Kapitel 105 - Slice of Life - A New Life

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Kaum dass Sheila die Haustür hinter sich geschlossen hatte, spürte sie seine Abwesenheit. Nicht, dass er all seine Sachen mitgenommen hätte, noch immer standen Schuhe von ihm im Flur und seine Jacken hingen an der Garderobe. Aber es war still. Er wuselte nicht in der Küche herum und kochte etwas für sie und er war auch nicht schon wieder vor dem Fernseher eingeschlafen. Sheila zog sich ihre Schuhe aus und ging ins Wohnzimmer. Sie sah sich um, als erwartete sie, dass er aus einer Ecke gesprungen kam und ihr sagte, dass alles nur ein blöder Traum gewesen war. Doch auch nachdem sie eine Minute unschlüssig mitten im Raum gestanden hatte, war er noch nicht aufgetaucht. Er war tatsächlich gegangen, genau so, wie sie es ihm gesagt hatte. Zwar bereute sie nicht, dass sie ihn weggeschickt hatte, aber dennoch war es ungewohnt, allein zu sein und zu wissen, dass er nicht heute Abend mit ihr zusammen im Bett liegen würde. Sheila schluckte schwer, dann ging sie nach oben ins Schlafzimmer. Sie wusste, was sie tun würde, um sich abzulenken und sich gleichzeitig klar darüber zu werden, was sie wollte. Wobei, eigentlich wusste sie das schon, denn bei dem Gedanken daran, wieder so wie früher mit Jonathan herumzualbern ging ihr das Herz auf. Sie zog sich ihren Schlafanzug an, schnappte sich ihren Laptop vom Nachttisch und machte es sich im Bett bequem. Unwillkürlich warf sie einen Blick auf Jonathans Seite des Bettes und ohne lange darüber nachzudenken krabbelte sie auf die andere Matratze. Sie zog sich seine Decke bis an die Brust und vergrub dann die Nase darin. Der Duft nach ihm war so vertraut und es beruhigte sie mehr als sie zugeben wollte. Sein Duft haftete noch immer an seiner Decke und sie nahm das als Zeichen, dass er noch nicht endgültig verschwunden war. Anders als Ville. Sein Duft haftete an nichts mehr in diesem Haus und würde es auch hoffentlich nie wieder tun. Doch bevor sie zu lange über Ville und seinen Duft nachdachte nahm sie den Laptop auf den Schoß und öffnete eine Textdatei. Kurz überflog sie die letzten paar Seiten, damit sie wieder wusste, wo sie dran war. Sobald sie die Finger auf die Tastatur gelegt hatte, bildeten sich Buchstaben auf dem Bildschirm. Gerade wenn sie aufgewühlt war, fiel es ihr leicht, sich alles von der Seele zu schreiben und es in Fiktion zu verpacken. Sie tat es nicht, um damit irgendwann einmal Geld zu verdienen, sondern nur zum Spaß und damit ihr Kopf nicht platzte. Jonathan glaubte zwar, dass sie durchaus Schriftstellerin hätte werden können, doch das hätte ihr den Spaß daran genommen. Vielleicht war es genau das, was sie beide unterschied. Jonathan analysierte bei seiner Arbeit immer alles bis ins kleinste Detail und er war der Meinung, dass alles nur Theorie war. Er glaubte, dass er durch sein theoretisches Wissen alles vorhersehen konnte. Welche seiner Lieder die Leute mochten und welche Ideen so nicht funktionierten. Sheila war da anderer Meinung. Zwar hatte er nicht ganz Unrecht, doch sie ließ sich lieber von ihren Instinkten leiten. Nicht erst einmal hatten sie stundenlang darüber diskutiert und sie waren sich nicht einig geworden, doch das war okay so. Man konnte sich ja nicht in allem einig sein. Doch gleichzeitig begriff sie nicht, wieso es ihn so fertig machte, dass es bei ihm in letzter Zeit auf der Arbeit nicht mehr so gut lief. Sicher, seine Musik war wirklich gut, doch er selbst hatte einmal gesagt, dass Menschen sich so gerne Cover anhörten, weil sie genau wussten, dass sie Versionen ihres Lieblingsliedes eher mochten als etwas ganz Neues. Im Prinzip wusste er die Antwort auf das, was ihn so fertig machte. Doch er wollte es nicht wahrhaben, dass er nicht nur von seiner eigenen Musik leben konnte. So war das eben manchmal im Leben. Auch Sheila hatte einsehen müssen, dass sie keine Primaballerina werden konnte, denn das machte sie innerlich kaputt. Vielleicht musste Jonathan auch endlich einsehen, dass es nicht nur schwarz oder weiß gab. Er musste ja nicht aufhören, seine eigene Musik zu veröffentlichen, sondern sie nur mit Covern mischen. Sie hatte nicht wirklich eine Ahnung, wie genau das alles funktionierte, doch er könnte doch zwei Cover, ein eigenes Lied veröffentlichen. Genau so wie sie es in ihren Geschichten tat. Ein Teil Wahrheit, zwei Teile Fiktion. Bis jetzt war sie damit ganz gut gefahren und Jonathan mochte es, ihre Geschichten zu lesen. Auch wenn sie nicht bis ins kleinste Detail analysiert und durchdacht waren. Ohne es wirklich zu wollen hatte Sheila ihre Gedankengänge in einem Dialog verarbeitet. Natürlich war es klar, dass sie und Jonathan die beiden Hauptcharaktere waren, doch würde jemand Fremdes das lesen, wäre es ihm nicht ganz so klar. Doch da niemals irgendjemand Fremdes das lesen würde, machte das nichts. Es war nur für Jonathan bestimmt. Genau wie das Buch, das sie ihm gestern zum Geburtstag geschenkt hatte. Ihr Blick wanderte zu seinem Nachttisch und als sie das Buch darauf liegen sah, spürte sie einen kleinen Stich im Herz. Zwar konnte er es lesen, wann er wollte oder auch gar nicht, wenn es ihm nicht gefiel, doch er sagte ihr ständig, wie gut er ihre Geschichten fand. Sheila strich mit dem Finger über den rauen Einband. Vielleicht hatte er es einfach nur vergessen. Oder er wollte zumindest für ein paar Tage nichts bei sich haben, das ihn an sie erinnerte. Sofort drängte sich ihr ein Gedanke auf, der ihr gar nicht gefiel. Sie suchte seinen Nachttisch ab, doch zumindest hier hatte er seinen Ehering nicht liegen gelassen. Sie spürte, wie ihr Tränen in die Augen schossen. Die Vorstellung, dass er ihn abnahm, brach ihr das Herz. Mit einem Seufzen legte sie ihren Laptop zur Seite und ging ins Bad. Noch immer lag der positive Schwangerschaftstest in seiner Verpackung auf dem Rand des Waschbeckens. Sheila betrachtete sich ihm Spiegel, doch sie konnte noch keine Veränderung an sich erkennen. Natürlich nicht. Sie dachte an Lisas Schwangerschaften zurück und obwohl sie spindeldürr war hatte man erst ab dem vierten Monat eine winzige Wölbung erahnen können. Ihre Hand wanderte auf ihren Bauch und sie stellte sich vor, dass Jonathan sie dort berühren würde. Eine angenehme Wärme breitete sich in ihr aus, doch gleichzeitig wurde sie nervös. Sie müsste direkt morgen früh beim Arzt anrufen, denn um zehn Uhr hatte sie sich zur Probe für die Mitarbeiter-Vorführung verabredet. Vielleicht könnte sie am Nachmittag zwischen ihrer Probe und dem Schichtbeginn vorbei kommen. Sie atmete tief durch, doch dann drehte sie den Wasserhahn auf und ließ sich kaltes Wasser über die Handgelenke laufen, um sich ein wenig zu beruhigen. Tatsächlich half es und schon nach einer Minute ging es ihr besser. Jonathan würde seinen Ring nicht abgenommen haben und er dachte bestimmt genau so wie sie selbst die ganze Zeit an die schönen Zeiten. Sheila drehte das Wasser wieder ab und ging zurück ins Bett. Sie stellte sich den Wecker und legte sich auf Jonathans Seite. Es fühlte sich schön an, denn so kam er ihr nicht mehr ganz so weit weg vor. Wo immer er auch war. Vor ein paar Tagen hatte er gesagt, dass er ein Hotel nehmen würde. Vielleicht war er aber auch zu seinen Eltern gefahren, denn das hätte sie getan. Kurz streckte sie die Hand nach ihrem Handy aus, doch schnell zog sie sie wieder zurück. Sie könnte ihn morgen fragen, wenn sie ihn anrief, um ihm zu erzählen wie es beim Arzt gewesen war. Mit dem Gedanken daran, morgen seine Stimme hören zu können, schlief sie schließlich ein. 

Slice of Life - A New Life (in Überarbeitung)Hikayelerin yaşadığı yer. Şimdi keşfedin