31; Teil 2: Sommer 2005

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Mark

Es zahlt sich eben doch aus, wenn man geduldig ist. Ganze fünf Wochen hat Marie mich gemieden wie die Pest. Jeglicher Versuch einer Annäherung war kläglich gescheitert. Es war frustrierend. Ich habe mit Julian darüber gesprochen und sogar mit Tim. Von beiden kam dieselbe Antwort, nämlich, dass Marie einen Knall habe, dass sie wegen einem kleinen Kuss so ein Theater machen würde. Dabei kapieren die beiden nicht, dass für Marie so ein Kuss keine Kleinigkeit ist, wenn man mit einem anderen in einer Beziehung ist.

Natürlich war ich ziemlich überrascht über diese, auch in meinen Augen, extreme Reaktion. Aber ich kann sie verstehen. Und ich habe mitbekommen, wie sehr Marie die letzten Wochen gelitten und wie sehr sie das alles mitgenommen hat. Ich wünschte nur, wir hätten früher miteinander sprechen können, dann wäre es uns beiden vielleicht nicht so lange so mies gegangen.

Denn auch mir ging es diese Wochen nicht gut. Immerhin war ich der Auslöser für Maries Zustand. Wenn ich gewusst hätte, was dieser Kuss anrichtet, dann hätte ich mich an jenem Abend zurückgehalten. Aber wie hätte ich das wissen sollen? Ich hätte nie im Leben damit gerechnet, dass Marie sich so gegen ihre Gefühle sträubt. Dabei merke ich doch, dass sie sich zu mir hingezogen fühlt und ihre krasse Reaktion auf den Kuss ist doch nur ein weiterer Beleg dafür, dass sie Gefühle für mich hat, die sie sich einfach nur nicht eingestehen möchte.

Warum hätte sie mich so lange meiden müssen, wenn der Kuss doch keine Bedeutung für sie gehabt hätte, wie sie mir so oft beteuert hat?

Außerdem hat sie fast gar keinen Kontakt mehr zu Christian. Für mich existiert ihre Beziehung nur noch irgendwo im Unterbewusstsein. So wenig wie sich die beiden sehen und voneinander hören, kann von einer innigen Beziehung nicht die Rede sein.

Marie verbringt so viel Zeit mit mir, dass ich bezweifle, dass sie spätabends, wenn wir nach Hause kommen, noch mit Christian telefoniert oder schreibt. Außerdem hat sie sich extra Urlaub genommen, um mit mir eine Woche an den Starnberger See zu fahren. Ich habe sie ja ohne viel Hoffnung gefragt, ob sie Lust hätte, mit mir noch einen kleinen Urlaub zu machen.

Überraschenderweise hat sie sofort eingewilligt und so sind wir letzte Woche mit Maries Auto dorthin gefahren und haben uns ein Doppelzimmer in einer schönen Pension genommen. Auch das hat mich erstaunt. Klar, ein Doppelzimmer ist viel günstiger und es gibt auch welche mit zwei extra Betten, aber ich hätte trotzdem gedacht, dass Marie zwei Einzelzimmer möchte. Aber das war kein Thema für sie.

Das war echt eine super Woche. Wir sind schwimmen und spazieren gegangen, haben eine Schifffahrt gemacht und haben viel geredet und gelacht. Leider gingen die sieben Tage viel zu schnell vorbei. Aber gelohnt haben sie sich trotzdem. Der Urlaub war nicht nur eine echte Erholung, sondern Marie und ich sind uns auch wieder ein Stück nähergekommen. Sie hat mir viel von ihrer Schul- und Studienzeit, ihren Ex-Freunden und ihren Freundinnen erzählt. Es ist auffällig, dass sie bei dem Vielen, das sie erzählt, nie von ihrer Familie spricht. Irgendetwas liegt da bestimmt im Argen.

Ich hoffe, wir reden auch einmal darüber, denn ich glaube, das täte ihr gut. Ich merke, wie gern sie diese ganzen Dinge von sich erzählt, als habe es nie jemanden gegeben, mit dem sie über sich sprechen konnte. Ich freue mich darüber, wie sie sich mir gegenüber öffnet und ich versuche, ihr Vertrauen zu erwidern, indem ich ihr auch viel von mir erzähle: von meinen Ex-Freundinnen, meinem schwierigen Verhältnis zu meinem Vater und dem ewigen Konkurrenzkampf mit Christian. Besonders wenn es um mein Verhältnis zu Christian geht, ist Marie sehr aufmerksam und neugierig.

Ich gebe mir Mühe, nicht allzu schlecht über Christian zu sprechen, weil ich auch Marie nicht gegen ihn aufbringen möchte, aber manche Dinge lassen sich einfach nicht beschönigen. So muss Marie sich das ein oder andere, was sie Christian wahrscheinlich nicht zugetraut hätte, anhören. Ich sehe in ihrem Gesicht, wie sie manche Dinge erschrecken und überraschen. Es ist ein angenehmer Nebeneffekt, dass meine Geschichten mir Marie näherbringen, während sie sie von Christian entfernen.

Stille WasserDonde viven las historias. Descúbrelo ahora