Kapitel 3 - Sheila

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Sheila wusste nicht, warum Jonathan in den letzten Monaten so oft traurig war und an sich zweifelte. Beziehungsweise auch an ihren Gefühlen für ihn zweifelte. Sie hatte ihm allein in den letzten Tagen so oft versichert, dass sie ihn liebte, dass sie sich beinahe vorkam, als wäre sie eine Schallplatte, die hängengeblieben war. 

Gleichzeitig bemerkte sie, dass er es kaum noch erwiderte. Genau wie gerade eben. Sie hatte ihm zwei Mal gesagt, dass sie ihn liebte, doch er hatte es nicht gesagt. Sie wusste, dass es so war, aber es würde gut tun, es noch einmal zu hören. Doch würde sie ihn darauf ansprechen, würde er es wieder als Vorwurf ansehen. Irgendwie war er in der letzten Zeit ziemlich empfindlich. 

Vielleicht würde sich das legen, wenn er das Ergebnis vom Arzt haben würde. Sheila hoffte es, denn sonst würde sie wirklich ernsthaft mit ihm reden müssen, dass er aufhören musste, ständig Trübsal zu blasen, denn allmählich wurde es anstrengend.

Nachdem sie die Wäsche fertig eingeräumt hatte, setzte sie sich neben ihn und legte die Hand auf sein Knie. 

„Hast du auch Hunger?", fragte sie und er zwang sich zu einem Nicken. 

„Sollen wir Pizza bestellen?", fragte sie weiter und wieder nickte er nur. Sie seufzte, denn sein Blick war noch immer traurig. Sie boxte ihn nicht ganz unsanft gegen den Arm. 

„Jetzt lach doch mal wieder. Es ist echt anstrengend, dich die ganze Zeit aufmuntern zu müssen", sagte sie möglichst fröhlich und endlich schien er aus seinen Gedanken zurück in die Wirklichkeit zu kehren. Er atmete noch einmal tief durch, hob den Blick und sah sie tatsächlich etwas besser gelaunt an und straffte die Schultern. 

„Du hast recht. Pizza klingt super", erwiderte, klatschte in die Hände und stand auf. Er hielt ihr die Hände hin und eilig nahm sie sie, woraufhin er sie so ruckartig auf die Beine zog, dass sie ein leises Quietschen ausstieß. 

Augenblicklich spürte sie Schmetterlinge in ihrem Bauch. Ohne darüber nachzudenken schlang sie die Arme um seine Hals und drückte ihn so fest sie konnte. Er erwiderte die Umarmung und sie spürte, wie er seine Hände in ihrem Haar vergrub.

Eine Stunde später saßen sie auf dem Sofa, die Füße auf dem Couchtisch und Pizzakartons auf dem Schoß. Obwohl sie schwiegen, spürte Sheila, dass sie es geschafft hatte, Jonathan etwas aufzumuntern. 

Er schob sich gerade den letzten Bissen Pizza in den Mund, als es blitzte. Sheila zuckte zusammen, denn sie hatte gar nicht bemerkt, dass sich draußen dunkle Gewitterwolken gebildet hatten. Eilig warf sie einen Blick durch das Fenster und tatsächlich sah es stockdunkel draußen aus und wieder zuckte ein Blitz über den Himmel. Auch Jonathan sah nach draußen, stellte anschließend den leeren Karton auf den kleinen Tisch vor sich, stand auf und lief zum Lichtschalter. 

„Was machst du?", fragte Sheila, doch genau in diesem Moment schaltete er das Licht im Wohnzimmer aus. Augenblicklich war es so dunkel im Zimmer, dass sie kaum die Hand vor Augen sehen konnte. Sie verharrte ein paar Sekunden gespannt, ob es noch einmal blitzte, doch stattdessen ertönte ein ohrenbetäubender Donner. Wieder zuckte sie zusammen und hätte beinahe ihren Pizzakarton auf den Boden geworfen. 

„Kannst du noch einmal das Licht anmachen?", fragte sie Jonathan, der noch immer am Lichtschalter stand und nach draußen blickte. Sie hörte ein Klicken und kurz darauf war es wieder hell im Raum. Sie stellte den Pizzakarton neben Jonathans auf den kleinen Tisch. 

Wieder blitzte es und schnell sprang sie auf und lief zu ihm. Obwohl es nur ein Gewitter war, wurde sie nervös. Jonathan legte ihr den Arm um die Taille und zog sie eng an sich. Kaum dass sie ebenfalls den Arm um ihn schlang, schaltete er das Licht wieder aus. Obwohl es zu dunkel war, um seine Gesichtszüge zu erkennen, wusste sie, dass er grinste. 

„Komm mit", forderte er sie auf und zog sie an der Hand in Richtung Flur. 

„Wohin willst du?", fragte sie neugierig, doch sie wusste eigentlich, dass er sich mit ihr das Gewitter ansehen wollte. Auch wenn sie hier drinnen im Haus waren, wurde ihr mulmig zumute. 

Sie erinnerte sich nur zu gut an das Unwetter, das sie im brasilianischen Regenwald auf ihrer Weltreise erlebt hatten. Selten im Leben hatte sie solche Angst gehabt, denn es war einfach nur ohrenbetäubend laut und beinahe durchgängig zuckten Blitze durch den sturmflutartigen Regen. Die Gewitter hier in Deutschland waren nichts dagegen, doch seit dem hatte sie ein wenig Angst, wenn es blitzte und donnerte. 

„Von oben können wir es viel besser beobachten", bestätigte er ihre Vermutung und zog sie die Treppe bis ganz nach oben unters Dach. Er stellte sich an das schräge Dachfenster und blickte in den dunklen Himmel. Ein wenig panisch klammerte sie sich an seinen Arm, woraufhin er sich hinter sie stellte und die Arme um sie schlang. 

„Ich beschütze dich", flüsterte er leise in ihr Ohr, doch kaum dass er geendet hatte, blitzte es schon wieder und keine zwei Sekunden später donnerte es so laut, dass sie glaubte, der Boden würde vibrieren. Sheila klammerte sich weiter an ihm fest und sie spürte, dass es ihm gefiel, sie hier zu halten. Obwohl sie nicht wirklich in Gefahr war, fühlte sie sich in seiner Umarmung ein wenig sicherer. 

Eine ganze Weile beobachteten sie die Blitze, bis sie irgendwann immer seltener wurden und schließlich vom Regen abgelöst wurden. Dicke Tropfen klatschten gegen das Fenster und sie wandte sich zu ihm um. 

„Können wir wieder nach unten gehen?", fragte sie, denn auf dem Sofa war es eindeutig gemütlicher. 

„Na gut", willigte er ein, löste sich langsam von ihr und schob sie wieder in Richtung Treppe. Sheila spürte, wie er die ganze Zeit seine Hand auf ihrer Schulter liegen ließ, bis sie sich schwungvoll aufs Sofa fallen ließ. 

Es war heute ein anstrengender Tag gewesen und sie war müde. Inzwischen musste es bestimmt halb zehn sein und eine bleierne Müdigkeit überkam sie. Vielleicht wurde sie langsam alt, dass sie schon so früh müde wurde, doch sie legte sich auf die Seite, zog die Beine an und schloss die Augen. 

Sie spürte, dass Jonathan es sich ebenfalls auf dem Sofa bequem machte, dann schaltete er den Fernseher ein. Sheila beobachtete eine Weile das flackernde Licht des Fernsehers, das ihr eindeutig lieber war als das Blitzen und Donnern von vorhin und ziemlich schnell nickte sie ein. 

Slice of Life - A New Life (in Überarbeitung)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt