11. ... und die Entdeckung neuer Fähigkeiten

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~Hast du mich gerade gepscht?~

Beleidigt drücke ich meine Unterlippe nach vorne und drehe demonstrativ den Kopf weg. Pah! Wenn die zwei nicht mit mir spielen wollen, verpassen sie eben den ganzen Spaß. Mit mir dürfen nämlich nur die coolen Leute spielen.

Schmollen ist allerdings nur eine kurze Zeit unterhaltsam. Schon sehr schnell ist mir wieder langweilig und ich schaue mich nach einer  alternativen Beschäftigung um.

Ich könnte Schnuller-wieder-aufheben mit meinen Brüdern spielen! Das ist sowieso die allerbeste Idee, dann müssen die beiden mich auch wieder beachten!

Unauffällig schiele ich zu den Zwillingen, die immer noch mit ihrem Spiel beschäftigt sind, und lasse dann meinen Schnuller ganz langsam aus meinem Mundwinkel gleiten und im letzten Moment mit etwas Nachdruck durch meine Zunge im hohen Bogen auf den Boden segeln.

So elegant den Schnuller ausspucken will auch geübt sein!

Dann warte ich auf eine Reaktion der Zwillinge. Nix. Ich räuspere mich. Nada. Ich beginne leicht zu schnüffeln. Niente. Mein Schnüffeln wird lauter. Nope. Keiner der beiden rührt sich.

Diesmal ist mein Schluchzen so laut, dass die beiden  es nicht mehr überhören können. ~Mein Schnuller ist runtergefallen, ihr müsst den jetzt aufheben!~

„Was zum Henker ist denn jetzt schon wieder los?"

„Ich glaub der Schnuller ist runtergefallen."

"Ach Mensch, ich kann grad nicht, ich bin mitten im Level!"

"Ich doch auch, du Eumel! Mach du!"

"Nein, du!"

"Nein, DU!"

~Wollt ihr das Zwillingspingpong jetzt noch lange spielen? Oder hebt mal zwischendurch einer meinen Schnuller auf?~

"Immer muss ich, jetzt bist du dran!"

"Stimmt ja gar nicht!"

~Hallo, hebt jetzt mal einer meinen Schnuller auf??~

"Wer die nächste Runde verliert, muss den Schnuller aufheben!"

"Deal!"

Und schon sind die beiden wieder am Zocken. Und ich sitze daneben, nur jetzt ohne Schnuller.

Wenn  die beiden nicht sowieso schon auf meiner Abschussliste stehen würden, wären sie spätestens jetzt darauf gelandet. Niemand stellt sich zwischen  mich und meinen Schnuller!

Zehn Minuten später sitze ich immer noch schnullerlos neben meinen Brüdern und schaue ihnen bei "nur noch die eine Runde" zu. Keine Ahnung, was die beiden am Zocken so fasziniert, aber ihnen dabei zuzuschauen ist auf jeden Fall ätzend langweilig.

Um mich abzulenken, beobachte ich die Staubkörner, die im schrägen Licht der Nachmittagssonne vor sich hin wirbeln. Das ist ein stetiges Treiben, Wuseln und Kreisen, viel spannender als dieser blöde Bildschirm.

Ob die Staubkörner wohl auch Muster tanzen können? Cool wäre es ja.

~Bitte einmal alle nach rechts.~ Zack, als wäre ein Windzug durchs Haus gefahren, bewegen sich alle kleinen, funkelnden Teilchen in die gleiche Richtung.

Huch. Zufall?

~Jetzt einmal nach links.~ Ein erneuter Luftstoß aus der anderen Richtung -- ist das möglich?

Die Wissenschaftlerin in mir ist erwacht.

~Okay, dann jetzt bitte einmal im Kreis und danach im Dreieck aufstellen!~ Und wieder gehorchen die Staubkörner meinem gebrabbelten Befehl.

Ob das wohl auch mit größeren Dingen klappt?

Nur mit was könnte ich es ausprobieren? Nachdenklich betrachte ich meine Hände. Natürlich, mit Fusseln.

Meine Hände sind immer voller Fusseln, ich sammel sie zwischen den Fingern und in allen Hautfalten. Vielleicht nennt mich Peter deswegen Fusselmagnet? Egal.

Mama versucht ständig, sie mir beim Baden und auch zwischendurch wegzunehmen, aber ich habe ein echtes Faible für Fussel. Ich meine, es gibt sie in so vielen verschiedenen Farben und Formen, und sie fühlen sich alle unterschiedlich an. Ich könnte stundenlang über Fussel schwärmen.

Ein paar habe ich also immer auf Vorrat irgendwo versteckt. Gerade heute Morgen habe ich mir einige neue aus Mamas buntem Wollpullover besorgt.

Und siehe da: Auch Fussel gehorchen meinen Befehlen.

Eine Weile amüsiere ich mich damit, den Zwillingen immer mal wieder einen Fussel in den Mund fliegen zu lassen, wenn sie gerade besonders laut schreien. Auf Dauer ist mir meine Munition dafür dann aber doch zu schade, zumal auch das "Bäh, igitt, pfui"-Gefluche der beiden irgendwann seinen Reiz verliert.

Auf zu nächstgrößeren Dingen.

Ich peile meinen Schnuller an, der immer noch in etwa einem Meter Entfernung auf dem Boden liegt. Die "eine Runde Zocken" ist zwar schon seit mehreren Runden vorbei, aber wie immer haben die Zwillinge vergessen, was sie "gleich" machen wollten.

Konzentriert kneife ich meine Augen zusammen, fixiere den Schnulli und befehle ~Komm zu mir!~ Der Schnuller zuckt kurz, wackelt, bleibt schlussendlich aber liegen. ~Hierher!~, versuche ich es mit mehr Nachdruck. Er rollt mehrere Zentimeter auf mich zu, bleibt dann aber an einer Unebenheit im Boden hängen.

~Okay~, hole ich tief Luft, ~noch einmal: Herkommen!~ Der Schnuller ruckt, stockt, bewegt sich dann doch noch ein Stückchen, kommt allerdings gerade außerhalb meiner Reichweite zum Stillstand.

~Bitte?!~, starte ich einen letzten, verzweifelten Versuch. Und siehe da, mit Höflichkeit kommt man doch am weitesten.

Zufrieden stecke ich mir den Schnuller in den Mund und nuckele erst einmal eine Weile vor mich hin. Dabei fallen mir meine Brüder wieder ins Auge, nach wie vor ganz in ihr Spiel vertieft und buchstäblich blind für alles andere, was um sie herum vorgeht.

Innerlich grinsend patsche ich meine Hände in einer nicht ganz korrekten Imitation eines diabolischen Händereibens aneinander. Ob wohl auch die lustigen bunten Knöpfe auf den Controllern meinen Befehlen gehorchen?


(844 Wörter)

Call me Super, Baby!Where stories live. Discover now