1. Ein beinahe ganz normales Familienfrühstück

121 23 85
                                    

Einige Wochen zuvor

"Komm, Mäuschen, mach 'Aah'", versucht mich meine Mutter zu locken. Misstrauisch beäuge ich den rotzgelben Brei in der Schüssel vor mir.

~Was zum Henker soll das sein? Willst du mich vergiften?~ Wie immer bekomme ich keine Antwort auf meine Frage, stattdessen ahmt meine Mutter jetzt Fliegergeräusche nach und schlenkert einen Löffel voll undefinierbarem Inhalt von rechts nach links vor meinem Gesicht hin und her.

Warum glauben Erwachsene immer, dass das Zeug besser schmeckt, nur weil es per Flugzeug geliefert wird?

"Einen für die Mama...", gurrt sie. ~Im Leben nicht, igitt~, antworte ich entschieden, bekomme aber nach wie vor keine Reaktion. Aus lauter Frust beschränke ich mich schließlich darauf, meine Lippen fest aufeinander zu pressen. 

Beim Versuch trotzdem etwas Brei in mich hineinzubekommen, verteilt meine Mutter den Inhalt des Löffels in meinem Gesicht und auf meinem Lätzchen. Und da sagt einer, Kinder würden Dreck machen. Pah!

"Guten Morgen", gähnt mein ältester Bruder Clark, während er in die Küche schlurft. Die dunklen Haare liegen ihm noch vollkommen verwuschelt auf dem Kopf, und er sieht aus, als wäre er gerade aus dem Bett gefallen. Seine blauen Augen sind noch ganz verquollen, und er hat einen Abdruck von seinem Kissen auf der Wange. "Sind noch Cornflakes da?"

Als meine Mutter sich zu ihm umdreht, um seinen Gruß zu erwidern und ihm zu antworten, zuckt er erschrocken zurück. "Oh Mann, Mum, du siehst ja wirklich besch... ehm, ich meine, hast du gut geschlafen?"

Kritisch beäuge ich meine Mutter. Okay, vielleicht sieht sie etwas müde aus. Wie ein Zombie. Ein erschöpfter Zombie. Ein erschöpfter Zombie mit Augenringen von der Größe eines Autoreifens.

Eventuell habe ich sie heute Nacht lange wach gehalten. Also nur ein bisschen, vielleicht. Erst konnte ich selbst nicht einschlafen, dann hatte ich Hunger und nach meinem Mitternachtssnack leider lange Schluckauf -- und mit Schluckauf kann man nunmal nicht schlafen. 

Und heute Morgen war ich einfach früh wach und habe sie furchtbar vermisst. Vielleicht sollte es mir leid tun, aber ich hab sie einfach unglaublich gerne um mich. Also, sorry not sorry.

"Alles gut, Großer, ich mach später nochmal ein Nickerchen, wenn ihr in der Schule seid. Irgendwas Gutes muss die Schule ja an sich haben." Meine Mutter schafft es tatsächlich, ihm trotz ihrer Augenringe zuzuzwinkern. "Cornflakes müssten noch im Schrank sein, schau mal im obersten Fach ganz links. Wie war denn deine Nacht, ist was spannendes passiert?"

"Ich hatte nen ziemlich aufregenden Traum, das war voll cool. Bin wieder über die ganze Stadt geflogen und hab Menschen geholfen. Heute Nacht hab ich ne Katze aus nem Baum gerettet ...", beginnt Clark zu erzählen, während er sich eine Unmenge der goldgelben Flocken in eine Schüssel kippt. Meine Mutter nickt andächtig zu seinen Beschreibungen.

Wie aufs Kommando rumpelt es in diesem Moment auf der Treppe und mein zweiter Bruder Bruce torkelt in die Küche, die Augen halb geschlossen und immer noch im Schlafanzug. Dabei legt er sonst doch immer so viel Wert auf sein Outfit. Mama musste bestimmt fünf verschiedene Kostüme für ihn schneidern, bis er letztes Fasching mit seinem Superhelden-Dress zufrieden war.

~Ehrlich, ein Batman-Schlafanzug? Wie alt bist du, fünf?~ Wie immer beachtet niemand meinen Einwurf.

"Was versuchst du denn da in die Kleine reinzukriegen? Sieht ja eklig aus", stellt Bruce meine Frage von vorhin erneut, während er sich direkt bei den Fruit Loops bedient.

Zu meiner Empörung antwortet unsere Mutter IHM sofort. "Pastinaken-Karotten-Brei, super bekömmlich und voller wichtiger Vitamine und Spurenelementen." Gesunder Matsch also. Und meine Brüder dürfen die super leckeren und super ungesunden Dinge frühstücken. Aus Protest presse ich meine Lippen noch eine Spur fester aufeinander.

"Klingt eklig", kommt von meinem dritten Bruder Peter, der sich mittlerweile auch in der Küche eingefunden hat. Auch ihm sieht man eine kurze Nacht an, immerhin hat er sich aber wenigstens schon angezogen. Auch wenn seine Socken farblich nicht zusammenpassen. Soll ja aber in Mode kommen.

"Erzählt mal lieber von eurer Nacht. Habt ihr gut geschlafen?", unterbricht meine Mutter ihn, bevor er sich noch weiter über meinen Brei auslassen kann. Schade eigentlich, er spricht mir aus der Seele.

"Ein toller Traum." Bruce und Peter träumen immer das Gleiche. Muss so ein Zwillingsding sein. „Wir haben einen Notruf erhalten, dass in der Nähe der alten Fabrik ein Haus in Flammen steht, also sind wir schnell hin und haben es gelöscht", sprudelt es ganz begeistert aus Peter heraus.

"Momentchen mal, WER hat es gelöscht?" Anscheinend ist Bruce gerade richtig aufgewacht. Jedenfalls kann er Peters Erzählung so nicht stehen lassen.

"Ja, okay", verdreht Peter die Augen, "Bruce hat mit seinem Wasser gelöscht, ich hab nur vorher gecheckt, ob noch jemand im Gebäude ist."

~Mit deinem Röntgen-Blick?~, erkundige ich mich neugierig. Peter ist allerdings damit beschäftigt, seine Schokoballs zu mampfen, und reagiert nicht auf meine Frage.

Die Kräfte meiner Brüder haben mich schon immer interessiert, die drei sind einfach meine Helden. Und die der ganzen Stadt. Auch wenn das keiner wissen darf. Auch nicht Mama.

Wenn meine Mutter wüsste, dass meine Brüder ihre Abenteuer keineswegs träumen, sondern jede Nacht tatsächlich erleben! Die würde Augen machen.


(821 Worte)

Call me Super, Baby!Where stories live. Discover now