19; Teil 2: Frühling 2005

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Mark

Morgen habe ich Abiturprüfung in Mathematik. Danach kommen noch Deutsch, Englisch und Biologie. Dann bin ich endlich mit den schriftlichen Prüfungen fertig und fliege erst mal mit meinen Eltern nach Namibia, wo wir eine Safari machen werden. Wie cool ist das?! Als Mama mir erzählt hat, dass Papa und sie mir diese Reise zum Abi schenken, konnte ich es fast nicht glauben. Zumal ich die Ergebnisse der Prüfungen noch nicht haben werde. Aber Mama meinte, dass ich so viel gelernt habe, dass Papa und sie sich sicher sind, dass ich gut bis sehr gut bestehen werde. Endlich bemerkt also auch Papa, dass ich nicht nur ein „Schönling" bin, wie er mich immer nennt, sondern ein genauso intelligenter Mensch wie sein Lieblingssohn Christian.

Zum Glück ist der viel zu sehr mit seiner tollen Promotion beschäftigt, als dass er sich drei Wochen Urlaub leisten könnte. Mir ist das mehr als recht: Das hätte mir echt den Spaß verdorben, wenn er mitgegangen wäre. Ich weiß noch, wie er früher in den Urlauben immer den Reiseführer gespielt hat. Man, hat mich das genervt. Stundenlang mussten wir alle vor irgendwelchen Gebäuden stehen und uns anhören, welche historische Bedeutung sie hatten, welche Kunstrichtung ihr Baustil hatte und wie sie in der Stadtgeschichte einzuordnen waren. Manchmal konnten Mama und ich uns in ein nahes gelegenes Café schleichen, Passanten beobachten und Eisschokolade trinken.

Ich habe mich damals oft gefragt, wie Mama es mit Papa aushielt. Nicht, dass sie sich nicht für Kultur und Geschichte interessiert hätte. Aber sie saß auch einfach nur gerne in einem Café oder bummelte durch die Gässchen. Das war Papa und Christian aber immer zu öde. Und weil Mama ihren Mann und ihren ältesten Sohn liebt, fügte sie sich und gönnte sich nur ab und zu ein Stündchen in einem Café mit mir. Meistens standen Mama und ich also mit dabei, während Papa und Christian vor altem Stein diskutierten.

Das einzig Positive daran ist, dass mein Kunst- und Geschichtswissen mittlerweile wirklich gut sind, obwohl ich nie ein entsprechendes Buch gelesen oder eine entsprechende Dokumentation gesehen habe. Ich schaue mir seit ein, zwei Jahren sogar auch wirklich gerne mal eine alte Kirche oder so an, aber länger als zehn Minuten fasziniert mich das einfach immer noch nicht.

Deswegen finde ich es auch so cool, dass wir nach Namibia gehen und endlich mal nicht Stadt um Stadt abgeklappert wird, sondern Landschaft, Tiere und Natur im Vordergrund stehen. Außerdem war ich außer in Kapstadt noch nirgends in Afrika gewesen. Dabei finde ich das Land voll faszinierend und den Bildern nach, die ich mir in ein paar Reiseführern angeschaut habe, hat Namibia eine umwerfende Natur. Ich glaube, dass wird ein richtig guter Urlaub. Zumal Papa gesagt hat, dass er mich dort einem alten Freund vorstellen will, der in Windhoek als Arzt ohne Grenzen tätig ist. Papa denkt, ich will Arzt werden, weil ich meinen Zivi beim Rettungsdienst mache und so viel aufs Abi gelernt habe. Und ich habe es ja auch so gesagt.

Aber irgendwie bin ich mir aber noch nicht so sicher, was ich nach dem Zivi machen will. Ich dachte nur, ich mache mal beim Rettungsdienst das knappe Jahr etwas, um zu sehen, ob mir die Arbeit gefällt. Prinzipiell finde ich den Beruf Arzt nicht schlecht, aber ich weiß nicht, ob mein Abischnitt für das Studium reichen wird. In der dreizehnten Klasse war ich jetzt echt gut, aber ein paar Schnitzer aus der zwölften könnten mir das Medizin-Studium versauen. Mal sehen, was ich jetzt im Abi schreibe. Davon wird alles abhängen.

Marie fände es jedenfalls bestimmt cool, wenn ich Medizin studieren würde. Sie hat schon mal gesagt, dass sie vor Ärzten den meisten Respekt hätte und deren Job bewundern würde. Bestimmt wäre sie beeindruckt von mir, wenn ich Arzt werden würde. Außerdem wäre es eine interessante, berufliche Mischung als Paar: Ich Arzt und sie Journalistin. Sie könnte dann irgendwelche kriminellen Machenschaften aufdecken, dafür Preise bekommen und ich könnte Menschen wieder gesund machen und sie vielleicht sogar vor dem Tod bewahren. Jeder von uns würde so auf unterschiedliche Weise die Welt ein bisschen besser machen.

Ich hoffe wirklich, Marie verlässt Christian. Die beiden sind jetzt schon so lang zusammen, da wird es doch Zeit für etwas Neues. Außerdem passen sie nicht zusammen. Marie ist so ein witziger, cooler und guter Mensch, der nicht zu Christians konservativer, verbissener und karrieregeilen Art passt. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass die beiden auf Dauer miteinander glücklich sind.

Als sie das letzte Mal bei uns waren, war es total komisch zwischen den beiden. Irgendwie gab es da eine Spannung, als existiere irgendein Konflikt, den sie nicht ausgetragen haben. Ich wollte Marie darauf ansprechen, aber dann habe ich es gelassen, da wir uns noch nicht so nahestehen, um über so etwas Privates zu reden. Das wird sich hoffentlich in München ändern. Sie hat schon gefragt, ob wir vielleicht hin und wieder zusammen in Restaurants, ins Kino oder Theater gehen könnten. Ich habe natürlich gesagt, dass das eine Selbstverständlichkeit sei und dass ich mich jetzt schon darauf freue. Bestimmt ist Christian mit ihr kein einziges Mal ins Kino gegangen. Er hasst Kinos, weil ihn die anderen Leute stören, wenn sie reden, Popcorn essen oder mit ihren Beinen an seinen Sitz stoßen. Das ist wieder so typisch für ihn. Manchmal kommt er mir wirklich wie in so einem Elfenbeinturm vor.

Ich jedenfalls gehe gerne ins Kino. Ich finde es toll, sich Filme aufeiner großen Leinwand anzusehen. Da kommen Actionszenen oderLandschaftsaufnahmen einfach viel besser zur Geltung als auf dem Fernseherdaheim. Deswegen werde ich definitiv mit Marie ins Kino gehen. Gerade mit einemMädchen wie ihr, das so lustig und lässig ist, macht das doch besonders Spaß. Überhaupt habe ich vor, viel, sehr viel Zeit mit Marie in München zuverbringen. Ich werde mir diese einmalige Chance nicht entgehen lassen. Christian sollte sich vorsehen.

Stille WasserWhere stories live. Discover now