56{Familiengespräche}

244 5 3
                                    

Diesmal wollte ich alles richtig machen, ich wollte nicht warten bis ich die Dinge einigermaßen verarbeiten konnte, bevor ich auch Mum und Jason von allem erzählte. Denn wozu es das letzte mal geführt hatte, hatte ich noch zu gut in Gedanken. Also erzählte ich Mum und Jason, am nächsten Tag, dass ich mich nun auf die ankommenden Prüfungen konzentrieren wollte und mich weder mit ihnen streiten wollte, noch ihnen aus dem Weg gehen wollte. Ich sagte ihnen, dass ich ihre Entscheidung tolerieren würde, wenn sie sich nicht umentscheiden sollten und bittete sie darum, auch meine zu tolerieren. Dann erwähnte ich, dass ich mich gestern mit Ben getroffen hatte und er mir alles erzählt hatte und wenn es ihr Wunsch war, hätte ich ihnen davon erzählt.

Wie schon erwartet, waren Mum und Jason nicht daran interessiert, sich die Dinge der Ereignisse aus seiner Sicht anzuhören. Mir war es egal, ob sie es wollten oder nicht, die einzige Hauptsache für mich war, dass ich es ihnen zumindest angeboten hatte und dass wir das Thema abgehackt hatten. Mum entschuldigte sich für ihr Verhalten und beteuerte mir wie sehr sie es hasste, wenn wir stritten, dass sie aber so überwältigt von den Informationen war, dass sie nicht klar denken konnte. Ich versicherte ihr, dass alles vergeben und vergessen war. Das entsprach nicht so ganz der Wahrheit, denn vergessen war es nicht. Es hatte mich wirklich sehr verletzt, was sie mir an den Kopf geschmissen hatte und dass ich es war, die auf sie zuging, um die Dinge wieder gerade zu biegen, um diesen Konflikt aus der Welt zu tragen. Aber ich wollte kein großes Ding daraus machen und so behielt ich diesen Part der Wahrheit für mich. Und  hätte ich es nicht getan, dann wüsste ich nicht, wie lange ich darauf gewartet hätte, bis einer von ihnen auf mich zukam, also war es für mich die einzig richtige Entscheidung in dieser Situation, die Dinge eben selbst in die Hand zu nehmen.

Nachdem ich alles mit Mum und Jason geklärt hatte, lief ich rauf auf mein Zimmer und setzte mich an meinen Schreibtisch und lernte den Stoff, den ich aus meinen Biologieunterlagen zusammengefasst hatte. Es war das Fach, für das ich den meisten Zeitaufwand aufbrachte, denn das erste Gespräch mit Ben hatte etwas in mir aufgerüttelt. Natürlich wollte ich nicht, dass er seiner Krankheit erlegt sein würde und diese Hilflosigkeit, die ich urplötzlich verspürte, zu wissen dass ich ihm helfen wollte, es aber nicht konnte, führte mich letztendlich dazu, dass ich nun endlich wusste, wo ich mich in Zukunft sah. Ich wollte Menschen helfen, sie heilen und sie auf dem Weg der Trauer begleiten. Ich wollte für sie kämpfen und ich wollte leben retten, wenn ich schon nicht seins retten konnte, dann wollte ich wenigstens andere vor dem Tode bewahren. Immerhin hatte ich nun eine Last weniger auf den Schultern.

-

Es war Dienstagabend und ich kam erst gerade daheim an, nachdem ich den ganzen Tag mit Hannah und Claire in der Bibliothek verbracht hatte. Kurze Zeit später klopfte es schon an meiner Zimmertür und es war Jason, der sich leise in mein Zimmer schlich, nachdem ich ihn hereingebeten hatte. Neugierig setzte ich mich in meinem Bett auf, als er auf Zehenspitzen zu mir rüber schlich und mir deutete leise zu sein. Er setzte sich zu mir aufs Bett und atmete tief durch, bevor er mir zuflüsterte, dass Mum nichts mitbekommen sollte.
»Ich muss dir was erzählen, Rachel. Ich wollte nicht dass du die Bürde alleine trägst, dich um Ben zu kümmern. Aber es gibt einen guten Grund dafür, warum ich mich dagegen entschieden habe und es tut mir leid, dass ich es dir nicht schon eher erzählt habe.« Jason blickte betrübt zu Boden, während ich mich darauf gefasst machte, noch mehr Geheimnisse zu hören. Für meinen Geschmack waren es zu viele Geheimnisse, die sich zwischen uns auftaten, seitdem wir in New York lebten, auch wenn ich wusste, dass auch ich schuld daran trug. Aber manchmal war es eben besser, wenn man gewisse Dinge verheimlichte, dachte ich mir zumindest.
»Und es tut mir leid, wie ich reagiert hatte. Ich hatte einfach schon versucht damit abzuschließen und nach vorne zu schauen und dann als ich auf dem besten Wege damit war, erfahre ich, dass ich das nicht hätte tun müssen. Aber Rachel ich werde nicht hier sein, um ihm eine Chance geben zu können. Ich hatte schon lange geplant, nach der Schule durch die Welt zu reisen und dann, als ich Ben gefunden hatte und er mich so eiskalt hat abblitzen lassen, hatte ich meinen Entschluss gefasst. Ich möchte weg von hier Rachel, raus aus den Vereinigten Staaten, zumindest für eine Weile. Ich habe schon vieles geplant und es sollte bereits in einem Monat für mich beginnen. Ich wusste nur noch nicht, wie ich das dir und Mum beibringen sollte, ich habe nämlich noch kein Enddatum für meine Reise gesetzt und dann tauchte Ben vor unserer Tür auf und ich war so sauer, weil ich ihm nicht die Gelegenheit geben wollte mir das kaputt zumachen, woran ich so hart gearbeitet hatte. Und ich weiß, das war ganz und gar nicht fair von mir, von dir zu verlangen, dass auch du es gut sein lässt. Ich wollte bloß keinen Grund dafür, meine Pläne über Bord zu schmeißen und dann hast du das mit Ben erzählt und ich war so sauer, weil ich plötzlich nicht mehr wusste, ob ich das wirklich tun sollte. Dabei war ich davor fest entschlossen, dass es das einzig Richtige war, ich war mir so sicher, dass das mit Ben Schicksal gewesen sein musste, damit ich endlich begann meinen Traum in die Hände zu nehmen und das habe ich. Ich habe so viel Zeit und Liebe in die Planung gesteckt, dass ich nicht länger warten möchte, ich möchte es nicht auf unbestimmte Zeit nach hinten verschieben. Ich möchte das Alles erleben, noch bevor ich mich niederlasse, arbeite und eine Familie Gründe. Ich brauche eine Pause von dem Ganzen und deswegen werde ich gehen. Auch wenn mich das zum schlechtesten Sohn macht, dass ich die verbleibende Zeit meines Vaters nicht nutze, um ihn die Chance zu geben, die Dinge wieder gut zu machen. Also verzeih mir, dass ich nicht da sein werde, um wenigstens an deiner Seite zu sein und dass ich dir in den letzten Wochen und Monaten so vieles verheimlicht habe. Ich möchte dass die letzten Erinnerungen, die wir miteinander haben, bevor ich aufbreche und wir uns für eine Weile nicht sehen werden, gute und schöne Erinnerungen sind.«
Das war so mit das Letzte, was ich erwartet hatte. Niemals hätte ich damit gerechnet und eben deshalb viel es mir so schwer, eine Reaktion darauf zu zeigen. Ich war überrumpelt mit so vielen Informationen auf einmal. Natürlich freute ich mich für ihn, dass er seinen Traum nicht wie viele Menschen vor uns, einen Traum sein lässt, sondern die Chance ergreift um ihn zu verwirklichen, aber andererseits war ich traurig, dass wir nur noch einen Monat hatten und ich das erst jetzt erfuhr. Und ich war sauer, sauer auf mich, dass ich ihm die letzten Wochen aus dem Weg ging, nicht ahnend, dass es mit die letzten Wochen für eine lange Zeit sein würde, bevor er für unbestimmte Zeit fortging. Ich hatte nicht geahnt, dass dahinter so viel mehr stecken konnte, warum Jason nicht wollte, dass ich Ben aufsuchte und jetzt endlich verstand ich den wahren Grund und plötzlich konnte ich erst gar nicht mehr sauer auf ihn sein. Selbst wenn ich das Gespräch gestern nicht gesucht hätte, hätte mir seine Erklärung gereicht, damit ich nicht länger wütend auf ihn war.

Und eben weil es mir so schwer viel, die passenden Worte zu formen, schlang ich meine Arme um ihn und drückte ihn so sehr, als ob es das Letzte mal sein würde. Auch wenn wir noch einen Monat Zeit hatten um all die Unstimmigkeiten zwischen uns aus der Welt zu tragen, wollte ich die kommende Zeit viel lieber damit verbringen sie zu genießen.
»Schon gut Jason, ich vergebe dir und ich freue mich für dich, dass du den Mut dazu hast, wegzugehen. Auch wenn du mein Bruder bist, bist du mir keine Rechenschaft schuldig, aber ich bin mir sicher, du triffst die richtige Entscheidung! Wenn du es nicht jetzt tun würdest, dann würdest du wohl erst wieder Zeit dafür haben, wenn du alt und kränklich bist. Und wenn du dir unsicher wärst, ob du gehen solltest oder nicht, möchte ich dass du weißt, dass ich möchte dass du gehst und mit den schönsten Erinnerungen die du sammeln kannst zurückkehrst!«
Jason hatte nicht in Florida, auch wenn wir bis vor einigen Monaten unser ganzes Leben lang dort gewohnt hatten, und auch nicht hier in New York je das Gefühl in mir erweckt, als ob er daheim angekommen wäre und deshalb war ich umso glücklicher zu wissen, dass er diesen Ort finden würde, egal wie weit er entfernt war. Das wünschte ich mir für ihn, dass er diesen Ort fand, an dem er sich angekommen fühlte.
»Danke Rachel, das weiß ich wirklich sehr zu schätzen und ich möchte dass du weißt, dass du mir alles erzählen kannst, egal wie holprig die letzten Monate für uns auch waren. Ab jetzt verspreche ich dir, dass ich keine Geheimnisse mehr vor dir haben werde. Denkst du wir bekommen das wieder hin, so wie früher, keine Geheimnisse mehr zwischen uns?« Jason blickte mich entschlossen an und das machte es mir nur noch schwieriger, mich zu einem Lächeln zu überwinden und den kleinenfingerschwur mit ihm einzugehen.

Wir unterhielten uns noch ewig lange darüber, was er geplant hatte und was er dem Schicksal überlassen wollte. Außerdem war es mir wichtig, dass Jason nicht denselben Fehler begann, den wir in letzter Zeit so oft begonnen hatten. Wir warten zu lange auf den perfekten Moment um wichtige Dinge anzusprechen und ich wollte, dass er nicht noch länger wartete, bis er auch Mum einweihte. Zudem erzählte Jason mir davon, dass er Claire fragen wollte, ob sie ihn begleiten wollte. Er sagte, dass es vielleicht überstürzt klingte, da sie sich noch nicht mal ein Jahr kannten, er sich aber sicher war, dass die beiden sich dadurch nur noch näher kommen würden und er sie dabei haben wollte, wenn sie es denn auch so wollte. Er wollte sie fragen, wenn die ganzen Klausuren rum waren, auch wenn Claire dann sehr wenig Zeit hatte, sich darüber Gedanken zu machen. Er wollte dass sie sich in Ruhe auf die Klausuren vorbereiten konnte, ohne sich Gedanken über eine Entscheidung machen zu müssen. Und wenn sie sich dagegen entscheiden sollte, dann wäre das auch kein Problem für ihn, sagte er. Er könnte warten, wenn sie es denn auch konnte.

Ever afterDonde viven las historias. Descúbrelo ahora