Kapitel 111 - Slice of Life - A New Life

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Erschöpft ließ Sheila sich in ihr Bett fallen. Heute war die Arbeit besonders anstrengend gewesen, denn einer der Gäste hatte einen Schwächeanfall bekommen und Sheila hatte mit helfen müssen, alle anderen Gäste zu beruhigen, bis der Krankenwagen gekommen war. Kaum dass sie zu Hause angekommen war, hatte sie sich unter die Dusche gestellt und sich von dem heißen Wasser berieseln lassen. Noch immer schmerzte Jonathans Abwesenheit, doch gleichzeitig wusste sie, dass er das brauchte. Nicht nur er würde sonst durchdrehen, sondern sie selbst auch. Sheila kuschelte sich in seine Decke, doch in der letzten Nacht war ziemlich viel von seinem Geruch von ihrem eigenen überdeckt worden. Dennoch vergrub sie für einen Moment die Nase darin, doch dann griff sie nach ihrem Handy, um sich den Wecker zu stellen. Immerhin wollte Lisa sie schon recht früh abholen und da wollte sie nicht verschlafen. Als sie auf ihr Handy sah, durchfuhr sie ein Schock. Jonathan hatte versucht sie anzurufen, als sie gerade seelenruhig unter Dusche gestanden und unnötig viel Wasser verschwendet hatte. Sie spürte, wie ihre Hände anfingen zu zittern und fieberhaft überlegte sie, was sie nun tun sollte. Ihn zurückrufen? Vielleicht war ihm ja etwas passiert? Doch gleichzeitig ärgerte sie sich über sich selbst. Immerhin war er ihr Mann und sie sollte nicht wie ein aufgeregter Teenager darüber nachdenken müssen, ob sie ihn nun zurückrufen sollte oder nicht. Schnell klickte sie auf das Rückrufsymbol, legte sich auf den Rücken und presste sich das Handy ans Ohr. Schon nach dem ersten Klingeln meldete Jonathan sich. „Hey", begrüßte er sie und kurz suchte sie nach etwas in seiner Stimme, das nach Frust oder Wut klang, doch sie fand nichts. Eigentlich klang er sogar recht gut gelaunt. „Hey, du hast angerufen", erwiderte sie und schluckte einen Kloß in ihrer Kehle hinunter. Seine Stimme war so vertraut und doch weckte sie einen tief sitzenden Schmerz in ihr. All die Worte, die er zu ihr gesagt hatte, nur um sie zu verletzen drangen wieder in ihre Erinnerung. „Ja, ich... wollte nur mal fragen, wie es dir geht und was du so machst", sagte er und klang ein wenig schüchtern, beinahe so, wie er immer geklungen hatte, als sie sich gerade kennengelernt hatten. „Ich war gerade duschen, deswegen habe ich deinen Anruf verpasst. War heute anstrengend auf der Arbeit", berichtete sie und mit jedem Wort löste sich ihre Anspannung. „Dann bist du bestimmt müde", sagte er und Sheila bekam Panik. Sie wollte nicht, dass er sie schon wieder abwimmelte. „Nein! Ich... bin noch ziemlich aufgeheizt von der Dusche", sagte sie schnell, doch er brummte nur. „Wie war denn dein Tag?", fragte sie und hoffte so, ihn zum Reden zu bringen. Für einen Moment schwieg er und sie fragte sich, ob er es bereute, sie angerufen zu haben. „Ich war heute bei Karl und Laura", sagte er dann. „Wie war es denn bei ihnen?", fragte sie weiter, denn es tat so gut, seine vertraute Stimme zu hören. „Laura hat doch seit kurzem einen kleinen Radiosender und sie hat mich gefragt, ob ich nicht Lust hätte, mit ihr zusammen eine Sendung zu machen", berichtete er dann und Sheila stieß ein neugieriges Geräusch aus. „Ja, wir haben eigentlich die ganze Zeit nur gequatscht und es aufgenommen. Und sie hat mich gefragt, ob ich nicht mal ein Lied schreiben könnte, was wir dann zusammen aufnehmen", fuhr er fort. Das überraschte Sheila, denn anscheinend hatte Laura es geschafft, ihn wieder für seine Arbeit zu motivieren. „Klingt ziemlich cool", erwiderte sie und ein Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus. Sie hoffte wirklich, dass er wieder Spaß an seiner Arbeit bekam. „Ja, sie wollte vielleicht demnächst mal vorbei kommen, wäre das okay?", fragte er dann unsicher, als befürchtete er, sie würde etwas dagegen haben. „Klar, es würde mich freuen, wenn ihr beide was Cooles zusammen auf die Beine stellt", antwortete sie und versuchte möglichst locker zu klingen. Jonathan schwieg eine Weile und gerade als Sheila den Mund aufmachte, um ihn weiter nach der Radiosendung zu fragen, murmelte er etwas so leise, dass sie es kaum verstand. „Du fehlst mir", sagte er und sofort beschleunigte sich ihr Herzschlag. „Du fehlst mir auch", sagte sie sanft und strich unwillkürlich mit dem Finger über seine Bettdecke. „Ich...", setzte er an, doch er unterbrach sich. „Was?", fragte sie möglichst einfühlsam, denn sie wollte wissen, was in ihm vorging. Er stöhnte und es raschelte im Hintergrund, als würde er sich im Bett umdrehen. „Ich würde am liebsten sofort wieder zu dir zurückkommen. Aber ich habe Angst, dass ich noch immer... du weißt schon, so genervt bin. Und ich weiß nicht, ob du...", sagte er, dann hielt er wieder inne. Sheilas Herz pochte ihr bis zum Hals, denn sie hatte nicht erwartet, dass es ihm so schwer fallen würde, ein paar Tage nicht bei ihr zu sein. Immerhin war er doch derjenige gewesen, der den Kopf frei kriegen wollte. Doch gleichzeitig war ihr klar, was er sie fragen wollte. Sheila überlegte, wie sie es ihm sagen sollte, ohne ihn zu verletzen. Zwar vermisste sie ihn schmerzlich und sie wollte ihn auch lieber bei sich haben, allerdings glaubte sie genau wie er selbst anscheinend, dass seine Auszeit rein gar nichts gebracht hatte, wenn sie sie so schnell schon wieder beendeten. Sie atmete tief durch und schloss die Augen, in der Erwartung, dass er wütend werden würde. „Gib dir noch etwas Zeit. Es bringt nichts, wenn du zurückkommst und sich nichts geändert hat", sagte sie dann in einem Rutsch und wieder blieb es still am anderen Ende der Leitung. Für ein paar Sekunden lauschte sie seinem aufgeregten Atem. „Ich will nicht sagen, dass ich dich nicht auch vermisse, aber... wenn du zurückkommst und wir zwei Stunden später schon wieder streiten und du noch immer unzufrieden und frustriert bist, stehen wir am gleichen Punkt wie am Sonntag", erklärte sie weiter und endlich reagierte er. Allerdings mit einem zitternden Seufzen. Weinte er? Sheila spürte, wie ihre Brust eng wurde, doch sie blieb bei ihrem Standpunkt. Bevor er gefahren war, hatte sie Panik vor dem Alleinsein gehabt, doch nun ging es ihr doch eigentlich ganz gut. Sie freute sich auf den Einkaufsbummel mit Lisa und sie fühlte sich, als könnte sie endlich befreit durchatmen. „Okay, dann...warten wir noch. Aber dass ich spätestens am Wochenende zurückkomme steht doch noch, oder?", fragte er dann mit erstickter Stimme. „Ja, das hatten wir doch abgemacht. Vielleicht kannst du ja auch schon am Donnerstag wieder zurückkommen, je nach dem, wie es uns geht. Aber jetzt ist es einfach noch zu früh", sagte sie entschieden und war tatsächlich etwas überrascht von sich selbst, dass sie nicht einknickte. Jonathan schniefte, was ihr fast das Herz brach, doch sie wollte nicht riskieren, dass alles umsonst gewesen war. „Über was habt ihr denn in der Radiosendung gesprochen?", fragte sie dann, in der Hoffnung, ihn ein wenig ablenken zu können, doch nun fing er richtig an zu schluchzen. Sheila wusste nicht so recht, wie sie damit umgehen sollte, denn es war komisch, jemanden am Telefon zu trösten. Nach ein paar Sekunden fing er sich jedoch wieder. „Ein bisschen über die Arbeit, aber hauptsächlich über unsere Reise. Ich... ich muss die ganze Zeit daran denken, wie glücklich wir damals waren", stammelte er dann und sofort nickte Sheila, obwohl er es nicht sehen konnte. „Und genau so glücklich werden wir auch wieder sein", versprach sie und hoffte, dass sie recht behielt. Jonathan murmelte etwas Zustimmendes. „Ich hoffe, ich kann dich wieder glücklich machen. Aber jetzt sollten wir schlafen, okay?", fragte er, noch immer leise schluchzend. Obwohl Sheila am liebsten zum Einschlafen seiner Stimme gelauscht hätte, wäre es für ihn sicherlich besser, wenn sie auflegten. Anscheinend war er noch immer durch den Wind. „Okay. Es war schön, deine Stimme zu hören", sagte sie dann, was ihn leise lachen ließ. „Gleichfalls", erwiderte er und Sheila grinste. „Dann schlaf gut. Meld dich ruhig, wenn du willst, okay?", fragte sie dann noch und er bejahte schnell. „Wir sehen uns spätestens am Wochenende", sagte sie dann. „Spätestens. Ich liebe dich", erwiderte er und klang dabei so ernst, als wollte er sicher gehen, dass sie es nicht vergaß. „Ich liebe dich auch", gab sie zurück, dann legte sie auf. Seufzend legte sie ihr Handy zurück auf den Nachttisch, ließ sich in die Kissen fallen und schlug die Hände vors Gesicht. Niemals hätte sie erwartet, dass es ihn so mitnehmen würde. Doch Sheila konnte nur allzu gut nachvollziehen, wie er sich fühlte. Manchmal glaubte man, dass man es in einer Situation nicht mehr aushielt, aber wenn man dann aus dieser geflohen war, wünschte man sich mehr als alles andere wieder zurück mitten hinein. Doch bei ihr war es anders. Sie wollte nicht wieder von Jonathan weinend stehen gelassen werden und dann auch noch Dinge an den Kopf geworfen bekommen, die absolut schwachsinnig und absichtlich verletzend waren. Natürlich war es falsch, sich von Leonard so berühren zu lassen, doch seine Reaktion war ebenso falsch. Sheila hörte, wie ihr Handy vibrierte und obwohl sie eigentlich schlafen wollte, warf sie noch einen Blick darauf. Jonathan hatte ihr eine Nachricht geschickt und schnell klickte sie sie an. Obwohl sie ein paar Tage nicht an ihn denken wollte, war sie neugierig, was er schrieb. „Bitte verzeih mir, es tut mir alles so leid. Ich weiß, du willst mich nicht sehen, aber ich merke erst jetzt, wie sehr du mir fehlst", schrieb er, doch Sheila antwortete nicht. Sie hatten doch genau darüber vor zwei Minuten geredet. Sie legte das Handy wieder beiseite, drehte sich um und schloss die Augen. Morgen würde ein schöner Tag werden und dafür musste sie ausgeruht sein. 

Slice of Life - A New Life (in Überarbeitung)Where stories live. Discover now