3{Erster Schultag}

1.7K 39 3
                                    

Noch bevor mir mein Wecker, den Start in mein neues Leben verkünden konnte, schaltete ich diesen aus. Immerhin lag ich beinahe die ganze Nacht lang, wach im Bett. Etliche Gedanken schossen mir durch den Kopf, die mich die Nacht über kaum Schlaf holen ließen. Was wäre wenn ich keine Freunde finde oder noch schlimmer wenn sie mich nicht mögen würden? Bisher hatte ich nie auf eine andere Schule wechseln müssen, auf der ich keine einzige Person kannte und am liebsten wäre ich deshalb erst gar nicht aus dem Bett gestiegen. Ich hatte keine Ahnung, wie die Leute hier in New York waren, aber ich hoffte inständig auf das Beste. Auf fiese Leute hatte ich mich nämlich nicht wirklich vorbereitet und wie ich das hätte tun sollen, wusste ich auch nicht. Ich schob all diese Gedanken beiseite und stand endlich auf, um mich für den anstehenden Tag fertig zu machen. Fertig für die Schule, lief ich die Treppen runter und in die Küche. Angemerkt, ich war physisch fertig für die Schule, aber psychisch war ich ganz weit davon entfernt.

„Rachel, sieh dir deinen Bruder an, er freut sich ja richtig auf die Schule. Du solltest dir davon eine Scheibe abschneiden." Mum, die mir gegenüber am Tisch saß, blickte mich bemitleidend an und trank einen Schluck aus ihrem Kaffee. Mein Blick fiel rüber zu Jason, der neben mir saß und freudig auf seinem Handy herum tippte, als er nickend Mum's Worten zustimmte. Anders als er, konnte man kein Fünkchen Freude in meinem Gesicht ausfindig machen.
„Du weißt doch wohl, dass seine Freude für die Schule, spätestens in einer Woche dahin sein wird", richtete ich mich an Mum, die daraufhin stumm nickte, als Jason nicht hinsah. Skeptisch blickte Jason von seinem Handy hoch und überlegte einige Momente.
„Ja, gut möglich, aber das hat jetzt nichts zur Sache. Immerhin versuche ich es zumindest, was du auch tun solltest. Du weißt, wir werden unser letztes Schuljahr, auf dieser Schule verbringen, ob wir wollen oder nicht. Also versuch zumindest einen guten ersten Eindruck zu hinterlassen. Du weißt schon, du bist was du denkst und wenn du mit so einer Einstellung dahin gehst, dann ist es genau das, was sie von dir denken werden." Dann setzte Jason einen Finger an meinem linken Mundwinkel an und den anderen an meinem rechten, ehe er sie nach oben zog und anschließend seinen Daumen hochhielt.
„Sieht schon besser aus!"
Lachend verdrehte ich die Augen und schüttelte den Kopf. Er hatte ja recht, es würde mir rein gar keinen Vorteil bringen, wenn ich mich erst gar nicht darauf einließ, dass es mir vielleicht gefallen könnte.
„Na gut, können wir dann jetzt gehen? Ich will nicht gleich am ersten Tag zu spät erscheinen und deshalb einen schlechten Eindruck hinterlassen."
Nun hielt auch Mum den Daumen hoch und legte ihren Kaffe beiseite.

Ich saß hinten im Auto und schrieb mit Jenny. Sie hatte mir eine Nachricht geschickt, in der sie mir davon erzählte, dass sie sich absichtlich einen Wecker gestellt hatte, damit sie mir einen schönen ersten Schultag wünschen könnte. Außerdem ließ sie mich wissen, dass sie den Ton ihres Handy den ganzen Tag lang auf laut lassen würde, damit ich sie direkt erreichen könnte, wenn etwas sein sollte. Ich bedankte mich vielmals bei ihr, dafür dass sie mir eine so gute Freundin war und ich mich, wann auch immer es darauf ankam, auf sie verlassen konnte. Es war ein komisches Gefühl, zu wissen, dass wir nicht mehr auf dieselbe Schule gingen und auch nicht einmal mehr im selben Ort wohnten. Ich erhielt eine weitere Nachricht von Jenny, in der sie mich an unsere Liste erinnerte, die wir einst angefertigt hatten. Wir beide träumten immer davon, einmal zusammen nach New York zu gehen und fertigten vor Jahren eine Liste, mit Dingen an, die wir dort tun wollten. Jetzt kam es jedoch anders als erwartet und wir waren nicht zusammen hier, ich war alleine und dazu wohnte ich nun auch hier. Unter anderen Umständen hätte ich mich riesig gefreut, aber es war nicht dasselbe ohne sie. Also versicherte ich ihr, dass ich unsere Liste nicht vergessen hatte und sie für uns beide abarbeiten würde. Wohl möglich würde ich es aber nicht tun, nicht ohne sie.

„Aussteigen, wir sind da." Mum hielt das Auto am Straßenrand und blickte mit einem Lächeln auf den Lippen, abwechselnd von Jason zu mir und wieder zu Jason. Jason stieg mit einer flüchtigen Verabschiedung aus und lief los, ohne auf mich zu warten.
„Danke Mum und bis später." Dann stieg auch ich aus und wollte gerade die Tür schließen, als Mum mich noch ein letztes Mal aufhielt.
„Hey Rachel, such dir neue Freunde."
Ich verdrehte gespielt die Augen und nickte, ehe ich die Tür schloss und Mum davonfuhr. Das wollte ich doch hoffen, dass ich hier neue Freunde fand. Es wäre grausam, wenn ich stattdessen mein letztes Schuljahr bei meinem Bruder und seinen Freunden verbringen würde. Ich blickte Mum einige Momente lang hinterher, bis unser Auto außer Sichtweite war. Ich atmete einmal tief aus, drehte mich um und zog dann mein Handy wieder aus meiner Hosentasche, während ich Richtung Eingang lief. Ich ließ Jenny, wie versprochen, wissen, dass ich nun an der Schule angelangt war und antwortete auf ihre letzte Nachricht. Mit ihr zu schreiben, beruhigte mich ein wenig, andernfalls hätte ich mich wohl komplett verloren gefühlt. Als ich gerade dabei war auf ihre nächste Nachricht zu antworten, stieß ich unwillkürlich mit jemandem zusammen.
„Alter spinnst du, was sollte das?", fuhr mich mein gegenüber an, während ich mein Handy in den Händen jonglierte und es noch rechtzeitig auffangen konnte, bevor es mit dem Boden Bekanntschaft machen konnte.
Am liebsten hätte ich mich noch in derselben Sekunde umgedreht und wäre mit dem nächsten Bus nachhause gefahren. Wenn der Tag schon so anfängt, kann er da wirklich noch besser werden?
„'Alter' schon mal gar nicht und außerdem warst du genau so daran beteiligt, wie ich!" Ja, ich hätte mich dafür entscheiden können, mich einfach zu entschuldigen und zu verschwinden, aber dann fielen mir eben Jason's Worte von vorhin ein. Was würde es über mich Aussagen, wenn ich mich davon hätte verängstigen lassen? Gut möglich, dass sie in mir ein leichtes Ziel sehen würden und ich wollte unter keinen Umständen als gefunden Fressen enden. Auch wenn mich sein Aussehen ziemlich einschüchterte. Er war beinahe einen ganzen Kopf größer als ich und breiter gebaut als die meisten Jungs in unserem Alter. Aber das war nicht alles, denn dazu hatte er noch ziemlich markante Gesichtszüge und sah sogar noch ziemlich attraktiv aus, was mich auf irgendeine Art und Weise auch einschüchterte.
„Geh mir aus dem Weg!" Er verdrehte genervt die Augen und lief kopfschüttelnd an mir vorbei. Ich murmelte ein leises 'Arschloch' und setzte meinen Weg dann auch fort, nachdem ich mein Handy eingepackt hatte, um weiteren Vorfällen gezielt aus dem Weg zu gehen.
Ich wollte mich auf den weg zum Sekretariat machen, als Jason um die Ecke lief, wo auch immer er gewesen war.
„Hier, dein Stundenplan und hast du dich mal umgesehen, die heißen Mädels gehen tatsächlich auf unsere Schule!" Ich bedankte mich bei Jason dafür, dass er meinen Stundenplan mitgebracht hatte, schließlich dachte ich, dass er mich bereits vergessen hätte. Stumm lief ich neben ihm her, als er mir von irgendwelchen Informationen erzählte, die er von der Sekretärin erhalten hatte.
„Raum 325, deine erste Stunde hast du hier und ich bin in 332. Viel Spaß und bis später." Damit machte er sich davon, als ich mich bedankte und ihm ebenfalls viel Spaß wünschte. Vielleicht war es doch nicht so verkehrt, mit Jason auf eine Schule zu gehen, bis jetzt zeigte er sich sogar ganz fürsorglich. Nicht dass er sonst das komplette Gegenteil wäre, aber wie es unter Geschwistern eben so ist, streiten wir uns auch mal.

Die Lehrerin forderte mich dazu auf, mich der Klasse vorzustellen. Anschließend sagte sie mir, dass ich mich zu Claire setzten sollte, woraufhin ein Mädchen in der vorletzten Reihe die Hand hob und mich zu sich winkte. Ich nahm neben dem Mädchen, mit den blonden schulterlangen Haaren, namens Claire, platz und sie bot mir an, dass sie mir in der Pause die Schule zeigen könnte. Lächelnd nickte ich und nahm ich ihr Angebot dankend an.

Ever afterWhere stories live. Discover now