6{Ich rede viel}

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Nachdem wir mit dem Experiment fertig waren, erklärte ich mich dazu bereit, unsere Materialien wieder wegzuräumen, immerhin hatte ich bei der Durchführung des Experimentes nur tatenlos zugesehen. Also lief ich mit dem wassergefülltem Reagenzglas in den Händen, auf das Spülbecken zu. Mehr als drei Schritte kam ich jedoch nicht weiter. So wie es scheint, stand das Glück heute nicht einmal ein Stückchen auf meiner Seite. Das Mädchen, das mir verklickerte, das Jake zu ihr gehörte, hatte mich so feste angerempelt, dass mir dabei das Reagenzglas zu Boden fiel und ich auf diesem und dem ausgeschütteten Wasser ausrutschte, als ich versuchte mein Gleichgewicht zu halten. Dabei schlug ich mir unbeabsichtigt so feste gegen die Nase, dass es kurz daraufhin anfing in Strömen aus meiner Nase zu bluten. Zumindest hatte ich Glück, dass das Reagenzglas aus Plastik bestand und lediglich davon sprang, anstatt zu zerspringen. Andernfalls hätte man mir wohl möglich Splitter aus dem Po, auf dem ich landete, ziehen müssen.
„Ach du meine Güte, Rachel! Sie gehen am besten direkt zum Schularzt, nicht das es noch eine gebrochene Nase ist. Jake helfen sie ihrer Arbeitspartnerin bitte hoch und begleiten sie sie zum Schularzt." Sollte es so gewesen sein dass, aus welchen Gründen auch immer, nicht alle von diesem kleinen Unfall mitbekommen hatten, dann taten sie es spätestens jetzt. Am liebsten wäre ich gleich hier und jetzt im Erdboden versunken.
„Komm, steh auf!" Mit augenverdrehendem seufzen griff Jake mir unter den Arm und half mir hoch. Es war der Moment, indem ich bemerkt hatte, dass meine weiße Bluse nun völlig durchsichtig war. Natürlich war sie das, schließlich schüttelte das Mädchen ihr ganzes Wasser auf mir aus, als sie mich angerempelt hatte. Wenn mir nicht schon vorher das Gesicht vor schäm rot angelaufen war, dann war es spätestens jetzt, wo so viele Augen auf meiner beigen Spitzenunterwäsche lagen, soweit. Mit meinen Armen verdeckte ich, so gut es ging, den Blick auf meine Oberweite, während Hannah und Claire bereits einige Tücher besorgt hatten und mir diese mitleidend übergaben. Ich bedankte mich bei ihnen und hielt mir die Tücher unter die Nase, um das Blut aufzufangen. Ich versuchte die vielen eindringlichen Blicke zu ignorieren, als mich Jake am Arm hinter sich herzog. Bei dem mörderischem Blick des Mädchens, der ich das Ganze zu verdanken hatte, gelang es mir jedoch nicht wegzuschauen. Wenn Blicke töten könnten, dann wäre ich, wenn es nach ihr ging, längst in Luft aufgelöst. 

„Aua, zieh nicht so!", forderte ich ihn mit zittriger Stimme auf, als wir die Treppen runterliefen.
„Dann lauf halt einen Schritt schneller." Dann ließ er meinen Arm los und lief weiter voraus. Im Erdgeschoss angelangt, verließen wir das Gebäude und liefen quer über den Schulhof. Verwirrt blickte ich um mich.
„Sicher, dass der Schularzt sich dort befindet?" Ich wusste zwar nicht, wo der Schularzt war, aber ich war mir sicher, er müsste hier irgendwo auf dem Schulgelände sein und nicht hinter den Parkplätzen, die wir gerade ansteuerten.
„Ich muss noch schnell etwas holen." Dann hielt er an einem anthrazitfarbenem BMW und zog einen Autoschlüssel aus seiner Hosentasche heraus. Geduldig tippte ich mit dem Fuß auf und ab. Er öffnete die Fahrertür und schloß sie gleich darauf wieder mit einer Zigarettenschachtel in der Hand.
„Wirklich jetzt, ich stehe hier mir blutender Nase und du holst dir erstmal Kippen?", fragte ich ihn mit fassungslosem Blick und hätte am liebsten die Arme vor der Brust verschränkt, hätten die nicht wichtigeres zutun. Das musste ja wohl ein Scherz sein. Als er eine Zigarette und ein Feuerzeug aus der Schachtel zog, blickte er mich für einen Moment so an, als ob er nicht wüsste wo das Problem lege. Nachdem er dann provozierend, die Zigarette langsam zwischen seine Lippen legte, drehte ich mich kopfschüttelnd um. Wenn er mir also nicht zeigen wollte, wo der Schularzt ist, dann werde ich es eben selbst herausfinden müssen. Doch noch bevor ich drei Schritte entfernt war, rief er mich zurück.
„Was, willst du mir etwa doch zeigen, wo der Schularzt ist?", fragte ich gereizt. Genervt verdrehte er die Augen und öffnete die Tür hinter der Fahrertür. Er holte einen Kapuzenpullover hervor und hielt ihn mir hin.
„Was soll ich damit?" Verwirrt verzog ich das Gesicht und blickte von dem Pullover in seiner Hand wieder zu ihm.
„Umziehen, außer natürlich du möchtest deine nasse und blutverschmierte Bluse anbehalten."
Für einen kurzen Moment überlegte ich, ob ich sein Angebot wirklich annehmen sollte, immerhin war es die erste Stunde und ich hatte noch fünf weitere Stunden vor mir.
„Falls es dir hilft, er sollte lang genug sein. Man würde also nicht denken, dass du dir in dem Alter noch in die Hose machst." Belustigt blickte er mich an, als ich einen schockierten Blick über die Schulter warf. Wie hatte ich das nicht bemerken können, immerhin bin ich in der Wasserlache, die sich auf dem Boden gebildet hatte, gelandet.
„Okay, danke!", murmelte ich leise, nachdem ich sicherstellte, dass das Nasenbluten aufgehört hatte und ich die Tücher im Müll entsorgt hatte. Ich lief also wieder auf ihn zu und blieb einen Schritt vor ihm stehen. Als ich nach dem Pullover in seiner Hand greifen wollte, zog er diesen jedoch zurück.
„Willst du das nicht erst ausziehen?" Mit herausforderndem Blick lehnte er sich zurück an sein Auto und zog an der Zigarette in seiner anderen Hand. Das durfte ja wohl nicht wahr sein, warum in aller Welt, sollte ich meine Bluse jetzt und hier, vor ihm ausziehen?
„Ich mein, es ist nicht so, als hätte ich dich nicht bereits in deiner Unterwäsche gesehen." Sein amüsierter Blick fuhr an meinem Körper runter und entgeistert riß ich ihm den Pulli aus der Hand. Mit ebenfalls herausforderndem Blick, zog ich mir den Pullover über den Kopf.
„Ja und das war auch das erste und letzte Mal!", machte ich ihm klar, während ich mir unter dem Pullover die Bluse aufknöpfte. Der amüsierte Blick in seinem Gesicht verflog und seine Augen verengten sich um Haaresbreite. Sein Blick blieb dabei die ganze Zeit über an meinen Augen hängen, als er die Arme vor der Brust verschränkte. Als ich meine Bluse komplett ausgezogen hatte, steckte ich meine Arme durch die Ärmel des Pullovers und blickte ihn mit siegessicherem Grinsen an.
„Also, können wir dann jetzt, wo dein Kippe sowieso schon fertig gebrannt ist?"
Sein überraschter Blick fiel für einige Momente lang, auf die Zigarette in seiner Hand und dann stieß er sich von seinem Auto ab und schnippte die Zigarette zu Boden.

Nachdem wir endlich vor einer Tür mit einem roten Kreuz und der Aufschrift ‚Schularzt' angelangt waren, nahm Doktor Pirelli mich entgegen. Er warf einen genauen Blick auf meine Nase und konnte mir mit sicherem Gewissen bestätigen, dass es meiner Nase gut ging. Erleichtert konnte ich somit ausatmen und kurz darauf das Krankenzimmer verlassen, nachdem er mir das getrocknete Blut aus dem Gesicht entfernte. Auf einem der Stühle im Flur saß Jake und tippte auf seinem Handy rum. Als ich ihm mitteilte, dass wir wieder gehen konnten, blickte er mich ungläubig an.
„Was, du möchtest jetzt schon zurück in den Unterricht, wenn wir die Möglichkeit haben Mrs Forbes Unterricht auszusetzen?" Stumm nickte ich. Immerhin war es meine erste Chemiestunde an dieser Schule und ich wollte wirklich nichts verpassen. Also stand er gezwungenermaßen auf und murmelte ein leises ‚Streber'.
„Sagt Mrs Forbes's Spitzenreiter." Augenverdrehend lief ich weiter und fragte ihn, ob ich ihm den Pulli morgen wiedergeben könnte.
„Nein, behalten ihn. Ich brauch ihn nicht, der lag sowieso die ganze Zeit nur in meinem Auto rum." Er schüttelte den Kopf und zuckte mit den Schultern.

-

Nach der Schule ging ich rauf auf mein Zimmer und legte mich auf mein Bett. Heute war bisher der schlimmste Tag auf dieser Schule und ich war froh, dass er endlich rum war. Allein schon durch den Gedanken, dass mich jemand auf dem Kicker haben könnte, genügte mir um zu wissen, dass es mir vor dem nächsten Tag graute. Ich weiß, dass ich selbst dazu beigetragen hatte, aber manchmal kann ich meine Klappe eben nicht halten und für gewöhnlich machte mir das auch nichts aus. Aber hier habe ich keine beste Freundin mehr hinter meinem Rücken. Frustriert drückte ich den Kopf in mein Kopfkissen. Was ich alles dafür tun würde, um jetzt surfen zu können, mit meinen Freunden und das Ganze hier in New York vergessen.

Ever afterWhere stories live. Discover now