Kapitel 11 - Sheila

10 3 6
                                    

Sheila lenkte sich den Vormittag über mit einem Hausputz ab. Obwohl Nino, ihre Putzfrau, regelmäßig kam und es eigentlich gar nicht dreckig war, putzte sie alles penibel sauber. Ständig kreisten ihre Gedanken um Jonathan und das, was Leonard gestern Abend zu ihr gesagt hatte. Vielleicht würde Jonathan endlich mit ihr reden, wenn er wieder da war. Sie würde es nicht mehr lange ertragen, wenn er griesgrämig und mies gelaunt schwieg. Sie wusste, dass er so eigentlich nicht war. Früher war er immer derjenige gewesen, der sie mit seinen Albernheiten aufgemuntert hatte.

Als alles im Haus blitzblank geputzt war, hängte sie noch die Wäsche ab und legte sie zum Bügeln ins kleine Zimmer oben. Eigentlich müsste Jonathan bald wieder kommen, seine Nachricht, dass er in einer Stunde losfahren würde, war genau eine Stunde und zwölf Minuten her. 

Obwohl er normalerweise nicht unpünktlich war, schaute sie jede Minute auf die Uhr. Unruhig lief sie im Wohnzimmer auf und ab und auch wenn sie wütend auf ihn war, dass er gestern so viel getrunken hatte, war das Bett ohne ihn heute Nacht ungewohnt kalt und leer gewesen. 

Endlich hörte sie ein Motorengeräusch und schnell lief sie zum Fenster um nachzusehen, ob er es war. Leonard hielt seinen Wagen am Straßenrand und ließ ihn aussteigen. Jonathan hielt einen kleinen Blumenstrauß in der Hand, was sie schon wieder all ihre Wut vergessen ließ. Er ging mit gesenktem Kopf zur Haustür und bemerkte sie offensichtlich nicht, doch Leonard winkte ihr zu. Sie erwiderte den Gruß, doch dann fuhr er wieder davon. 

Sheila ging in den Flur und öffnete die Tür, bevor Jonathan seinen Schlüssel überhaupt aus der Hosentasche hervorgekramt hatte. Sie verschränkte die Arme vor der Brust, gleichzeitig spürte sie den Drang, ihn fest zu umarmen. 

Allerdings sah man ihm den vergangenen Abend noch deutlich an. Sein Gesicht war blass und unter seinen Augen waren tiefe Ringe. Beinahe schuldbewusst warf er ihr einen Blick zu. 

„Hey", sagte sie trocken, dann trat sie einen Schritt beiseite, damit er hereinkommen konnte. Langsam kam er herein und hielt ihr beinahe zögerlich die Blumen hin. Unwillkürlich musste sie lächeln, denn sie freute sich über diese kleine Aufmerksamkeit. Sie nahm ihm den Strauß ab und roch an ihm. Sie hatte keine Ahnung von Blumen, doch sie waren gelb und orange und sahen ziemlich hübsch aus. 

„Danke", sagte sie leise und als sie wieder aufsah, trafen sich ihre Blicke. Seine blauen Augen waren so voller Schmerz, wie sie es selten bei ihm gesehen hatte. 

„Ich sollte erst einmal duschen gehen, ich fühle mich eklig", sagte er und Sheila nickte. Sie konnte sich nur zu gut vorstellen, wie er sich fühlen musste. Sichtlich mühsam, aber überraschend schnell lief er die Treppe hoch. 

Sie blickte ihm noch nach, bis er am Treppenabsatz verschwunden war, dann ging sie selbst ins Wohnzimmer und holte eine Vase für die Blumen heraus. Gerade als sie sie auf den Tisch stellte, hörte sie, wie er wieder die Treppe nach unten kam. Sie lehnte sich an den Türrahmen und beobachtete, wie er durch den Flur lief. Er trug nur noch seine Unterhose und in den Händen hielt er frische Klamotten. Ohne es verhindern zu können ließ sie den Blick an seinem Körper entlang wandern. Doch er schien es gar nicht zu bemerken, denn er verzog sich ohne ein weiteres Wort ins Bad. Hoffentlich war er nur so kühl, weil er schnell duschen wollte und vielleicht noch Kopfschmerzen hatte. 

Kurzentschlossen ging sie zur Badezimmertür und drückte die Klinke hinunter. Er hatte wie üblich nicht abgeschlossen und er zuckte zusammen, als sie hereinkam. Er stand am Waschbecken und betrachtete sich im Spiegel. Ihre Blicke trafen sich darin und eine Sekunde lang sahen sie sich an, doch dann wandte er den Blick ab. Sheila schloss die Tür hinter sich und setzte sich auf den geschlossenen Klodeckel. Sie beobachtete ihn, wie er sich komplett auszog und dann in die Dusche kletterte. Noch immer sagte er kein Wort, was sie irgendwie beunruhigte. 

Sie lauschte dem Plätschern des Wassers, doch als er schon eine Weile unter der Dusche stand, griff sie nach seinem Handtuch, um es ihm gleich anzureichen. Allerdings dauerte es noch eine ganze Weile, bis er herauskam. Schnell sprang sie auf und reichte ihm sein Handtuch, in das er sich einwickelte. Etwas unschlüssig stand sie da, doch er machte noch immer keine Anstalten, ihr einen Kuss zu geben oder zumindest etwas zu sagen. Also setzte sie sich wieder auf den Klodeckel und betrachtete ihn unverhohlen, wie er sich abtrocknete und die Zähne putzte. 

„Soll ich schon mal deine dreckige Wäsche nach oben bringen?", fragte sie, eigentlich mehr um die angespannte Stille zu durchbrechen. Etwas überrascht sah er sie an. 

„Nein, schon okay. Ich mache das schon", sagte er und sie nickte langsam. 

„Hast du Hunger? Ich könnte uns etwas kochen", versuchte sie es weiter. Essen war eigentlich immer gut, denn er hatte fast durchgehend Hunger. Kurz zuckten seine Mundwinkel und dieses Mal nickte er. 

„Warte doch noch kurz, dann kann ich dir helfen", schlug er vor und Sheila nickte. Endlich sprach er wieder mit ihr. 

„Okay", erwiderte sie und genau in diesem Moment hatte er sich fertig angezogen und hängte sein Handtuch wieder an seinen Haken. Sheila stand auf und folgte ihm hinaus in den Flur, doch dann hielt sie ihn auf. Sie wollte zumindest einen Kuss, denn sie hatte ihn schon die ganze Nacht nicht bei sich gehabt. Sie verschränkte ihre Finger mit seinen und es fühlte sich vertraut und gleichzeitig aufregend an. 

„Jetzt gib mir endlich einen Kuss, du Blödmann", forderte sie und grinste ihn an. Eigentlich war sie gar nicht wirklich wütend auf ihn, weil er gestern Abend so betrunken war. Sie wollte sich einfach nur einmal richtig mit ihm aussprechen, damit alles wieder so war wie früher. Sofort grinste auch er und er beugte sich zu ihr vor uns küsste sie sanft. Schnell schlang sie die Arme um seinen Hals und drückte ihn fest an sich. Er erwiderte die Umarmung und sie glaubte, ein erleichtertes Aufatmen zu hören. 

„Sprich doch bitte wieder mit mir. Ich weiß, dass dir ziemlich viel durch den Kopf geht, das dich traurig macht", flüsterte sie ihm ins Ohr und sie spürte, wie er nickte. 

„Mache ich. Tut mir wirklich leid, dass ich so blöd war", erwiderte er und umarmte sie noch fester. Ihr Herz pochte augenblicklich heftiger. Viel zu schnell löste er sich von ihr, doch er umfasste ihr Gesicht mit den Händen und küsste sie so leidenschaftlich, dass ihre Knie weich wurden. 

„Wollten wir nicht was kochen?", fragte er und lachte leise, was Sheila unendlich erleichterte. 

„Komm mit", erwiderte sie und zog ihn an der Hand in die Küche. 

Slice of Life - A New Life (in Überarbeitung)Where stories live. Discover now