17. Mögen die Spiele beginnen!

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Eins muss man Clark ja lassen: Mit seiner vollkommen bescheuerten Idee, mich einfach so im Riesenrad auszusetzen, hat er mir unwissentlich die idealen Voraussetzungen für meine Rache geliefert. Denn wo könnte ich sonst so dermaßen unbeobachtet meinen Brüdern eins auswischen?

Zunächst einmal mache ich es mir aber gemütlich, reihe meine Munition vor mir auf und rutsche mit meinem Buggy nach vorne an die Reling. Um mich nicht ganz so alleine zu fühlen, platziere ich meine Kuscheltierfreunde um mich herum auf die Sitzplätze der Gondel, damit diese auch etwas sehen können, und schaue mir dann die Parade an.

Und ich kann mit absoluter Überzeugung sagen, dass das mit Abstand die tollste Parade ist, auf der ich jemals war.

Auch die erste und einzige, aber egal.

Bunte Wagen wechseln sich ab mit noch bunteren Fußgruppen, es wird gelacht, getanzt und gewunken. Mittendrin marschieren die huldvoll lächelnde Bürgermeisterin im adretten Kostüm, ein lokaler C-Promi, der anscheinend mal bei einer Reality Show für fünf Minuten durchs Bild gelaufen ist, und der stolze Gewinner des diesjährigen Bananenbrotwettbackens.

Einige Truppen haben ihre eigene Musikanlage dabei, natürlich voll aufgedreht, so dass ich auch noch im Riesenrad etwas von der Beschallung habe, aber auch die obligatorische Marschkapelle läuft mit und sorgt für noch mehr Trubel und einen Heidenlärm.

Die Menge am Straßenrand trägt noch zusätzlich zum gut gelaunten Chaos bei. Menschen grüßen einander lautstark, liegen sich in den Armen, bewerfen sich gegenseitig mit Süßigkeiten und Konfetti. Einige haben sich verkleidet, ich sehe Roboter, Hexen und Trolle, manche haben sich auch einfach ein Herzchen ins Gesicht gemalt.

Von hier oben sieht das Ganze jedenfalls nach unheimlich viel Spaß aus und ich nehme mir fest vor, sobald ich ein Mitspracherecht habe, auf jeden Fall meinen Buggy zu verlassen und mich mittig ins Gedränge zu stürzen.

Nach einer Weile, die Parade müsste schon bald zu Ende gehen, läuft noch einmal ein Ruck neuer Energie durch die Menschen. Die Jubelrufe werden wieder lauter, das Lachen ausgelassener, das Winken der Arme ausufernder.

Da sind sie: meine Brüder.

Ganz vorweg läuft Bruce, breit grinsend und natürlich mit seinen Wassertropfen, die in immer neuen Bahnen um ihn kreisen. Den Trubel sichtlich genießend, scheint er immer wieder auf die Zurufe der Menge zu antworten, seine Brust ist stolzgeschwellt und sein Gang irgendwie ein bisschen breitbeiniger als sonst.

Ein paar Meter hinter ihm folgt Clark. Er fliegt etwa auf Kopfhöhe der Menge, scheint aber kaum zu bemerken, dass er damit alle Menschen zwingt, wortwörtlich zu ihm aufzuschauen. Stattdessen sieht er aus, als könne er sich nicht entscheiden, ob er sich über die Anerkennung und Jubelrufe der Menschen freuen oder doch lieber das Weite suchen soll. Seine rot glühenden Backen leuchten bis zu meinem erhöhten Standpunkt.

Peter läuft noch ein Stückchen hinter seinen Brüdern, leise vor sich hin lächelnd. Immer mal wieder macht er sich einen Spaß daraus, in Ultrageschwindigkeit von einer Straßenseite zur anderen zu wechseln, und eine Spur von aufgewirbeltem Konfetti hinter sich herzuziehen. Mehrmals erwische ich ihn allerdings dabei, wie er konzentriert die Gegend absucht, wahrscheinlich mit seinem Röntgenblick. Wenigstens er bleibt wachsam.

~Okay~, horche ich ein letztes Mal mit geschlossenen Augen in mich hinein, ~willst du das wirklich machen?~

Ich hole tief Luft, atme ganz bewusst ein und aus und öffne dann meine Augen wieder. ~Aber auf alle Fälle!~

Um mir nicht wieder vorwerfen lassen zu müssen, aus dem Hinterhalt angegriffen zu haben, nehme ich drei kleinere Portionen Zuckerwatte und schicke sie in Richtung meiner Brüder. Gar nicht so einfach, die drei rosaroten Wattebällchen vor den Gesichtern der Jungs auf und ab tanzen zu lassen, aber ich schaffe es.

Peter bemerkt den Wink mit dem Zuckerwatte-Zaunpfahl als erstes. Ich kann sehen, wie sein Körper sich anspannt, wie er sich zu seiner vollen Größe aufrichtet und dann mit seinen Blicken die Umgebung absucht. Er scheint Bruce und Clark etwas zuzurufen, wahrscheinlich eine Warnung vor einem bevorstehenden Angriff. Seine genauen Worte gehen im Lärm der feiernden Menge unter.

Nun werden auch die anderen beiden auf die fliegenden Zuckerwolken vor ihren Gesichtern aufmerksam, vorher anscheinend zu abgelenkt vom Bad in der Menge, um irgendetwas anderes mitzukriegen. Wie gut, dass ich so eine faire Angreiferin bin, jemand anderes hätte sie schon längst erledigt.

Einmal alarmiert, tritt bei den Dreien ein offensichtlich wohlgeübtes Manöver in Kraft: Clark, Bruce und Peter stehen Rücken an Rücken, Arme kampfbereit erhoben, Wassertropfen im Verteidigungsmodus um alle drei kreisend, und suchen die Menge nach potentiellen Angreifern ab.

Nur nach oben schaut niemand. Typisch.

Die Menge am Straßenrand hat mittlerweile wohl auch gemerkt, dass etwas im Busch ist. Nach der ersten Verwirrung über das seltsame Verhalten meiner Brüder dürfte bei den meisten die Erkenntnis dämmern, dass kampfbereite Superhelden in der Regel bedeuten, dass sich irgendwo in der Nähe ein ebenfalls kampfbereiter Superschurke aufhält. Was in der Regel bedeutet, dass ein Aufenthalt in besagter Nähe nicht mehr empfehlenswert ist.

Ich muss den Einwohnern meiner Kleinstadt wirklich zugute halten: Ich habe selten eine dermaßen geordnete Evakuierung einer größeren Ansammlung Menschen beobachten dürfen wie hier. Niemand schubst, drängelt oder rennt andere rücksichtslos über den Haufen, wie ich das schon in Katastrophenfilmen gesehen habe.

Stattdessen begeben sich alle Menschen direkt in die nächstgelegenen Häuser, in denen ihnen auch sofort und ohne Zögern die Türen geöffnet und im Inneren wahrscheinlich Getränke und Snacks angeboten werden. Denn ich zweifle keinen Moment daran, dass wir, auch wenn die Straßen nach zwei Minuten wie leergefegt sind, doch eine Menge Zuschauer hinter den verschiedenen Fenstern haben werden.

Wahrscheinlich sind die Menschen in unserer Gegend einfach gut geübt im Umgang mit Superhelden und ihren Widersachern.

Meine Brüder stehen immer noch im Dreieck auf der Straße, sichtlich angespannt und auf einen Angriff von allen Seiten vorbereitet. Man sieht, wie ihre Finger vereinzelt zucken, die Arme an den Seiten leicht abgespreizt, die Füße im festen Stand in den Boden gestemmt. Ansonsten rührt niemand einen Muskel.

In einem Western würde jetzt ein einsamer, ausgetrockneter Dornenbusch durch die Straßen rollen.

Ich warte.

Sie warten.

Wir alle warten auf den Startschuss.

Call me Super, Baby!Where stories live. Discover now