17; Teil 2: Winter 2004

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Christian

In drei Monaten ist es soweit. Dann wird es ernst mit meiner künftigen Karriere. Wie ich meine Promotion abschließe und wie ich meine Kontakte im Ministerium aufbaue, davon werden wahrscheinlich meine späteren Jobs abhängen. Wenn es mir gelingt, kompetent und vertrauenswürdig zu erscheinen, dann erhöhen sich meine Chancen, dass ich tatsächlich einmal nicht nur für und mit einflussreichen Menschen arbeiten werde, sondern selbst einer sein werde.

Ich habe natürlich nichts dagegen klein anzufangen. Ich weiß, das muss sein. Aber ich möchte schnellstmöglich aufsteigen. Nicht umsonst habe ich öffentliches Recht als Nebenfach belegt und extra Kurse in BWL und VWL belegt. Diese ganzen mühevollen Jahre, der Prüfungsstress und die vielen Praktika in der Privatwirtschaft, in einem Ministerium und letztlich bei der UN sollen nicht vergeudete Zeit gewesen sein. Auch in Berlin möchte ich intensiv an meiner Karriere arbeiten und das Beste draus machen. Die Zeit dazu habe ich, da Marie nun nicht in Hamburg sein wird und wir uns bei der Entfernung, die zwischen uns liegen wird, sicherlich nicht jedes Wochenende sehen werden. Das ist zwar sehr schade, aber in gewisser Weise auch vorteilhaft für mich, da ich so noch einmal wirklich alle Kräfte auf meine Promotion und das Knüpfen nützlicher Kontakte verwenden kann.

Es war auch letztlich Maries eigene Entscheidung, nicht nach Hamburg oder mit mir nach Berlin zu gehen. Sie wollte nach München, obwohl sie mir immer gesagt hat, dass es ihr gleichgültig sei, wo sie ihr Volontariat mache, solange es bei einer der großen, seriösen Zeitungen sei. Vielleicht hat sie aber sonst nur Absagen bekommen und musste deswegen nach München. Ich weiß es nicht. Marie spricht so wenig über ihre Arbeit.

Überhaupt redet sie sehr wenig über sämtliche persönliche Dinge. Es ist eigentlich erstaunlich, wie fantastisch man mit Marie über alles reden kann, was sie nicht selbst betrifft. Bisher hatte ich keinerlei Probleme damit, aber mittlerweile fände ich es schön, wenn sie mich ein bisschen mehr in ihr Leben einbeziehen würde. Immerhin sind wir schon einige Jahre zusammen. Noch nie war ich mit jemanden so lange wie mit Marie zusammen und immer noch bin ich der festen Überzeugung, dass sie die Frau meines Lebens ist. Wir haben so viele Dinge zusammen erlebt und durchgemacht, dass ich mir mehr als sicher bin, dass wir füreinander bestimmt sind. Und bald werden das alle wissen. Denn ich möchte Marie nach ihrem Volontariat, wenn sie zu mir nach Berlin kommt, einen Heiratsantrag machen.

Es ist vielleicht ein bisschen früh, sich zwei Jahre vorher damit zu beschäftigen, aber eigentlich wollte ich ihr schon bei unserem Road Trip die Frage aller Fragen stellen, aber dann hatte ich irgendwie Angst, dass es ihr zu schnell gehen würde. Also habe ich es gelassen. Und ich werde es auch weiterhin lassen, da ich mich nun für Berlin entschieden habe und sie sich für München. Ich möchte keine zwei Jahre von meiner Verlobten geschweige denn Ehefrau getrennt leben. Letztlich haben wir auch noch unser ganzes Leben vor uns und mehr als genug Zeit zum Heiraten und Kinder kriegen. Außerdem können Marie und ich uns so vorerst auf unsere Karriere konzentrieren können und sind nicht von Hochzeitsplanungen abgelenkt.

Möglicherweise ist es auch gut für Marie, zwei Jahre Zeit für sich zu haben, da sie die letzten beiden Jahre nicht den Eindruck gemacht hat, als würde es ihr besonders gut gehen. Zwar habe ich sie nach ihrem Befinden gefragt, aber wie immer hat sie nicht gesagt, ob und wenn ja was los ist. Ein bisschen bedauerlich finde ich das, denn wir sind nun doch schon eine ganze Weile zusammen und sie müsste eigentlich wissen, dass sie mir voll und ganz vertrauen und mir alles sagen kann. Doch es ist ihre Entscheidung und wenn sie mir nichts erzählen möchte, dann akzeptiere ich das.

Es beruhigt mich aber doch, dass sie in München nicht allein ist. Ein wenig Sorgen hatte ich mir deswegen schon gemacht. Ich glaube, das war das Schwierigste für sie als ich in New York und sie in Hamburg war. Sie hat nie von irgendwelchen Freundschaften, die sich in Hamburg entwickelt hätten, erzählt. Daher gehe ich davon aus, dass auch keine zustande gekommen sind. Was mich ehrlich gesagt wundert, da Marie eine offene und lustige Frau ist und an der Uni einen großen Freundeskreis hatte.

Ich bin froh, dass Mark und Marie in eine WG ziehen, da sie so einen Ansprechpartner hat und bei Marks vielen Kontakten bestimmt auch ein paar neue Freunde oder zumindest Bekanntschaften, mit denen sie hin und wieder etwas unternehmen kann, finden wird. Ein weiterer Vorteil an der WG ist, dass sie unter den Augen meines Bruders sicherlich keine Dummheiten macht. Nicht, dass ich davon ausgehe. Aber Vorsicht ist ja bekanntlich besser als Nachsicht und zwei Jahre erneute Fernbeziehung können lange sein. Außerdem bin ich weder blind noch blöd und weiß, wie attraktiv Marie für andere Männer ist. Es könnte also durchaus sein, dass sie beginnt, auf Schmeicheleien anderer stärker zu reagieren, als wenn ich bei ihr wäre.

Daher bin ich wirklich beruhigt, dass Marie mit Mark unter einem Dach lebt, denn das wird sie sicherlich davon abhalten potenzielle Bekanntschaften mit nach Hause zu nehmen oder die Nacht woanders zu verbringen. Denn sie muss stets damit rechnen, dass Mark ihr Verhalten mitbekommt und mir davon erzählt. Ich kann im entfernten Berlin also ruhig schlafen.

Stille WasserWhere stories live. Discover now