22. Der letzte Strohhalm

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Da hängen sie nun, meine Brüder, meine Möchtegern-Retter.

Gefangen in den silbernen High-Tech-Spinnennetzen, mit Anlauf in die aufgespannte Falle gerannt, direkt und ohne allzu viel Gegenwehr vom Schlaf übermannt. Ein kurzes Zappeln hier, ein letztes Aufbäumen dort, dann erschlaffende Muskeln, zufallende Augen und langsame, tiefe Atemzüge.

Clark sabbert leicht im Schlaf, Bruce schnarcht, und Peter sieht aus wie ein kleines Engelchen mit einem unglaublich unschuldigen Lächeln im Gesicht. Immerhin träumt er etwas Schönes.

Leider können sie mir in ihrem jetzigen Zustand nicht helfen.

"Muarharhar", dringt The Brains metallisches Lachen zu mir durch, "hab ich euch! Ihr seid mir direkt in meine Falle getappt, genau wie ich es geplant hatte!"

Hat er sich etwa gerade selbst auf die Schulter geklopft? Ich bin mir nicht ganz sicher, aber die Bewegung unter dem Mantel sah tatsächlich so aus.

~Lass meine Brüder gehen~, appelliere ich ein letztes Mal an seine Menschlichkeit, ~die drei haben dir nichts getan!~

"Nichts getan?", entgegnet The Brain mir schnaubend, bevor er wieder beginnt, mit seinem Mantel über den Boden schleifend auf und ab zu wandern. "Die Drei zerstören all meine Pläne! Ständig kommen sie mir in die Quere und verderben mir den ganzen Spaß. Nein, nein, damit ist jetzt endgültig Schluss!"

Vielleicht hört dieser verdampfte Regen ja bald auf und ich habe eine Chance, meine Kräfte nutzen zu können. Falls The Brain vergisst, seinen White-Noise-Generator am Helm wieder rechtzeitig einzuschalten.

Mit aller Hoffnung klammere ich mich an meinen letzten Strohhalm.

Okay, ein zugegebenermaßen sehr dünner Strohhalm.

Ich muss ihn ablenken!

~Woher wusstest du eigentlich, wer ich bin?~, versuche ich Zeit zu schinden.

"Ich habe euch beobachtet, gestern schon, auf dem Rummel", erklärt mir mein Gegenüber bereitwillig, beinahe ein bisschen stolz auf sein Geschick. "Erst aus reinem Interesse, aber dann habe ich deine Zuckerwatteattacke auf diese Angeber gesehen. Und heute hat mir euer Kampf auf der Parade dann endgültig die Augen geöffnet."

Meine Augenbraue zuckt mal wieder. ~Du hast uns aus reinem Interesse beobachtet? Was bist du denn für einer?~

"Was? Nein, bäääh, nicht so!", versucht mein hartgesottener Superschurke sich rauszureden, "Aber du hast mich so nett gegrüßt, da musste ich danach einfach nochmal genauer hinschauen."

~Hab ich nicht!~, behaupte ich voller Überzeugung.

„Hast du wohl!", kommt mit noch mehr Überzeugung zurück.

Ich habe ihn gegrüßt? Angestrengt denke ich nach. Das muss mir entfallen sein.

~Nein! Hab ich nicht!~

„Doch!"

~Nein!~

„Doch!"

~Na-hein!!~

„Do-hoch!"

~Immer eins mehr!~

„Das zählt nicht!"

~Doch!~

„Nein!"

~Doch!~

Okay, wir können uns noch stundenlang so weiter streiten. Aber obwohl ich ihn so brillant ablenke, hört der verdampfte Regen immer noch nicht auf.

Erneut versuche ich, meine eigenen Superkräfte heraufzubeschwören und gegen den Schlaf anzukämpfen. Vergebens. Meine Lider sind schwer wie Blei.

"Gib doch endlich auf, du hast keine Chance! Schlaf ein, danach wird es dir besser gehen!"

Kurz denke ich über den verlockenden Vorschlag von Lord Helmchen nach. Einfach einschlafen, loslassen, entspannen und mich treiben lassen. Vielleicht wache ich hinterher wieder auf, vielleicht auch nicht. Vielleicht träume ich ja auch etwas Schönes.

Was würde ich schon verpassen?

Mein Leben zieht vor meinen Augen vorbei. Meine Brüder, wie sie im Garten spielen und lachen, oder wie sie am Essenstisch riesige Berge an Nudeln mit offenen Mündern verdrücken und dabei von ihren Erlebnissen in der Schule erzählen. Wie sie heimlich ihre nächtlichen Abenteuer besprechen, wenn Mama gerade nicht zuhört.

Mama.

Wie sie mich immer auf die Stirn küsst, bevor sie mich in mein Bettchen legt. Wie sie nachts auch noch das zehnte Mal aufsteht, um mich zu beruhigen und wieder zum Schlafen zu bringen. Wie sie Grimassen schneidet, um mich zum Lachen zu bringen. Wie sie morgens immer wieder versucht, mich für ihren gesunden Brei zu begeistern, und die Jungs dabei die süßen Frühstücksflocken essen lässt.

Was passiert mit ihr, wenn wir nicht mehr da sind? Isst sie dann den ganzen Brei und die Frühstücksflocken allein? Mit wem soll sie ihre Mittagsschläfchen halten, mit wem lachen und herumalbern?

Wäre sie nicht sehr einsam? Würde sie von dem ganzen Süßkram nicht Diabetes und Karies kriegen und irgendwann an Überzuckerung und Vereinsamung sterben? Und das noch mit schmerzenden Zähnen?

Nein, nicht unsere Mutter! Das kann ich nicht zulassen.

~Ich werde niemals aufgeben. Zeit für meine Geheimwaffe~, schaffe ich es gegen das Prasseln des Regens anzuflüstern. The Brain horcht auf. "Geheimwaffe? Welche Geheimwaffe? Du bluffst doch!"

Meine Geheimwaffe ... Niemals wollte ich sie anwenden, mit zu vielen Unsicherheiten und Gefahren war sie mir verbunden. Was, wenn das alles monstermäßig in die Hose geht? Wenn ich damit alles noch schlimmer mache?

Aber bleibt mir eine andere Wahl?

Ich muss es tun!

Mit aller Mühe sammle ich meine Kräfte für einen letzten Versuch, uns alle zu retten.

Call me Super, Baby!Where stories live. Discover now