2{Neustart}

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Es war ein komisches und unbeschreibliches Gefühl, das sich da in mir breit machte. So fühlt es sich also an, wenn man weiß, dass man für eine lange Zeit nicht mehr an den Ort zurückkehren kann, den man sein Zuhause genannt hat. An den Ort, an dem man sich so wohl fühlte und alles gehabt hat um glücklich und zufrieden zu sein. Zugegebenermaßen erscheint mir das Ganze noch ziemlich surreal, obwohl nichts darauf hinwies, dass alles bloß ein Traum war. Das ganze Haus war wie leergefegt. Ein allerletztes mal blickte ich mich in meinem leer geräumtem Zimmer um. Es war ungewohnt, mein Zimmer so zusehen und zu wissen, dass es nun soweit war. Ich bin noch nie umgezogen und gerade im Moment, war ich so dankbar dafür gewesen, denn es fühlte sich schrecklich an, alles hinter sich zu lassen. Mein ganzes Leben lang, hatte ich nie den Ort wechseln müssen, ich musste mir nie neue Freunde suchen oder gar ein neues Hobby und jetzt war es soweit. Mit einem leisen seufzen drehte ich mich um und ließ all die Erinnerungen, die Guten sowie die Schlechten, die ich mit diesem Haus verbunden hatte in mich sacken. Meine Familie wartete bereits draußen vor der Tür und Jenny müsste auch jeden Moment hier angelangen. Jetzt befand nur noch ich mich in diesem Haus und ich spürte, wie mir mit jedem Schritt, den ich Richtung Ausgang schreitete, die Tränen in den Augen zu brennen begannen. Jenny stürzte mir unmittelbar in die Arme, als ich draußen bei ihnen angelangt war. Wir hielten uns beide fest in den Armen und unser schluchzen war für einen Moment, das Einzige das zu hören war. Gezwungenermaßen lösten wir uns voneinander und ich wischte mir die Tränen aus dem Gesicht.
„Wir bleiben in Kontakt und ich komme euch so schnell und so oft wie möglich besuchen!"
Ich verkneift es mir, erneut die Tränen fließen zu lassen und hoffte, dass meine Worte nicht nur leere Worte sein würden. Dann stieg ich in das Taxi ein, nachdem mein Koffer verstaut wurde und Mum mich zu sich rief. Vor einigen Stunden, hielt der Umzugswagen vor unserer Tür und wir ließen alle unsere Sachen einladen, bis auf unsere Koffer. Der Umzugswagen war also bereits unterwegs und sollte spätestens morgen Abend in unserem neuen Zuhause angelangen. Leise atmete ich aus und winkte Jenny zu, als das Taxi sich in Bewegung setzte. Wir fuhren an vielen Vororten und Städten vorbei, während mein Blick beinahe die ganze Fahrt über an dem Fenster neben mir hing. Ich schenkte Mum, die auf dem Beifahrer sitz saß, keine Aufmerksamkeit, ihre Worte stießen lediglich an mir ab, denn im Moment war ich nicht in der Lage, mir ihren Optimismus zu geben. Ich wollte viel lieber die letzten Momente hier in mich aufnehmen und machte mir darüber Gedanken, wie ich das Alles vermissen würde. Besonders Jenny würde mir fehlen und die Tatsache, dass ich nicht einfach rausgehen konnte und das Meer sich vor meiner Tür befand, ich könnte nicht einfach Surfen gehen, wenn mir danach war. Aber auch die unzähligen Abende, die wir am Lagerfeuer am Strand verbrachten würde ich vermissen. Jenny, ich und unsere Freundesgruppe, die wir durch das Surfen kennengelernt hatten, wir verbrachten viele Abende am Strand, grillten Marshmallows, beobachteten die Sterne und konnten frei sein.

„Hey komm schon, nicht weinen, in New York gibt's heiße Mädels." Ja, Jason's Worte erreichten mich, anders als Mum's, aber ich nahm es mir raus, auch seine Worte zu ignorieren. Ich mein musste ich wirklich was dazu sagen? Ich wüsste nämlich nicht, was mich daran aufmuntern könnte. Wohl möglich würde mich diese Tatsache auch ein wenig erfreuen, wenn ich auf Frauen stehen würde. Tat ich aber nicht, also blickte ich ohne jegliche Reaktion darauf, weiterhin aus dem Fenster.
„Na gut, heiße Jungs gibt es bestimmt auch." Kopfschüttelnd wandte ich mich vom Fenster ab und blickte genervt rüber zu meinem älteren Bruder.
„Mh, aber wohl möglich sind die nicht so heiß wie ich", setzte er noch dran, aber es war mehr eine Feststellung für ihn selbst. Dann wandte er sich wieder an mich und verkündete mir mit seiner neuen Erkenntnisse, dass ich ruhig weiter weinen sollte. Na gut, ich musste zugeben, dass sich durch seiner blöde Aussage, ein kleines Lächeln um meine Lippen bildete.

-

Als endlich Boardingzeit war, begaben wir uns ins Flugzeug. Das warten hatte sich angefühlt wie eine halbe Ewigkeit und ich wollte diesen Umzug so schnell wie nur möglich hinter mich bringen. Ich setzte mich auf meinen Platz und war ziemlich froh darüber, dass ich am Fenster sitzen durfte. Neben mir saß Jason und neben ihm saß Mum. Sie beide schienen nicht wirklich durch den Umzug aufgewühlt zu sein. Zwar wusste ich, dass beide zumindest die Menschen vermissen würden, die sie zurückgelassen hatten, doch beiden lag annähernd so viel an Florida wie mir. Jason sprach schon lange Zeit davon, Florida zu verlassen sobald er die Schule beendet hatte und nun war er seinem Ziel näher den je, noch bevor er die Schule beendet hatte. Und Mum war ebenfalls darüber erfreut, dass wir Florida verlassen würden. Sie war jetzt 44 Jahre alt und hat ihr ganzes leben lang innerhalb von Florida gelebt.
„Erinnerst du dich noch an Jake? Der der mit mir von der 8. bis zur 10. in eine Klasse ging und dann Umgezogen ist." Einen Moment lang überlegte ich, ob ich ihn wirklich kannte, aber das musste nun etwa drei Jahre her sein.
„Wir waren beide bis jetzt noch nie auf der selben Schule und außerdem hast du deine Freunde nie mit Nachhause genommen. Also nein, kennen tue ich ihn nicht wirklich, aber gut möglich, dass du ihn schon einmal erwähnt hast."
Er dachte für einen kurzen Moment nach und nickte anschließend.
„Stimmt, das war aber Mum's Schuld, sie konnte ihn nicht leiden. Na ja zumindest bin ich mit ihm in Kontakt geblieben und jetzt rate mal, wer auf dieselbe Schule wie er gehen wird? Wir. Ist das nicht cool?« Er beantwortete seine Frage, noch bevor ich darüber nachdenken konnte und ja, es war cool, zumindest für ihn. Wenigstens hatte einer von uns schon Freunde, ohne die Schule besucht zu haben. Das freute mich für Jason, das tat es wirklich und ich wusste auf anhieb, dass er sich jetzt schon wohl in New York fühlte. Vielleicht wird er sich dort auch wohler fühlen, als er es je in Florida tat. Mum verdrehte enttäuscht die Augen und seufzte.
„Hätte ich das gewusst, hätte ich euch ohne Probleme auf einer anderen Schule eingeschrieben." Dann zog sie ihre Schlafmaske runter und stöpselte sich ihre Kopfhörer ein, während Jason sie nachäffte.

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„Ach riecht ihr das Kinder, dieser New Yorker Duft?" Mum reckte den Kopf in die Höhe und atmete dabei voller Euphorie die Luft ein. Sie versuchte immer alles optimistisch zu sehen und alle anderen damit zu beeinflussen, aber ehrlich, das konnte manchmal ziemlich nerven.
„Meinst du das da?" Mit dem Zeigefinger deutete ich auf einen Hund, der gerade dabei war, neben uns sein Geschäft zu verrichten. Jason fand das Ganze, im Gegensatz zu Mum, lustig. Von Mum erntete ich daraufhin einen ernsten Blick.
„Rachel, sei doch nicht so ein Pessimist und sei lieber offen für neues." Das war mir alles noch zu neu, um offen dafür zu sein, also fühlte ich mich keines Weges schlecht dafür. Außerdem wollte ich Florida nicht so einfach wie sie und Jason hinter mir lassen, dafür würde ich mich wohl möglich mehr als nur verachten.
„Fein, wie lange haben wir noch Ferien?", fragte ich also.
„Oh, scheinbar habe ich vergessen das zu erwähnen. Die Schule fängt bereits am Montag an." Ich war mir nicht sicher, ob sie es wirklich bloß vergessen hatte, diese Information an uns weiterzuleiten oder ob sie es absichtlich nach hinten geschoben hatte. Schließlich konnte sie sich denken, dass wir wohl möglich nicht ganz so erfreut darüber sein würden, denn in Florida hatten die Sommerferien erst vor kurzem begonnen. Das heißt, dass wir zwei Tage Zeit hätten, um uns in unserem neuen Zuhause einzuleben, bis die Schule beginnen würde. 
„Ach mach dir nichts draus, Mum besser geht's ja nicht. Ich hoffe es sind auch hübsche Mädels auf unserer Schule." Unglaubwürdig blickte ich rüber zu meinem Bruder, der das Ganze scheinbar wirklich ernst meinte. Wobei er immer derjenige war, der einen halben Nervenzusammenbruch erlitt, sobald die Ferien sich dem Ende neigten. Also wie kann dieser Junge nur so von Freude reden?

Als wir nach einer weiteren Taxifahrt endlich in unserem neuen Zuhause ankamen, überließ Jason mir ohne Wenn und Aber, das Zimmer mit dem Balkon. Es schien ihm wirklich egal zu sein, solange er weg aus Florida war.

Ever afterWhere stories live. Discover now