Champagner für den Pöbel

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,,Ein bekannter Wasserfall in der Schweiz, gemalt von einem der bekanntesten britischen Künstler der Romantikepoche", sage ich belehrend und wedle mit meiner Gabel vor seinem Gesicht. ,,Naturmotive waren dafür typisch. Und Wasser ist nun mal ein mächtiges Naturelement, das die Menschen schon immer gleichermaßen gefürchtet und fasziniert hat."

Sherlock würdigt meine Erklärung nicht mit einer Reaktion.

Ich schürze die Lippen und beäuge ihn kritisch. ,,...Sie würden auch die Mona Lisa im Hausmüll entsorgen, oder?", frage ich verzweifelt, aber ein Lächeln schleicht sich in meine Stimme.

Sherlock reibt sich über die Stirn und lehnt sich zurück.

,,Kunst ist nicht dafür da, um schön auszusehen", meine ich und fahre mir mit meiner Serviette über die Mundwinkel, um eventuelle Soßenspuren zu beseitigen. ,,Es soll Gefühle beim Betrachter auslösen - positive und negative. Das ausdrücken, was sich zu schwer in Worte fassen lässt und vom Betrachter verstanden werden kann, ungeachtet von Literarität oder Landesgrenzen. Eine universale Sprache."

Mein Blick wandert zurück zu der Zeitungsseite, die aufgeschlagen vor mir liegt, und ich mustere das Foto von der Pressekonferenz eine Weile lang intensiv.

,,Ja, gut okay!", seufze ich schließlich und werfe die Hände in die Luft. ,,Es ist ein langweiliger Wasserfall in Braun und Grüntönen. Ich hab' auch keine Ahnung, warum das so berühmt ist!"

Zufrieden lehnt sich Sherlock zurück.

*

,,Die haben ihm sogar Manschettenknöpfe mit Diamanten geschenkt", erzählt mir John, als er die Tür des Restaurants für mich offen hält.

Es ist bereits dunkel geworden und in den Pfützen auf dem Asphalt der Straße spiegeln die vielen Lichter der Straßenlaternen und Reklametafeln der Davies Street.

Kalte Luft schlägt mir entgegen, auch wenn der Regen zumindest für den Augenblick versiegt ist, und lässt die müde Trägheit, die das Essen und die Wärme im Angelos' zurück gelassen hat, weichen.

Die Straßen von Zentrallondon sind belebt und es fühlt sich gleichermaßen lächerlich und herrlich gewöhnlich an, wie wir uns an der großen Kreuzung vor dem Angelos' zwischen den Touristen und den einheimischen Büroangestellten, die in smart business wear den Feierabend vor dem Wochenende mit Drinks ausklingen lassen, vorbeischlängeln, bis wir auf die Garden Street einbiegen und es um uns herum ruhiger wird. Naja, auch wenn wir uns beim Abendessen über den Diebstahl eines 1,8Mio. Pfund teuren Gemäldes und der Aussagekraft von der Analyse von 38 Jahre alten menschlichen Knochen (anderer Fall, offensichtlich) unterhalten haben. Aber wir gehen dabei beinah als "gewöhnlich" durch, oder?

Ich werfe einen raschen Blick auf mein Handy. 21:25. Die Baker Street ist ungefähr eine viertel Stunde zu Fuß entfernt.

Ich habe die letzten zwei Wochen damit verbracht, mich in meinem Büro in der Universität wieder ein zu leben. Die Physiotherapie hat sich auf einmal alle zwei Woche reduziert. Das Laufen fällt mit sehr viel leichter und mein Knie schmerzt nur noch gelegentlich, ein dumpfe Erinnerung an das Geschehene, die langsam schwächer wird.

Es ist nicht einfach.
Aber wenn ich nachts aus Alpträumen aufwache und auf die Decke meines Schlafzimmers starre und darauf warte, dass die Wirklichkeit wieder ganz zurückkehrt, höre ich durch die Wände des alten Hauses leise die Musik von Sherlocks Geige nach oben dringen oder früh morgens das leise, brummende Sprudeln eines Wasserkochers aus Mrs. Hudsons Wohnung im Erdgeschoss, deren Bewohnerin manchmal vor dem Sonnenaufgang von einer schmerzenden Hüfte geweckt wird und nicht wieder einschläft, zu hören ist -

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⏰ Letzte Aktualisierung: Jan 18 ⏰

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