Der Abend war noch lang geworden. Irgendwann hatten wir und dazu entschlossen, zu Taylors Party zu gehen, wo wir von den Anwesenden freudig begrüßt worden waren. Taylor hatte jedoch schnell bemerkt, dass mit ihrem Bruder etwas nicht in Ordnung war und war ziemlich bestürzt gewesen, als er ihr von Tommys Unfall erzählt hatte. Erst lang nach Mitternacht war ich ins Bett gekommen, wo ich vor Müdigkeit schnell in einen tiefen Schlaf gefallen war.
Nun war früher Nachmittag und Alice war bereits von der Arbeit nach Hause gekommen. Deswegen konnte ich ohne schlechtes Gewissen mit Kathi und Austin ins Krankenhaus fahren. Kathi hatte gemeint, sie würde zwar mitkommen, dann aber vor dem Zimmer warten, da sie Tommy ja noch nie gesehen hatte.
Austin hatte dunkle Ringe unter den Augen und war sehr schweigsam, als er sein Auto durch die Straßen Nashvilles lenkte. Es war schwer, einen freien Parkplatz in der Garage des Krankenhauses zu finden. Wir kurvten bestimmt eine halbe Stunde herum, bis Austin endlich das Auto abstellen konnte. Der Herr an der Rezeption war sehr freundlich und gab uns sofort Auskunft. Er war in der gleichen Station wie ich, als ich wegen meiner Beinverletzung hier gewesen war, allerdings lag er in einem anderen Zimmer. Als wir dort ankamen, bemerkte ich, dass es genau gegenüber von meinem alten Raum lag.
Als wir vor der Tür standen, griff Austin nach meiner Hand. Ich merkte, dass er Angst hatte. Vermutlich wusste er genauso wenig wie ich, was uns erwarten würde. Seine Hand zitterte, weshalb ich sie ein wenig fester drückte, um ihm zu zeigen, dass ich bei ihm bleiben würde, egal, was passieren würde. Nachdem ein einmal tief durchgeatmet hatte, klopfte Austin an.
Ein leises „Herein!" ertönte und wir drückten gemeinsam die Klinke nach hinunter und betraten den Raum. Nur Kathi blieb, wie sie schon angekündigt hatte, in einem der Sessel, die am Gang vor dem Zimmer standen, zurück.
Tommy sah erschreckend aus. Sein linkes Auge auf Grund eines Hämatoms dunkelblau und zugeschwollen. Von der Stirn über ebendieses Auge bis hinunter zum linken Mundwinkel zog sich ein Schnitt, der von Klemmpflastern verschlossen worden war. Seine Nase war auch ein einziger blauer Fleck. Von seinem Gesicht wanderte mein Blick weiter zu seinen Händen. Die linke war eingegipst und lag in einer Schlinge, die um Tommys Hals hing. Auf der rechten Seite des Bettes stand ein Ständer, an dem ein Infusionsbeutel befestigt war, dessen durchsichtige Flüssigkeit stetig in einen Schlauch tropfte und durch eine fixierte Nadel unter seine Hand floss.
Ohne einen Blick auf ihn werfen zu müssen, wusste ich, dass Austin furchtbar erschrocken war. Ich hatte gemerkt, wie er neben mir zusammengezuckt war. Nun ließ er meine Hand los und war mit wenigen Schritten an Tommys Seite. Dessen Gesichtsausdruck sprach Bände. In seinem nicht geschwollenen Auge konnte ich Dankbarkeit lesen, aber sein Gesicht war verkniffen, als wolle er sagen, dass wir wieder gehen sollten. Ich nahm an, dass er nur nicht wollte, dass wir ihn in diesem Zustand sahen.
Ich blieb da stehen, wo ich schon die ganze Zeit gestanden war. Ich wollte die beiden nicht stören, aber ich hatte Austin auch versprochen, dass ich für ihn da sein würde. Sollte ich doch besser wieder aus dem Zimmer gehen?
Bevor ich noch eine Entscheidung treffen konnte, brach Tommy das Schweigen. „Du kannst ruhig näher kommen, Hanna!", presste er mit rauer Stimme hervor. Langsam bewegte ich mich auf sein Krankenbett zu. Inzwischen hatte Austin auf einem Besucherstuhl Platz genommen. Als ich bei den beiden Freunden angekommen war, zog er mich auf seinen Schoß und verschränkte seine rechte Hand wieder mit der meinen. In meinem Bauch begannen tausende Schmetterlinge zu flattern.
„Ich hoffe, es ist okay, dass wir gekommen sind", meinte ich zögerlich, als die anderen beiden wieder in ein mir unangenehmes Schweigen verfielen.
„Eigentlich wollte ich euch jetzt meinen Anblick noch ersparen, aber wo ihr schon mal hier seid ..."
„Soll ich euch allein lassen? Ihr habt euch sicher viel zu erzählen ...", begann ich loszusprudeln, wurde jedoch von Tommy unterbrochen: „Nein, das ist schon okay, Hanna. Mach dir keine Gedanken!"
„Immerhin bist du ja meine Freundin!", meldete sich nun auch Austin zu Wort. Waren wir nun also offiziell zusammen? Ich konnte spüren, wie sich meine Mundwinkel nach oben bewegten. Bestimmt sah ich aus, wie die Grinsekatze in Alice im Wunderland.
„Also, Tommy, was hast du nur gemacht?", wollte mein Freund - mir wurde ganz warm, weil ich ihn nun so nennen konnte - nun von seinem besten Freund wissen.
„Sekundenschlaf ... Ich wollte gestern nach der Arbeit noch wo hin fahren und hab mir eine Sekunde nicht konzentriert und schon habe ich einen Lastwagen gerammt, der gerade an mir vorbeigefahren ist." Es wunderte mich, wie emotionslos Tommy darüber reden konnte. Ich hätte sicher schon bei der Erinnerung an so einen Unfall zu weinen begonnen. Auch Austin ließ die Erzählung nicht kalt. Seine Hand zitterte wieder in meiner und ich hörte, wie er nach Luft schnappte.
„Und dann?", wollte er mit zittriger Stimme wissen.
„Das Fenster ist gebrochen und hat mir diesen Schnitt verpasst", er deutete mit der nicht eingegipsten Hand auf sein Gesicht. „und die Autotür ist eingedrückt worden und hat mir den Arm gebrochen. Nichts Schlimmes. In ein paar Wochen bin ich wieder wie neu."
Wieder entstand eine kurze Pause. Dann sagte Austin: „Ich hab dir doch von Kathi, Hannas besten Freundin, erzählt, oder?"
„Ja, was ist mit ihr?"
„Sie wartet draußen. Dürfen wir sie reinholen?"
„Wenn ihr glaubt, dass sie meinen Anblick erträgt ..."
Schon war ich aufgestanden und zog Austin hinter mir her zur Tür.
„Kathi, du kannst reinkommen!", sagte ich auf Deutsch zu ihr. Sie saß immer noch auf dem Sessel und war ganz vertieft in ein Buch, das sie aus Österreich mitgebracht hatte. Es hieß Auf der Suche nach dem verlorenen Glück: Gegen die Zerstörung unserer Glücksfähigkeit in der frühen Kindheit. Schon seit ein paar Jahren interessierte sie sich für Erziehung und würde deswegen auch ab Herbst Erziehungswissenschaften studieren.
Über meine eigene Zukunft wollte ich lieber nicht nachdenken. Einerseits wollte ich natürlich wieder nach Österreich zurück, andererseits wollte ich aber auch bei Austin bleiben.
Kathi sah mit einiger Verspätung auf. Ich konnte in ihrem Blick sehen, dass sie in Gedanken noch ganz bei ihrem Buch war.
„Okay ... Ist alles okay?", wollte sie - ebenfalls auf Deutsch - von mir wissen.
„Ja, aber erschreck dich nicht. Er sieht ziemlich mitgenommen aus ..." Ich wusste, dass wir eigentlich auf Englisch reden sollten, wenn wir nicht allein waren, aber es war so ungewohnt, mich mit meiner besten Freundin auf einmal auf einer anderen Sprache zu unterhalten. Hoffentlich nahm es uns keiner übel.

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Wie immer würde ich mich über Feedback sehr freuen! :)

PS: SchmitlRobert hat seine eingene Fortsetzung meiner FF begonnen. Vielleicht wollt ihr ja mal reinlesen ...



I'm only me when I'm with you (Taylor Swift)Where stories live. Discover now