Teil 32

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"Okay, wir sollten jetzt wirklich los", meintest du in einem belustigtem Tonfall.
"Ich war nicht diejenige, die angefangen hat zu küssen", verteidigte ich mich.
Dein Mund verzog sich zu einem unübersehbaren Lächeln: "Stimmt, du hast mich nur beleidigt, das ist viel besser." Ich wollte dich dafür schlagen, aber du warst schneller und wichst meinem kläglichen Versuch aus. "Nächstes Mal vielleicht", lachtest du, "und beleidige mich jetzt nicht, sonst kommen wir hier nie weg." Ich setzte schon an etwas zu sagen, aber schloss den Mund dann wieder. "Komm schon!", du reichtest mir meine Hand und ich ergriff sie.
"Wie willst du hier überhaupt rauskommen?"
"Na durch die Tür, durch die wir auch reingekommen sind, du Dummerchen."
"Und du denkst, sie lassen uns einfach so gehen, ohne zu bezahlen?"
"Vertrau mir doch einfach, Elli."

Seit wann war Vertrauen einfach? Ich meine, wenn ich nicht gefragt hätte, hätte ich nie erfahren, was du getan hast, wer du mal warst.

"Du hast doch gesagt, ich soll dich nicht mehr anlügen und das erwarte ich jetzt auch von dir, Schatz", ich betonte das letzte Wort extra lang.
"Die Suite müsste schon bezahlt sein", sagtest du einfach beiläufig, "aber wir sollten sicherheitshalber jetzt gehen."
"Wie bitte?"
"Du hast schon richtig verstanden."
"Und da bist du dir so sicher, weil?", fragte ich ungläubig.
"Weil ich meinen Eltern egal bin", vollendetest du den Satz.
"Das ergibt doch keinen Sinn, Jack."
"Überleg doch mal, natürlich macht es Sinn. Sie haben die Welt nie über mich aufgeklärt, um den perfekten Schein zu wahren; es gibt nur eine handvoll Leute, die von diesem Ausrutscher wissen."
"Ausrutscher", wiederholte ich.
"Von dem Mord", sagtest du eiskalt, ohne mich anzusehen.
"Von dem Mord", wiederholte ich in der Hoffnung, dass ich es endlich realisieren konnte, aber dem war nicht so.
"Ich wusste, dass du es nicht einfach so aufnehmen würdest", du strichst dir nervös durch die Haare. Ich habe dich einfach angestarrt, nur um dann den Blick abzuwenden.
In meinem Kopf zählte ich bis sechzig und holte dann tief Luft: "Wie wurde bezahlt, du hast doch nur den Namen angegeben."
Dein Lächeln kehrte langsam wieder zurück: "Du musst noch viel lernen, Elli."

Ich konnte nichts dagegen tun, immer wenn ich dich ansah, wurde mir wieder warm ums Herz, Jack. Ich fühlte mich einfach viel zu wohl bei dir.

"Wenn die Suite bezahlt ist, warum können wir dann nicht einfach hierbleiben?", ich fühlte mich nicht gerade in der besten Lage jetzt schon aufzubrechen.
"Meine Eltern werden mittlerweile mitbekommen haben, dass ich nicht mehr in der Psychiatrie bin und wenn sie die Kontodaten überprüfen, werden sie hier als Erstes nach mir suchen." Daran hatte ich gar nicht gedacht, wie konntest du nur bei allem die Übersicht behalten? Du wirktest immer so gefasst und du hattest immer einen Plan.
"Jetzt macht das Sinn", murmelte ich.
"Streng genommen hat es das schon vorher, du hattest es nur noch nicht kapiert." Ich boxte dich und dieses Mal traf ich sogar deine Schulter, was dich zum Lachen brachte: "Überanstreng dich nicht!"
"Arsch."
"An deiner Stelle würde ich langsam aufstehen, wer weiß wie viel Alkohol noch in dir drinnen ist."
"Ha, ha, ha, sehr witzig. Mein Körper ist sowas gewöhnt." Du lehntest dich lässig gegen die Wand, verschränktest die Arme vor der Brust und sahst mich mit einem belustigtem Funkeln in den Augen an. Ich schüttelte den Kopf und richtete mich dann auf. Es drehte sich alles und ich suchte eine Stütze, aber fand keine und dann lag ich wieder in deinen Armen.
"Mir ist schwindelig", flüsterte ich.
"Keine Sorge, ich stütze dich und passe auf dich auf, Elli."

Mehr hörte ich nicht mehr, denn meine Augenlider begannen zu flattern und ich konnte sie nicht mehr offenhalten. Warum war mir nur auf einmal so schlecht geworden? Mein Kreislauf war anscheinend total im Arsch. Mein Körper wurde hochgehoben und weggetragen, aber wohin und von wem konnte ich nicht ausmachen.

Als ich die Augen wieder öffnete, sah ich mich panisch um. Ich saß in einem Zug, vor mir eine Flasche, links neben mir ein Fenster und rechts, ich war erleichtert, du. Deine Augen waren geschlossen und dein Mund leicht geöffnet. Wenn ich daran dachte, wie gut sich deine Lippen auf meinen anfühlten, machte mein Herz einen Sprung. Es war einfach unglaublich süß, dich so zu sehen und dann fiel mir auf, dass du in letzter Zeit eigentlich gar nicht geschlafen hattest, was die tiefen Augenringe nur bestätigten.

Du warst praktisch am Ende deiner Kräfte und hast dich trotzdem um mich gekümmert, Jack. Das macht dich zu einem ganz besonderem Menschen, egal was du früher getan hast, es zählt nur, was du heute bist. Am liebsten hätte ich dich dafür ganz fest gedrückt, aber ich wollte dich auf keinen Fall aufwecken und außerdem war der Anblick auch viel zu schön, um wahr zu sein. Dich so ruhig und entspannt schlafen zu sehen ließ mich augenblicklich auch zur Ruhe kommen und zum ersten Mal hatte ich das Gefühl, es würde alles doch gar nicht so schlimm werden.

Einsam fällt Sterben leichterWhere stories live. Discover now