24. Wiedersehen macht Freude

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Fünf Minuten vorher, in einer weit entfernten Galaxie (oder auch nur am anderen Ende der Stadt)

Eine Frau im blassblau karierten Schlafanzug liegt auf dem Sofa, auf das sie vor einiger Zeit kollabiert ist. Eigentlich wollte sie "nur kurz die Augen ausruhen"; jetzt schläft sie schon seit zwei Stunden in einer Körperhaltung, die ihr nach dem Aufwachen sicher wieder Rückenschmerzen bereiten wird.

Doch die Gelegenheit, ein bisschen Schlaf nachzuholen, wo endlich mal alle Kinder aus dem Haus sind, war einfach zu gut, um sie ungenutzt verstreichen zu lassen. Der Schlafmangel der vergangenen Wochen hat seinen Tribut gefordert.

Auf einmal zucken ihre Augen hinter den Lidern, ihre Nasenflügel blähen sich witternd, ihre Ohren spitzen sich, soweit das bei Menschen möglich ist. Kann es sein? Hat sie da etwas gehört?

Ein Auge öffnet sich halb.

Doch, ja, eindeutig. Der Schrei eines Babys. Ihres Babys.

Ruckartig sind beide Augen offen. Sie richtet sich auf, ihr Kopf kreist beim Versuch den Schrei zu lokalisieren.

Und mit einem Satz ist die Frau auf den Füßen, aus der Tür, und ... fliegt nach Westen, dem Ursprung des Schreis entgegen.

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"Schhhh, Mäuschen, alles gut, Mama ist da, du musst nicht mehr weinen", gurrt meine Mutter mir ins Ohr und wiegt mich dabei sachte von rechts nach links, dicht an ihre Brust gedrückt. "Alles ist gut, ich bin ja jetzt da, jetzt passiert dir nichts mehr."

Ich nuckel zufrieden vor mich hin und kuschel mich an meine Mutter. Ach, es ist doch nirgendwo so bequem wie an ihrem Oberkörper. Selig schmiege ich mein Gesicht an ihren Hals.

~Mama, ich bin ja so froh, dass du da bist. Der Boden war so unbequem, und The Brain war so doof, und meine Brüder, und überhaupt ...~

Wie immer bekomme ich keine direkte Antwort, aber diesmal stört es mich gar nicht. Mama ist da, und das ist alles, das zählt.

Plötzlich ertönt hinter uns ein Knacken und unterbricht uns in unserer Wiedersehensfreude. The Brain steht verdächtig nahe an der Tür und sieht glatt so aus, als habe er sich gerade rausschleichen wollen.

"Was ist denn hier los?", erst jetzt scheint meine Mutter die ganze Szene aufzunehmen, so fokussiert war sie vorher auf mich. "Was bist du denn, mit diesem Monsterhelm auf?"

"Ähm ...", kommt die unglaublich eloquente Antwort. The Brain ist sichtlich überrumpelt von der Situation, so redegewandt er sonst auch sein mag.

"Nimm den mal ab, der ist doch viel zu groß für dich, und man sieht ja dein Gesicht gar nicht!" Und mit einer Selbstverständlichkeit, die nur Mütter haben, läuft meine Mutter auf The Brain zu und zieht ihm den Helm vom Kopf, ohne ihm auch nur die Chance eines Protests einzuräumen.

"Aah, Detlev-Schätzchen, was machst du denn hier? Und warum hängen Clark, Bruce und Peter da so ungelenk in den Spinnennetzen? Das muss ja unbequem sein."

~Detlev-Schätzchen?~, das habe ich ja noch nie gehört. The Brain sieht aus, als würde er am liebsten im Boden versinken. Immer wieder schielt er Richtung Ausgang, und ich könnte wetten, dass seine Füße sich zentimeterweise darauf zubewegen wollen.

"Habt ihr gespielt?", grübelt meine Mutter laut weiter. Sie sieht sich aufmerksam in der Halle um, betrachtet die überdimensionierten Spinnennetze, meine bewusstlosen Brüder und dann scheint ihr ein Licht aufzugehen.

Ihr Blick richtet sich auf The Brain aka Detlev, fixiert ihn. Au weia, ihr berühmt-berüchtigter strenger-Mutter-Blick. The Brain hat keine Chance, fast tut er mir ein bisschen leid.

"Detlev-Schätzchen, hast du etwa wieder Stadt erobern gespielt? Und die Jungs wollten dich aufhalten?"

Betreten betrachtet The Brain aka Detlev seine Fußspitzen, traut sich dann doch kurz zu meiner Mutter aufzuschauen und nickt schließlich, bevor er sich wieder mit dem dreckigen Boden vor sich beschäftigt.

Meine Mutter beobachtet ihn streng. Dann plötzlich bricht ihr Gesicht auseinander und sie in Lachen aus. "Und du hast es geschafft, sie alle drei hereinzulegen und in den Netzen zu fangen? Allein? Alle Achtung, das muss ich deiner Mutter erzählen, wenn ich sie das nächste Mal sehe. Wir wollten uns sowieso mal wieder auf einen Tee treffen."

~Hab ich. Und es war sooo cool~, brabbelt ein plötzlich ziemlich stolz grinsender Detlev. Allerdings wirkt er jetzt gar nicht mehr so bedrohlich oder fies, sondern mehr wie ein kleiner Junge, der es geschafft hat, den Großen einen Streich zu spielen. Wenn ich ihn so ohne seinen Helm anschaue, kann er gar nicht viel älter sein als ich.

~Sag mal~, geht mir endlich ein Licht auf, ~wie groß bist du eigentlich unter deinem Mantel?~

Detlev grinst verschämt. ~Ich sag doch, Helm und Mantel gehören beide zu meinem Image.~ Ihm entkommt ein herzhaftes Gähnen. ~Mensch, bin ich müde. Dieses Rauschen macht mich ganz fertig. Dann kann ich den Mantel ja jetzt ausschalten.~

Fassungslos beobachte ich, wie The Brain zu schrumpfen scheint, bis er nur noch ein kleines Häufchen Mensch mit einem viel zu großen Mantel ist.

"So, und was machen wir jetzt?", wendet sich meine Mutter an mich. "Sollen wir deine Brüder nehmen und heim gehen? Und unterwegs bringen wir noch Detlev nach Hause?" Ich nuckel zustimmend.

Und mit beinahe Lichtgeschwindigkeit flippt meine Mutter zwischen meinen Brüdern hin und her und schafft es, obwohl sie mich immer noch auf dem Arm hat, sie aus den Netzen zu befreien und stattdessen sanft auf einem Stapel ausgemusterter Pappkartons abzulegen, bevor sie aus einem Haufen Eisenstangen mithilfe ihres Laserblicks in Windeseile eine Art tragbare Schaukel zusammenschweißt, das glühende Metall mit ihrem Eisatem wieder abkühlt und uns dann alle darin einpackt und behutsam nach Hause fliegt.

Call me Super, Baby!Where stories live. Discover now