53; Teil 3: Frühling 2009

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Marie

Dieser Tag wird Christians und meinen Neuanfang besiegeln. Christians Vater tätschelt mir liebevoll meine Hand, die bereits auf seinem starken Arm ruht. Ich bin froh, dass er sich, ohne Fragen zu stellen, dazu bereit erklärt hat, mich zum Traualtar zu führen.

Dann beginnt der Organist zu spielen und wir gehen im Takt zur Musik los. Die Gäste erheben sich und ich werfe einen schnellen Blick durch den kleinen Raum. Ich sehe ihn, bevor ich ihn mit meinen Augen suchen konnte. Er sitzt in der ersten Reihe ganz rechts am Gang. Er ist reifer geworden.

Er trägt wie alle einen Anzug, sein Haar ist glattgekämmt, doch fällt es ihm trotzdem wie immer ins Gesicht. Bevor er merkt, dass ich ihn anschaue, wende ich meinen Blick ab und sehe Christian an, dem ich immer näherkomme. Als sich unsere Blicke treffen, lächele ich leicht.

Es ist komisch, mit den beiden in einem Raum zu sein. Ich hatte gehofft, dass Mark nicht kommen würde. Am liebsten hätte ich ihn nicht eingeladen. Aber Christian bestand darauf.

Und nun ist er hier. Sicherlich hat er keine Lust, aber auch er geht seiner Pflicht als Christians Bruder nach. Nach außen ist die Familie vorbildlich.

Vielleicht ist Mark aber auch über mich hinweg. Was bin ich schon im Leben eines so jungen Menschen? Eine Note seiner Melodie. Mehr nicht.

Ich merke, wie mir die Tränen kommen und versuche krampfhaft, sie zurückzuhalten. Marks Vater legt seine freie Hand kurz auf die meine. Da erst bemerke ich, dass sich meine Hand an seinem Arm festgekrallt hat. Er muss es der Aufregung zuschreiben und meine glänzenden Augen der Überwältigung.

Wir nähern uns der ersten Reihe. Ich möchte nicht erneut zu Mark sehen. Ich darf nicht noch einmal zu ihm schauen. Es ist meine Hochzeit mit Christian. Da hat Mark nichts verloren in meinen Augen, in meinen Kopf. Warum nur bringt er mich immer, wenn ich ihn sehe, so durcheinander? Warum rührt sich etwas in mir, wenn er in meiner Nähe ist?

Als ich an der ersten Reihe vorbei gehe, kann ich nicht anders und blicke ihn gegen alle Vernunft einen Wimpernschlag an.

Anstatt mich in seinen Augen zu finden, sehe ich mich durch die seinen: Eine nicht mehr ganz junge Frau, mit einer altmodischen Frisur in einem altbackenen Kleid in einer kitschigen Kirche, die überwiegend mit Menschen gefüllt ist, die die Braut noch nie in ihrem Leben gesehen hat.

Ich wende den Blick wieder schnell ab, bemüht, meine Fassung nicht zu verlieren und mein Lächeln, das mir für einen Moment entglitt, wieder zu erlangen. Es gelingt mir und so stehe ich, als sei nichts gewesen vor Christian, meinen Bräutigam. Er ist der Mann, der mir ein neues Leben angeboten hat und bei dem es auch wirklich wahr werden kann. Deswegen stehe ich heute hier. Deswegen bin ich damals ohne ein einziges Wort der Erklärung oder Entschuldigung gegangen. Ich konnte nicht mein Leben in München fortsetzen, als hätte ich jenen schrecklichen Anruf nie erhalten, als wäre alles beim Alten. Ich hätte es nicht überlebt, wenn ich nicht einen Neuanfang gemacht hätte.

Ich höre Christians tiefe Stimme die stille Kirche durchdringen. Mein Lächeln wird breiter und als es an mir ist, die erwartungsvolle Stille zu durchbrechen, antworte ich mit fester und lauter Stimme.

Dann stecken wir uns unsere Eheringe an den rechten Ringfinger. Anschließend darf ich meinen Mann küssen. Ich beuge mich etwas vor, spüre seine weichen Lippen auf den meinen und schließe die Augen.

Es ist Christian, mein Mann, dem ich nun angehöre. Aber es ist Mark den ich in der Dunkelheit meiner geschlossenen Lider vor mir sehe.

Stille WasserWo Geschichten leben. Entdecke jetzt