11; Teil 1: Sommer 2002

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Marie

Ich hatte Angst, Christian wiederzusehen, nachdem die letzten beiden Male nicht so gut gelaufen waren. Was, wenn es wieder so unangenehm zwischen uns geworden wäre?

Zum Glück aber waren meine Sorgen unbegründet. Die drei Wochen im Februar waren toll. Wir sind viel ausgegangen und auch wenn New York sicherlich nie zu einer meiner Lieblingsstädte gehören wird, finde ich es mittlerweile ganz okay. Man hat wirklich eine Menge Möglichkeiten, um auszugehen, Kultur zu erleben oder entzückende Cafés zu entdecken.

Der Nachteil an der ganzen Sache ist nur, dass man von New York eigentlich nur dann etwas hat, wenn man reich ist. Denn das Ausgehen, schick Essen gehen, Konzerte oder Theater besuchen, kostet alles nicht wenig Geld. Und was macht man in so einer Stadt am Wochenende, wenn nicht eines von diesen Dingen? New York muss furchtbar langweilig, öde und trist sein, wenn man kein Geld besitzt.

Ich habe Glück. Ich habe Christian, der mit mir einfach so mal ein paar Tage nach Washington fliegt und der mir zum fünfundzwanzigsten Geburtstag ein verlängertes Wochenende in Montréal schenkt. Obwohl ich mich wirklich gefreut habe, mal wieder nach Kanada und dazu noch ins wunderschöne Montréal zu kommen, ist es doch komisch, so einen Kurztrip zum Geburtstag geschenkt zu bekommen. Ich meine, wie toppt man so ein Geburtstagsgeschenk? Und wie kann ich mich jemals bei ihm dafür revanchieren?

Außerdem weiß ich nicht, ob es so gut ist, in so einem jungen Alter so viel von der Welt zu sehen. Ich habe fast ganz Amerika gesehen: Ich war in New York, in Washington, wir sind mit dem Auto von New York über Indiana weiter nach Kansas und Colorado bis nach Kalifornien gefahren. Ich war schon fast in ganz Kanada und in Europa auch schon in einigen Städten. Wohin reise ich mit vierzig, wenn das so weiter geht?

Nächstes Jahr will Christian mit mir durch Kanada fahren, damit ich auch er mein Lieblingsland so gut kennen lernt wie ich die USA, das Land seiner Träume. Aber wo soll ich dafür das Geld hernehmen? Ich will nicht, dass er mir andauernd alles bezahlt. Ich würde gerne darauf hinarbeiten, mir etwas leisten zu können. Das macht doch viel mehr Freude, als einfach immer alles ohne Anstrengung haben zu können.

Natürlich war Amerika beeindruckend und die zwei Monate waren wunderschön. Es hat viel Spaß gemacht mit Christian. Wir haben viel von der wirklich vielfältigen und wunderschönen Landschaft Amerikas sehen können. Die Übernachtungen in den Motels und das Essen in Diners gaben mir das Gefühl, in einem Hollywood-Film zu sein. Das hatte schon alles was!

Aber manchmal habe ich Angst, dass ich zu schnell zu viel erlebe. Wir haben doch noch so viel Zeit. Warum muss man alles Mögliche schon in so jungen Jahren machen?

Hinzu kommt noch, dass ich einfach nicht das Geld für so teure Reisen habe und ich möchte, dass diese Amerika-Geschichte eine Ausnahme bleibt. Ich liebe wie Christian auch das Reisen, aber ich reise auch gern nach Frankreich oder Italien, was nicht so teuer ist und trotzdem schön. Andererseits sind nächstes Jahr das letzte Mal die langen Sommersemesterferien, bevor unsere Diplomarbeit ansteht. Danach heißt es dann erst mal ein halbes Jahr schwer rackern und wer weiß, was dann folgt. Vielleicht sollte ich ein letztes Mal beide Augen zudrücken und mich von Christian nach Kanada einladen lassen. Mal sehen. Das ist noch eine ganze Weile hin und wer weiß, was davor oder auch danach alles passiert oder ansteht.

Ich hoffe jedenfalls, dass wir bald endlich zusammen ziehen und nicht mehr getrennt sein werden. Das Jahr war trotz der vielen Male, die wir uns gesehen hatten, nicht einfach. Man hat wenig voneinander gehört, weil die Zeiten so unterschiedlich waren und wir beide arbeiten mussten. Außerdem sind Skype und Handynachrichten auf Dauer nicht ausreichend.

Zum Glück ist diese Zeit jetzt vorbei. Insofern war der Road Trip sicherlich eine gute Sache, da wir uns so wieder näher gekommen sind und zwei sehr intensive und schöne Monate miteinander verbringen konnten.

Ich hoffe, dass es weiterhin so bleibt und wir auch in Deutschland wieder mehr Zeit füreinander finden werden.

Stille WasserDove le storie prendono vita. Scoprilo ora