11. Kapitel

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Ich war mit meinem Bruder und meinen Eltern am Strand. Das türkisblaue Meerwasser glitzerte in der Sonne wie Silber. „Hanna, komm lass uns schwimmen gehen.", schlug der siebenjähriger Simon vor. Wie konnte er erst sieben sein? Er war doch 17. Ich sah an mir herunter. Auch ich war noch ein Kind. Wieso war ich auf einmal zehn Jahre jünger? Simon nahm mich an der rechten Hand und lief mit mir gemeinsam ins Wasser. Tropfen spritzten überall hin und nach wenigen Sekunden waren wir beide klatschnass.

„Hanna! Aufwachen! Mir ist langweilig!", rief eine Kinderstimmer, die nicht meinem Bruder gehörte, aus der Ferne. Die Stimme kam immer näher. „Wach auf! Es ist schon sieben Uhr!" Ich wollte nicht aufwachen, sondern lieber weiter mit Simon im Wasser herumspringen. „Komm schon, Hanna. Bitte!", flehte die Stimme weiter. Langsam aber sicher verschwand das Wasser um mich herum, Simon und meine Eltern waren auch nicht mehr zu sehen. Frustriert öffnete ich die Augen. „Na endlich!", sagte Flo. „Das hat aber jetzt lange gedauert."

„Flo! Ich hatte gerade so einen schönen Traum. Musste das wirklich sein, dass du mich aufgeweckt hast?", richtete ich meine Frage anklagend an ihn.

„Mir war langweilig.", antwortete er und sah mich dabei so treuherzig an, dass ich ihm einfach nicht böse sein konnte. Mein Bruder Simon hatte das früher auch immer gemacht ...

Plötzlich spürte ich einen stechenden Schmerz an der Stelle, wo ich mein Herz vermutete. Ich vermisste ihn schrecklich. Dadurch, dass er nicht einmal ein Jahr jünger war als ich, waren wir immer in der gleichen Klasse in der Schule gewesen. In der Volksschule hatte ich es peinlich gefunden, dass mein kleiner Bruder in der gleichen Klasse war, wie ich, aber als ich in der zweiten Klasse Gymnasium von meinen ehemals besten Freundinnen gemobbt worden war, war er mein einziger Freund gewesen, der immer für mich dagewesen war. Das hatte sich auch nicht geändert, als ich später andere Freundinnen gefunden hatte. Durch Simon hatten wir gemeinsam einen großen Freundeskreis aufgebaut, auf den man sich immer verlassen konnte. Mit ein paaren von diesen Freunden hatten wir auch eine Band gegründet. Simon hatte Leadgitarre gespielt, ich gesungen, Simons bester Freund Markus war unser Schlagzeuger, meine beste Freundin Katharina die Bassistin und unser Freund Finn spielte Rhythmusgitarre. Aufgetreten waren wir nie, dafür hatten wir alle nicht genug Mut, aber wir hatten wöchentliche Bandproben abgehalten. Mittlerweile waren wir richtig gut geworden, aber auf die Bühne wollten wir trotzdem nicht.

Ich griff nach meinem Handy und sah aufs Display. 10 Nachrichten. Ich gar nicht gehört, dass ich SMS bekommen hatte. Wahrscheinlich waren sie gekommen, als ich geschlafen hatte. Ich öffnete die älteste Nachricht.

Hanna! Deine Gastmutter hat uns ein E-Mail geschrieben. Ist alles in Ordnung mit dir? Bitte antworte so schnell wie möglich! Wir machen uns Sorgen!

Mama

Die nächste Nachricht war von Simon.

Hanna, was machst du nur für Sachen? Liegst schon jetzt im Krankenhaus, obwohl du erst so kurz in Amerika bist. Tztz. :D Mama und Papa sind beinahe ohnmächtig geworden vor Sorge, als sie das Mail von Alice gelesen haben.

Die folgenden Nachrichten waren von Freunden - unter anderem Katharina, Finn und Markus - die in etwa das gleiche beinhalteten.

„Was machst du?", fragte Flo. Er klang ein bisschen beleidigt, so als würde er nicht verstehen, wie ich mich mit meinem Handy beschäftigen konnte, wenn ich doch ihn zum Reden hatte.

„Ich muss schnell meiner Familie und meinen Freunden in Österreich Bescheid geben, dass es mir gut geht. Die regen sich schon jetzt auf, dass ich mich noch nicht gemeldet habe.", antwortete ich, durch das Tippen auf meinem Handy abgelenkt.

Als ich fertig war und gerade mein Handy aufs Nachtkästchen neben meinem Bett legte, ging die Tür auf. War Austin wiedergekommen? Ich blickte auf. Nein, es war nur ein Arzt, der zur Visite kam und eine Krankenschwester. Enttäuscht sah ich auf meine Bettdecke.

Zuerst wurde ich untersucht. Der Arzt leuchtete mir in die Augen und bewegte meinen Nacken, dann erklärte er mir, dass ich jetzt einen Termin zum Röntgen hatte und somit den Spaltgips herunter geschnitten bekäme. Danach, so Dr. Brown, würde ich höchstwahrscheinlich eine Schiene verpasst kriegen. Die Schwester halt mir in den Rollstuhl, den sie mitgebracht hatte und schob mich aus dem Zimmer. Der arme Flo hatte nun gar keinen im Raum, der ihm helfen konnte, das Englisch zu verstehen.

Mit einem Lift fuhren wir ein Stockwerk nach unten, dann wurde ich durch elendslange weiß gestrichene Gänge geschoben, bis wir schließlich in dem Röntgenkämmerchen angekommen waren.

Dr. Brown sollte Recht behalten. Ich bekam wirklich eine Schiene, die viel bequemer war, als der Gips. Ich sollte sie zwar für die nächsten Wochen immer tragen, aber ich konnte sie zum Beispiel zum Duschen heruntergeben, was Vieles um einiges vereinfachen würde.

Ein weinender Flo empfing mich in unserem Zimmer.

„Flo, was ist denn passiert?", rief ich entsetzt. Seine Augen waren rot und geschwollen und wiesen darauf hin, dass er schon längere Zeit weinte.

Zwischen mehreren Schluchzern bekam er schließlich eine halbwegs verständliche Antwort zusammen, die ich so verstand: „Der Doktor hat was gesagt, aber ich habe es nicht verstanden. Und Papa und Sofie haben gesagt, dass sie kommen werden, aber sie sind noch nicht da. Ich will nicht die ganze Zeit allein im Krankenhaus sein."

„Könnten Sie mich bitte zu Flo rüberschieben?" bat ich die Krankenschwester. Diese nickte nur, tat, was ich sie gebeten hatte und verließ anschließend den Raum.

Nach etwa zehn Minuten hatte ich es geschafft den 10-Jährigen soweit zu beruhigen, dass er aufhörte zu weinen. Nach weiteren zehn Minuten ging die Tür erneut auf und Flo grinste seinen Vater und seien Schwester an.

I'm only me when I'm with you (Taylor Swift)Where stories live. Discover now