so."
"Wie könnte man dir auch nur einen gewöhnlichen Spitznamen verpassen?"
Die letzte Kraft, die ich noch hatte, benutzte ich dafür, dir den Ellenbogen gegen die Brust zu rammen: "Arsch!"
"Hey, kleine Blume, das war ein Kompliment."
Ich rollte mit den Augen: "Idiot."
"Weißt du, jede Bezeichnung ist schöner als Arsch oder Idiot, aber ich liebe beide Beleidigungen."
Ich lachte: "Weil ich sie benutze."
"Weil du sie benutzt", du küsstest mich auf den Kopf.
"Muss das sein?"
"Was?", fragtest du erschrocken.
Ich drehte meinen Körper dir gegenüber: "Wenn du mich schon küsst, Jack, Herr Kont, Bruderherz, Arsch und der größte Idiot auf diesem Planeten, den ich glücklicherweise meinen Freund nennen kann, dann mach es verdammt nochmal richtig!"

Du, Jack, eigentlich ist der Tod ja auch nur die Abwesenheit von Liebe. Und solange man liebt, wird diese eine bestimmte Person immer da sein und du bist die. Selbst wenn ich sterbe, werde ich nicht aufhören, dich zu lieben, also werden wir auch nie komplett getrennt sein. Ergibt das irgendeinen Sinn für dich? Für mich auf jeden Fall schon und ich glaube fest daran, dass wir uns irgendwann wieder sehen werden. Nachdem du dein Versprechen gehalten hast und steinalt wirst, ja, genau dann werden wir uns wieder sehen, Jack. Pass auf dich auf, egal wo du bist, versprich mir das.

Einsam fällt Sterben leichterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt