6. Mein großer Bruder, der Vollidiot

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Da sitze ich nun, in meinem Buggy, neben mir ein Mädchen, dessen Namen mir immer noch unbekannt ist, und warte darauf, dass Clark zurückkommt.

Und warte.

Und warte.

Von ferne hört man mehrfach Sirenen, die nach kurzer Zeit wieder verstummen.

Das Warten wird lang.

~Das ist jetzt nicht sein Ernst, oder?~

Das Mädchen hält sich tapfer: Erst versucht sie noch, mich zu bespaßen und zu beschäftigen, dann schiebt sie meinen Buggy um den Sportplatz, wahrscheinlich um zumindest etwas zu tun zu haben, aber mit der Zeit gehen ihr die Ideen aus.

"Er kommt bestimmt gleich", versichert sie mir ein ums andere Mal. Vielleicht will sie sich auch nur selbst überzeugen. "Wahrscheinlich wurde er aufgehalten. Von etwas unglaublich Wichtigem."

Eine erneute Runde um den Sportplatz, und sie kommt offensichtlich an ihre Grenzen. Gestrandet mit einem fremden Baby.

"Was mache ich denn jetzt mit dir, ich weiß ja nicht mal, wie du heißt oder wo du hingehörst!" Wie gerne würde ich ihr auf ihre gemurmelte Frage eine Antwort geben, aber wie immer scheitert mein Kommunikationsversuch an der Sprachbarriere.

Mittlerweile bin ich hungrig, mir ist trotz dutzenden Kleidungsschichten kalt und ich bin mehr als nur ein bisschen grumpy. Zu allem Überfluss habe ich vor lauter Aufregung vor einer Weile einen hartnäckigen Schluckauf entwickelt, der einfach nicht weggehen will.

Auf meiner Stirn bilden sich Falten von der Tiefe des Grand Canyon, so sehr runzle ich die Stirn. Mein Magen knurrt. Jetzt würde ich sogar Mamas heißgeliebten Brei essen. Vielleicht.

Gerade will ich mich innerlich in mein Schicksal fügen, dass ich anscheinend mit einer potentiellen Axtmörderin im Park übernachten muss, als Clark endlich angejoggt kommt. Seine Haare sind verzottelt und verschwitzt, er keucht wie ein kaputter Dampfkessel und sein Shirt steckt nur auf einer Seite in der Hose.

"Tut mir leid", schnauft er, kaum dass er bei uns angekommen ist, "ich wurde aufgehalten."

Das Mädchen scheint wenig überzeugt. "Auf der Toilette?", fragt sie mit erhobenen Augenbrauen und in die Hüften gestützten Händen. "Hast ja ganz schön lang gebraucht."

~Ja, Clark, hast ja ganz schön lang -- hicks -- gebraucht! Wo hast du ge--hicks--steckt?~, gebe auch ich meinen Senf dazu, wie immer unverstanden, aber meine Mimik spricht bestimmt auch ohne Worte Bände.

"Ähm, ja, also ...", versucht Clark zu erklären, was er eigentlich nicht erklären kann. Immerhin war er über eine gefühlte Ewigkeit weg.

"Ich höre!", fordert das Mädchen. "Was genau hat dich aufgehalten, dass du deine kleine Schwester und mich hier anderthalb Stunden lang hast warten lassen wie bestellt und nicht abgeholt?"

"Also, weißt du, das ist eigentlich eine ganz lustige Gesch..., äh, nein, natürlich nicht lustig, sondern eher schrecklich, also das war so ..."

"Weißt du was? Ist auch egal. Ich bin dann mal weg!", schnauzt das Mädchen ihn an, wenig überzeugt von seinem gestammelten Versuch einer Erklärung, macht auf dem Absatz kehrt und läuft entschlossenen Schrittes davon, ohne sich noch einmal umzudrehen.

Clark steht da wie ein begossener Pudel und schaut ihr hinterher. Wenn ich nicht so sauer auf ihn wäre, würde er mir fast leidtun. Allerdings, wie gesagt, bin ich weit über den Punkt hinaus, an dem ich noch Mitleid für ihn empfinden würde.

~Clark, du -- hicks -- Vollidiot, wie kannst du mich nur -- hicks -- stundenlang hier im Park alleinlassen? Warte, bis ich das -- hicks -- Mama erzähle, dann kannst du dich aber auf -- hicks -- was gefasst machen! Und überhaupt, wo zum -- hicks -- Teufel warst du? Hast du dir einen -- hicks -- schönen -- hicks -- Tag gemacht, häh?~, beginne ich eine Standpauke, die sich gewaschen hat.

Zu meinem Verdruss reagiert Clark überhaupt nicht auf mich, sondern starrt dem Mädchen noch eine Weile hinterher, bevor er seine Schultern resigniert fallen lässt, meinen Buggy greift und beginnt, mich nach Hause zu schieben.

~Echt jetzt, mehr hast du dazu -- hicks -- nicht zu sagen?~, motze ich ihn an. ~Wie wäre es mit einer -- hicks -- Entschuldigung?~

Als immer noch keine Antwort kommt, sondern Clark nur weiterhin trübsinnig vor sich hin trottet, kneife ich erbost die Augen zusammen. ~So -- hicks -- nicht, Freundchen, nicht mit -- hicks -- mir!~ Das soll er mir büßen, ich will ihn leiden sehen. Meine Rache wird grausam sein.

Wenn dieser dämliche Schluckauf mich nur nicht so nerven würde!

Und während ich noch darüber nachsinne, auf welchen Wegen ich mich an Clark rächen könnte und werde, und mein kleiner Körper in regelmäßigen Abständen vom Schluckauf durchgeschüttelt wird, spüre ich, wie sich etwas in mir rekelt, sich reckt und streckt und schließlich erwacht.

Und ich lasse es zu, lasse es größer werden, pflege und nähre es mit meiner Wut und meinem Zorn, lasse es wachsen, bis es schließlich meinen gesamten Körper, mein ganzes Sein einnimmt. Dann konzentriere ich mich auf Clark, ziele und ... lasse los.

"Hicks!"

Lächelnd lehne ich mich zurück, nun endlich von meinem Schluckauf befreit.

"Hicks! Verdammte -- hicks -- Axt, was ist denn -- hicks -- plötzlich los? Hicks! Boah, wie lange -- hicks -- geht das denn -- hicks -- noch?" Clarks Körper wird in regelmäßigen Abständen so durchgeschüttelt, dass es meinen Buggy jedesmal ein bisschen mit zum Erbeben bringt.

Tja, mein Freund. Das war erst der Anfang.



(816 Wörter)

Call me Super, Baby!Onde histórias criam vida. Descubra agora