Kapitel 83 - Slice of Life - A New Life

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Fassungslos starrte Sheila auf ihr Handy. Immerhin wusste sie nun, dass er nicht über alle Berge war und wieder kommen würde, doch sie hatte trotzdem ein wenig Angst. Anscheinend waren sie an einem Punkt angekommen, an dem er erst einmal nicht mehr weiter machen wollte. Eine Auszeit war doch schon so etwas wie Schluss machen. Tränen liefen ihr unkontrolliert über die Wangen, doch sie schaffte es nicht, sie zurück zu halten. Sie versuchte noch einmal, Jonathan anzurufen, doch natürlich ignorierte er ihren Anruf. Allmählich wurde sie panisch und sie fing an, im Wohnzimmer auf und ab zu gehen. Was sollte sie nun tun? Offensichtlich wollte er nicht mit ihr reden, zumindest nicht jetzt, doch es machte sie verrückt nicht zu wissen, wo er war. Noch eine Nachricht würde sie ihm schreiben, dann würde sie ihn in Ruhe lassen. „Wo bist du?", tippte sie erneut und schickte die Nachricht ab. Sie schaltete an ihrem Handy den Ton ein, damit sie es mitbekommen würde, wenn er ihr antwortete, doch sie legte ihr Handy auf den Esstisch, damit sie nicht alle drei Sekunden darauf schaute. Sie zwang sich, Ruhe zu bewahren und atmete ein paar Mal tief ein und aus, doch es brachte herzlich wenig. Noch immer liefen ihr die Tränen in Strömen über die Wangen und sie wischte sie mit dem Handrücken weg. Sie setzte sich wieder aufs Sofa, schnappte sie ein Kissen und drückte es fest an sich. Tausend Gedanken schossen ihr durch den Kopf. Wo konnte er nur hingefahren sein? War er bei Karima? Nein, das glaubte sie eigentlich nicht. Das Klingeln ihres Handys riss sie aus ihren Gedanken und blitzschnell war sie beim Esstisch und klickte auf die Nachricht. Doch sie war nicht von Jonathan, sondern von Leonard. Verwirrt öffnete sie sie. „Er ist bei mir. Bist du in Ordnung? Er meinte, er hätte gemeine Dinge zu dir gesagt", schrieb er und Sheila stieß einen erleichterten Laut aus. Endlich versiegten ihre Tränen und sie beruhigte sich ein wenig. Wenn er bei Leonard war, konnte er zumindest keine Dummheiten anstellen wie zum Beispiel zu Karima zu fahren und sich von ihr abknutschen zu lassen. Mit zitternden Fingern tippte sie eine Nachricht an ihn zurück. „Gut, dann bin ich erleichtert. Ich hatte Angst, dass er einfach verschwindet und ich ihn nie wieder sehe. Vielleicht redet er ja mit dir, er ist bei mir im einen Moment gut gelaunt und dann auf einmal springt irgendetwas in ihm um und er motzt mich an", schüttete sie ihm ihr Herz aus und sie sah, dass er sofort eine Antwort tippte. Mit noch immer zittrigen Händen setzte sie sich auf einen der Stühle am Esstisch und wartete, bis seine Nachricht ankam. Wusste Jonathan, dass er ihr schrieb und sagte er ihm vielleicht, was er ihr sagen sollte? Wahrscheinlich nicht, denn wenn er etwas hätte sagen wollen, hätte er auch einfach an sein Telefon gehen können. „Mach dich nicht verrückt. Ich bin mir sicher, dass es nicht an dir liegt. Aber er meinte, dass er frustriert wäre und manchmal von Dingen genervt ist, die du sagst und er lässt seine Wut und seinen Frust dann an dir aus", schrieb Leonard und sie beeilte sich, ihm zu antworten. Immerhin schien er gerade ein wenig Zeit zu haben. „Bedeutet eine Auszeit, dass er Schluss machen will? Er hat gerade geschrieben, dass er eine Auszeit will", fragte sie ihn und beinahe hätte sie ihm von ihrer Schwangerschaft erzählt. Beziehungsweise der Möglichkeit, dass sie vielleicht schwanger war. Doch das ging ihn doch eigentlich nichts an und Jonathan würde es mit Sicherheit alles andere als toll finden. Immerhin hatte sie es schon Matthias und Johnny erzählt. „Ich denke eine Auszeit heißt nicht direkt, dass er Schluss machen will. Es scheint auch eher eine Auszeit von allem zu sein, nicht nur von dir. Mach dir keine Gedanken. Es wird schon alles wieder", schrieb er und tatsächlich schlich sich für eine Sekunde ein Lächeln auf ihre Lippen. Hoffentlich hatte Leonard recht, denn sonst würde eine ihrer größten Ängste Wirklichkeit werden. Sie wäre schwanger und wurde von dem Vater des Kindes allein gelassen. Sie würde sich allein um ein Baby kümmern müssen und irgendwann mit Sicherheit die unangenehme Frage nach dem Vater beantworten müssen. Neue Tränen bildeten sich, doch sie blinzelte sie weg. Doch es drängte sich noch ein ganz anderer Gedanke auf. Wenn sie allein sein würde, wahrscheinlich überfordert mit dem Kind und Ville tauchte wieder auf, wusste sie nicht, was sie tun würde. Wenn er sich an sie heranschmiss und sie noch um Jonathan trauern würde, war sie mit Sicherheit empfänglich für seine Annäherungsversuche. Doch wollte sie das wirklich? Wollte sie wieder mit Ville zusammen sein, obwohl sie wusste, zu was er fähig war? Und würde er sie überhaupt akzeptieren mit dem Kind von einem Anderen? Hatte Jonathan recht und er war nur ein Lückenbüßer, bis Ville wieder aus dem Gefängnis kam? Nein! Erschrocken von sich selbst holte sie sich wieder zurück in die Realität. Verfluchte Gedanken. „Danke, dass du mir Bescheid gesagt hast. Ich bin fast durchgedreht", schrieb sie an Leonard, doch sie hatte zu lange gewartet. Auch nach fünf Minuten war noch keine Antwort gekommen. Sie legte ihr Handy vor sich auf den Tisch, tätschelte sich ein paar Mal die Wangen und straffte die Schultern. Alles wird wieder gut, wiederholte sie wie ein Mantra. Sie hatte noch etwas mehr als eine Stunde, bis sie zur Arbeit losfahren musste und sie beschloss, ein wenig aufzuräumen. Obwohl es noch nicht wirklich unordentlich war, schüttelte sie jedes Kissen auf dem Sofa auf und wischte imaginäre Staubkörner vom Tisch. Es fühlte sich gut an, sich zu beschäftigen, denn so konnte sie sich ein wenig von ihren Gedanken ablenken. Zumindest von den negativen, denn sie dachte an das Mittagessen bei ihrem Vater zurück. Zwar hatte sie sich fest vorgenommen, mit Lisa über Jonathan zu reden, doch sie war gar nicht dazu gekommen. Matthias und Jonas waren auch da gewesen und ihr Vater hatte fast die ganze Zeit auf Matthias eingeredet, wie es nun weitergehen sollte. Offensichtlich war er deutlich mehr von seiner Diagnose überrascht als sie selbst, denn er wirkte fahrig und auch etwas verzweifelt. Lisa hatte ihm die ganze Zeit die Hand gehalten und gleichzeitig Matthias vielsagende Blicke zugeworfen. Das mochte sie so an Lisa. Sie stand immer hinter ihrem Vater, doch gleichzeitig setzte sie sich für Matthias und sie ein. Obwohl sie nur acht Jahre älter war als sie selbst, sah sie sie ein wenig wie eine Mutter. Oder vielleicht eher wie eine weise Freundin, die einen ziemlich großen Einfluss auf ihren Vater hatte. Ja, so würde sie Lisa beschreiben. Sheila wusste, dass Matthias genau so über sie dachte und obwohl er zunächst skeptisch gewesen war, ob die Beziehung halten würde, schien er sich oft von ihr Tipps zu holen. Sheila warf einen Blick auf die Uhr. Langsam konnte sie sich frisch machen und sich für die Arbeit umziehen. Sie holte sich ein frisches Hemd aus dem Schrank, denn auf das von gestern hatte sie Schokopudding gekleckert. Sie zog sich im Schlafzimmer um, dann ging sie ins Bad und richtete ihre Frisur. Sie betrachtete sich für einen Moment im Spiegel, doch sah schnell wieder weg. Sie sah furchtbar aus, doch sie versuchte nicht, es irgendwie mit viel zu viel Schminke zu überdecken. Es würde nicht funktionieren. Schließlich machte sie sich auf den Weg zur Arbeit, doch kaum dass sie losgefahren war, wählte sie über die Freisprechanlage Lisas Nummer. Sicherlich würde sie einen Rat für sie haben. „Hallo", meldete sie sich mit fröhlicher und auch überraschter Stimme, immerhin hatten sie sich erst heute Mittag gesehen. „Hey", sagte Sheila nur, dann wusste sie auf einmal nicht mehr, was sie sagen sollte. „Ist alles in Ordnung mit dir?", fragte sie besorgt und Sheila war ihr dankbar, dass sie so feinfühlig war und bemerkte, dass es ihr schlecht ging. „Ich weiß nicht. Vorhin war gar keine Gelegenheit, es anzusprechen, aber... Jonathan will eine Auszeit", sagte sie dann geradeheraus und säße sie nicht im Auto hätte sie sie Augen geschlossen. „Wie meint er das? Was genau hat er gesagt?", frage sie und Sheila berichtete er, wie sie das Haus und das Studio verlassen vorgefunden und es ewig gedauert hatte, bis er ihr eine Nachricht geschrieben hatte. „Wann will er zurück kommen?", fragte Lisa, doch Sheila seufzte. „Er meinte, er ist da, wenn ich von der Arbeit komme. Vielleicht kann ich ihn überzeugen, dass er bleibt", sagte sie, doch sie merkte selbst, dass sie hoffnungslos klang. Lisa schien einen Moment zu überlegen, denn sie schwieg. „Dräng ihn nicht. Wenn er ein paar Tage für sich sein will, kannst du auch immer zu uns kommen. Vielleicht will er noch seinen Geburtstag abwarten. Ihr habt doch eine kleine Feier geplant, oder?", fragte Lisa dann und Sheila bejahte. Doch ihr Tipp, ihm Zeit zu geben, wenn er welche brauchte klang einfacher gesagt als getan. Sie würde durchdrehen, wenn er einfach davon fuhr, ohne ihr zu sagen wo er war und wann er wieder zurück kam. „Vielleicht hast du recht. Es wird schwer, ihn gehen zu lassen. Aber meinst du, dass er... dass er sich vielleicht trennen will?", wollte sie dann wissen, doch dieses Mal antwortete Lisa direkt. „Nein, ich glaube nicht. Er scheint mit irgendetwas ein Problem zu haben oder vielleicht hat er auch einfach nur viel Stress", sagte sie und tatsächlich fiel Sheila ein Stein vom Herzen. Lisa war anscheinend der gleichen Meinung wie Leonard, dass sich alles wieder einrenkte. „Okay, das wäre wirklich gut, denn...", plapperte sie los und beinahe hätte sie herausposaunt, dass sie überfällig war. Sie biss sich auf die Zunge, denn sie wollte sich nicht vorstellen wie peinlich es werden würde, wenn sie es allen herumerzählte und sie nun doch nicht schwanger war. Immerhin bestand diese Möglichkeit noch. Sheila hörte wie Lisa die Luft anhielt, dann wurde eine Tür geschlossen. „Sheila, ich bin allein. Aber... bist du schwanger?", fragte sie mit gedämpfter Stimme. Sheila konnte sich nicht erklären, wie sie das erraten hatte, doch sie war erleichtert, dass sie es fragte. Sie seufzte. „Ich weiß es noch nicht. Ich hätte meine Periode letztes Wochenende bekommen müssen, aber bis jetzt kam noch nichts", sagte sie und wieder blieb es für ein paar Sekunden still am anderen Ende der Leitung. „Weiß er es?", fragte sie dann. „Ja, er weiß es. Wir wollten am Wochenende einen Test machen", antwortete sie. „Oh je... Wenn du willst, kannst du mich anrufen, wenn ihr heute Abend geredet habt. Egal um wie viel Uhr. Aber bitte lass ihm Zeit, wenn er sie braucht. Wenn er ein paar Tage keinen Kontakt will, dann halte dich daran. Nur so kann er sich erholen und wieder sammeln", sagte sie dann streng und Sheila wusste instinktiv, dass sie recht hatte. „Okay. Ich versuche es. Aber... was ist, wenn ich es nicht schaffe? Oder wenn er merkt, dass es ihm ohne mich viel besser gefällt?", fragte sie dann und spürte, wie Panik in ihr aufstieg. „Ich helfe dir. Du schaffst das. Außerdem glaube ich nicht, dass es ihm ohne dich besser gefällt. Er liebt dich und ich bin mir ziemlich sicher, dass er nach seiner Auszeit zurück kommt", versuchte Lisa sie aufzumuntern, doch es gelang ihr nur bedingt. Die Aussicht, von Jonathan getrennt zu sein, auch wenn es nur ein paar Tage waren, klang fürchterlich. „Danke. Ich melde mich spätestens morgen, aber ich muss jetzt arbeiten", sagte sie dann, obwohl sie noch gar nicht am Varieté angekommen war. „Okay. Mach dich nicht verrückt. Er wird dich nicht verlassen, glaub mir. Pass auf dich auf und wir hören uns morgen", verabschiedete Lisa sich, dann legte sie auf. Sheila atmete zitternd ein und aus, doch es hatte ihr wirklich geholfen, Lisas Ratschläge zu hören. Sie fühlte sich nicht mehr ganz so hilflos und glaubte vielleicht, dass Jonathan sich nicht von ihr trennen wollte. Oder zumindest darüber nachdachte. Sie fuhr weiter die Landstraße entlang, doch es kam ihr noch wie eine Ewigkeit vor, bis sie beim Varieté ankam. Die Aussicht, dass sie noch acht Stunden Arbeit vor sich hatte, ließ sie stöhnen. Am liebsten würde sie die Zeit vorspulen und schon bei Jonathan sein. Auch wenn er gemein zu ihr gewesen war, wollte sie nicht, dass er ging. Sie wollte, dass er wieder der Alte war, der in den letzten Tagen kurz hinter seiner grummeligen Maske hervorgeschaut hatte. Sie straffte die Schultern, schnappte sich ihre Handtasche und stieg aus. Genau in diesem Moment fuhr ein bekanntes Auto auf den Parkplatz und sie wartete, bis Karim geparkt hatte. Sie hatte ihn schon seit ein paar Tagen nicht gesehen, doch gleichzeitig musste sie daran denken, dass Karima seine Schwester war. „Hi", begrüßte er sie, als er zu ihr kam. Sie lächelte ihn an, doch es musste eher wie eine Fratze aussehen. „Wie geht's?", fragte Karim, der anscheinend nichts bemerkt hatte. Kurz überlegte sie, ob sie ihn auf Karima ansprechen sollte, doch sie glaubte, dass er nicht wirklich wusste, was sie mit Jonathan abzog. „Gut", log sie stattdessen und ging weiter mit ihm den roten Teppich entlang bis zum Eingang des Varietés. „Und dir?", fügte sie noch hinzu, doch er seufzte nur als Antwort. Neugierig sah sie ihn an, doch er schwieg. „Was ist denn?", hakte sie nach, woraufhin er ihr einen Blick zuwarf, der irgendwie besorgt aussah. „Ach, es ist verwirrend und bescheuert. Ich weiß auch nicht, ob ich es dir sagen sollte oder nicht, weil ich mir nicht ganz sicher bin, ob es die Wahrheit ist", druckste er herum, doch Sheila war sofort klar, dass es um Karima und Jonathan ging. „Wenn es um deine Schwester und meinen Mann geht, dann sag es mir", forderte sie und packte seinen Arm. Wieder seufzte er, doch dann machte er eine Kopfbewegung in Richtung der Toiletten. Der Gang, in dem sie lagen war etwas abseits und solange noch keine Besucher hier waren, konnte man dort ungestört reden. Karim blieb etwa in der Mitte des Ganges stehen und lehnte sich mit dem Rücken an die Wand. Es schien ihm schwer zu fallen, es auszusprechen, doch Sheila wollte es hören. „Sie hat mir da was erzählt, aber ich bin mir nicht sicher, ob es die Wahrheit ist. Denn eigentlich machte dein Mann auf mich nicht den Eindruck, dass er so etwas tun würde", setzte er an, doch dann verstummte er. Sheila wurde unruhig. „Was hat sie gesagt?", fragte sie drängend und fing an, unruhig mit dem Fuß aufzutippen. Karim suchte ihren Blick und sie sah ihm direkt in die dunklen Augen. „Sie meinte, dass sie Jonathan ein Video geschickt hat, wie er bei ihr im Wohnzimmer war. Sie meinte, dass er zwar rausgestürmt ist, nachdem sie ihn geküsst hat, aber sie hat ihn eingeholt und er ist mit ihr zurück ins Haus gegangen. Ins Schlafzimmer", sagte er und sah sie entschuldigend an. Sheila glaubte, in einen Abgrund zu stürzen. Das musste eine Lüge sein. Woher sollte Karima denn wissen, dass Jonathan ihr erzählt hatte, was passiert war? Dass er danach mit ihr ins Bett gegangen sein sollte, klang einfach nur unlogisch. „Sie meinte, dass er frustriert war und so einmal seinen ganzen Frust ablassen konnte", erklärte er weiter. Fassungslos schüttelte sie den Kopf. „Das glaube ich nicht", stammelte sie, doch ganz hinten meldete sich eine kleine, verunsicherte Stimme. Sollte er wirklich mit ihr geschlafen haben, war er ein ziemlich guter Lügner. Außerdem bedeutete das, dass er sich mit Karima abgesprochen haben musste. Sie hatte ihm das Video geschickt, damit er den „Beweis" hatte, dass er nichts gemacht hatte. „Es tut mir wirklich leid. Meine Schwester ist eine Lügnerin und es ist gut möglich, dass sie sich das nur ausgedacht hat, aber... ich dachte mir, dass du es wissen solltest. Ich habe ihr gesagt, dass sie ihn in Ruhe lassen soll, aber wenn sie sich einmal etwas in den Kopf gesetzt hat, dann ist es schwer, sie wieder davon abzubringen", fuhr er fort und nun wurde sein Blick mitleidig. Er hatte Mitleid mit ihr, dass Jonathan sie vielleicht betrogen hatte. Sheila dachte daran, wie er ihr versichert hatte, dass nur das passiert war, was sie in dem Video gesehen hatte. Gefühlte zwanzig Mal hatte er sich entschuldigt. Und doch war er gleichzeitig komisch und gemein. Vielleicht hatte er deswegen so empfindlich reagiert, als sie ihm im Auto gesagt hatte, dass sie eifersüchtig war. Vielleicht überkam ihn sein schlechtes Gewissen und er hatte nicht genug Mut, um zuzugeben, dass er wirklich Mist gebaut hatte. „Sheila?", riss Karims Stimme sie aus ihren Gedanken, doch er hörte sich ganz weit weg an. Ihre Knie wurden weich und sie klammerte sich hilfesuchend an seinem Arm fest, damit sie nicht auf den Boden knallte. Konnte es sein, dass Jonathan eine Auszeit von ihr wollte, weil er es mit Karima probieren wollte? Sie hörte sich selbst schluchzen, ehe sie es verhindern konnte und schnell presste sie die Hand auf den Mund. „Hey, komm mit. Ich hab dich", sagte Karim, dann spürte sie, wie er sie in Richtung der Toiletten zog. Sie ließ sich von ihm führen und fand sich schließlich am Waschbecken wieder. Sie stützte sich darauf ab, damit sie nicht fiel, denn ihre Knie schlotterten wie verrückt. „Hier, halt deine Hände darunter, das hilft", sagte Karim und drehte das Wasser auf. Sie gehorchte und tatsächlich tat es gut, das eiskalte Wasser über ihre Handgelenke laufen zu lassen. Nur langsam beruhigte sie sich wieder, doch nach ein paar Minuten riss sie sich zusammen. Sie drehte das Wasser wieder ab, tupfte sich die Tränen von den Wangen und atmete ein paar Mal tief durch. Sie zog ein paar Papierhandtücher als dem Spender und trocknete sich die Hände ab, dann wandte sie sich Karim zu. „Danke, dass du mir das gesagt hast", sagte sie und versuchte, zu lächeln. „Willst du nicht lieber nach Hause fahren? Du siehst gar nicht gut aus", fragte er und musterte sie besorgt. Langsam schüttelte sie den Kopf, doch die Vorstellung, sich in ihr Bett zu legen und einfach nur zu weinen war verlockend. „Na gut. Dann komm, sonst sind wir zu spät", fuhr er fort, stützte sie am Ellbogen und führte sie so bis in den Spindraum. Sheila packte ihre Tasche in ihren Spind, ohne noch einmal auf ihr Handy zu sehen. Zwar glaubte sie nicht, dass Jonathan sich noch einmal gemeldet hatte, doch wenn sie jetzt eine Nachricht von ihm lesen müsste, würde sie zusammenbrechen. Sie spürte, dass Karim sie musterte, doch er sagte nichts. Obwohl sie ihm dankbar war, dass er es ihr erzählt hatte, machte es ihre Situation nur noch schlimmer. Sie wusste nicht genau, ob er wirklich mit Karima geschlafen hatte und eigentlich glaubte sie es nicht, doch er verhielt sich so merkwürdig. Sie hatte ihm die Sache mit dem Knutschfleck verziehen und wenn sein Gewissen rein wäre, gab es keinen Grund, warum er sich so benehmen sollte. Denn sie machte nichts anders als sonst. Sie war ganz normal und wenn sie es sich genau überlegte, hätte sie zehnmal mehr einen Grund, eine Auszeit zu nehmen. „Sheila?", holte sie zum gefühlt x-ten Mal heute eine Stimme aus ihren quälenden Gedanken. Erschrocken sah sie sich um und blickte in das Gesicht ihres Chefs. Sie biss sich auf die Wange, bis sie Blut schmeckte. Sie war auf der Arbeit und musste sich zusammenreißen. Sie straffte mal wieder die Schultern und lächelte ihn an. „Alles in Ordnung. Tut mir leid", sagte sie und ging auf André zu in Richtung Ausgang des Spindraumes. Doch er verschränkte die Arme vor der Brust und stellte sich ihr in den Weg. „Du siehst gar nicht gut aus. Fahr nach Hause und ruh dich aus", sagte er in einem Ton, der keine Widerrede zuließ. „Nein, es geht schon. Ich bin nicht krank, nur etwas durcheinander", sagte sie schnell, doch André zog nur eine Augenbraue hoch. „Das war keine Frage, sondern eine dienstliche Anweisung. Du warst in der ganzen Zeit, in der du hier arbeitest noch nicht einen Tag krank, also geh nach Hause und komm morgen fit wieder zurück", sagte er dieses Mal in einem mitfühlenden Ton. Ein paar Sekunden zögerte sie noch, doch dann nickte sie. Tatsächlich war sie sich gar nicht so sicher, ob sie acht Stunden Arbeit schaffen würde. „Gut. Hol deine Tasche, ich bringe dich noch nach draußen", sagte er und Sheila gehorchte. Mit zittrigen Fingern schloss sie ihren Spind auf und holte ihre Handtasche heraus. Sie hängte sie sich über die Schulter und ging zurück zu André, der sie bis zur Tür begleitete. Zum Glück begegneten sie Karim nicht mehr, denn seinen mitleidigen Blick hätte sie nicht ertragen. „Ruf an, wenn es dir morgen nicht besser geht. Das ist wirklich kein Problem", sagte André, dann winkte er. Sheila nickte, dann verließ sie das Varieté. Erst als sie nach draußen trat spürte sie, dass es regnete. Ziemlich stark sogar und als sie sich ins Auto setzte tropfte Regen aus ihren Haaren in ihr Gesicht. Sie wischte die Tropfen weg, dann startete sie den Motor und fuhr los. Schon nach den ersten Metern spürte sie, dass es eine anstrengende Fahrt werden würde, denn die Sicht war schlecht und die Straßen rutschig. Doch sie wollte so schnell wie möglich nach Hause, also fuhr sie so schnell sie sich bei dem Wetter traute. Doch sie war unkonzentriert. Etwa auf der Hälfte der Strecke fingen die Tränen an, ihr über die Wangen zu laufen und sie bekam Kopfschmerzen. 

Slice of Life - A New Life (in Überarbeitung)Where stories live. Discover now