Kapitel 48 - Jonathan

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Jonathan schloss die Augen, sobald die Tür hinter Sheila und Jonas ins Schloss gefallen war. Bis sie wieder zurückkam, wollte er sich noch etwas ausruhen, denn Matthias Herumgeschreie hatte ihn doch ziemlich unsanft geweckt. 

Gerade als er wegdämmerte, klingelte es. Er verdrehte die Augen, doch er stand auf. Vielleicht hatte Sheila irgendetwas vergessen. Schon durch den Umriss, den er durch das milchige Glas der Haustür sehen konnte, wusste er, dass es Oskar war. Seine blonden Haare und die schwarze Brille waren unverkennbar. Jonathan hatte zwar nicht wirklich Lust, mit ihm zu reden, doch er öffnete ihm trotzdem die Tür. Oskar sah gehetzt aus und er fuhr sich durch die Haare. 

„Jonas ist schon weg, oder?", fragte er ihn dann, woraufhin Jonathan langsam nickte. 

„Ja, Sheila fährt ihn zur Arbeit", sagte er. Oskar stöhnte. Obwohl Jonathan neugierig war, stellte er keine Fragen. Er wollte nicht derjenige sein, der irgendetwas wusste, was er aber niemandem weitererzählen durfte, weil es eigentlich ein Geheimnis war oder so etwas. 

„Na gut, dann hat Matthias eben Pech gehabt. Er will unbedingt mit ihm sprechen und er flippt total aus. Ich rufe Darren an und sage ihm, dass er schon weg ist", sagte Oskar und wandte er sich zum Gehen. 

„Okay", sagte Jonathan nur, doch plötzlich drehte Oskar sich um, als wäre ihm etwas Wichtiges eingefallen. 

„Sheila ist in Ordnung, oder?", fragte er dann und musterte ihn schon wieder mit diesem Blick, von dem Jonathan glaubte, dass er in diesen Momenten die Gedanken seines Gegenübers lesen konnte. 

„Ja, ich denke schon", sagte er schulterzuckend, doch Oskar zog skeptisch die Augenbrauen zusammen. Jonathan mochte diesen Blick überhaupt nicht. Oskar kam wieder zurück zur Haustür und sah aus, als würde er begreifen, dass irgendjemand eine Intrige ausgeheckt hatte. Jonathan trat unruhig von einem Fuß auf den anderen, denn Oskar machte ihn nervös. 

„Ich meine wegen gestern", sagte Oskar und nun zog Jonathan ebenfalls die Augenbrauen zusammen und er wurde das Gefühl nicht los, dass er irgendetwas nicht mitbekommen hatte. 

„Was genau meinst du?", fragte er vorsichtig, unsicher, ob er es wirklich wissen wollte. 

„Den Anruf", sagte Oskar, als läge es auf der Hand. Jonathan überlegte, ob Sheila irgendetwas von einem Anruf erzählt hatte. Er erinnerte sich nicht, doch ihm fiel wieder ein, dass sie ihn mit unterdrückter Nummer angerufen hatte und er sich darüber gewundert hatte. 

„Welcher Anruf?", fragte er und spürte, wie sich eine innere Unruhe in ihm ausbreitete. Erst da schien Oskar zu begreifen, dass er gerade etwas ausgeplaudert hatte, was er vielleicht lieber für sich behalten hätte. 

„Oh... Vielleicht fragst du sie nach dem Anruf. Sie hat gestern jemanden angerufen", stammelte er und trat einen Schritt zurück. 

„Wen hat sie angerufen?", fragte er, doch ein Verdacht drängte sich in ihm auf. Sie hatte ganz offensichtlich jemanden mit unterdrückter Nummer angerufen und vergessen, die Einstellung wieder zu ändern. Oskar wusste darüber Bescheid und anscheinend machte er sich Sorgen, dass sie dieser Anruf mitgenommen haben könnte und es ihr nicht gutging. 

Gerade als Oskar sich umwandte, um zu gehen, fiel bei ihm der Groschen. Jonathan trat einen Schritt nach draußen auf die Stufe vor der Tür und verschränkte die Arme vor der Brust. 

„Sie hat deinen Bruder angerufen, habe ich recht?", fragte er Oskar, doch es war eigentlich gar nicht nötig. Er wusste, dass er recht hatte. Wieder drehte Oskar sich um und er schien sich ganz und gar nicht wohl in seiner Haut zu fühlen. 

„Ich dachte, du wüsstest es. Aber ja, sie hat Ville angerufen. Mehr sage ich nicht, dass muss sie dir erzählen", sagte er, dann ließ er ihn stehen. 

Jonathan starrte ihm mit offenem Mund hinterher. Warum zur Hölle sollte Sheila ihren Ex-Freund im Gefängnis anrufen? Sie hatte ihm schon mehrmals versprochen, ihn nie wieder zu kontaktieren. Nicht nur, weil Jonathan eifersüchtig auf ihn war, sondern auch, weil Ville sie manipulierte und sie kaputt machte. Er hatte versucht, sie zu erwürgen, was musste er noch tun, damit sie endlich begriff, dass sie sich von ihm fernhalten sollte? 

Er wurde wütend auf sie. Nicht nur, dass sie ihn anrief, sondern auch, weil sie es hinter seinem Rücken tat. Warum sollte sie das tun? Sie hatte sich doch die ganzen drei Jahre, die er nun schon eingesperrt war, nicht mehr für ihn interessiert und so weit er wusste, keinen Kontakt mehr zu ihm gehabt. 

Doch gerade als ihm dieser Gedanke durch den Kopf schoss, wurde ihm sein Denkfehler klar. Sie hatte keinen Kontakt mehr mit ihm, soweit er wusste. Vielleicht hatte sie schon öfter mit ihm telefoniert und es vor ihm geheim gehalten. Möglicherweise war gestern etwas passiert, sie hatten sich mal wieder gestritten oder sonst was, weswegen Oskar sich Sorgen um sie machte. Oskar hatte ganz offensichtlich geglaubt, dass Jonathan davon wusste, denn sonst hätte er anders reagiert. 

Jonathans Wut brodelte in ihm. Er stapfte wieder ins Haus und knallte die Tür hinter sich zu. Sheila war so scheinheilig. Sie machte einen Aufstand, weil sie die Vermutung hatte, dass er sich mit Karima getroffen hätte, ohne dass es dafür auch nur ein Anzeichen gegeben hatte, während sie Kontakt zu ihrem gewalttätigen Ex hatte. 

Kopfschüttelnd lief er die Treppe nach oben, ging ins Schlafzimmer und knallte auf diese Tür hinter sich zu. Kurzerhand drehte er den Schlüssel im Schloss herum. Er schmiss sich aufs Bett und verkroch sich unter seiner Decke. 

Warum tat sie ihm das an? Gerade hatten sie sich doch wieder vertragen und er hatte sich vorgenommen, nicht mehr so genervt zu sein. Langsam schien wieder alles bergauf zu gehen und nun kam heraus, dass sie ihn die ganze Zeit hintergangen hatte. Denn so musste es doch sein. Warum sollte sie jetzt auf einmal mit ihm telefonieren? Drei Jahre lang war alles in Ordnung gewesen und jetzt wollte sie auf einmal wieder Kontakt mit ihm? Das war doch unlogisch. 

Jonathan spürte, wie ihm eine Träne über die Wange lief und hastig wischte er sie weg. Er schloss die Augen und versuchte, sich zu beruhigen, doch innerlich kochte er. Er wartete noch ein paar Minuten, dann stand er wieder auf und schloss die Schlafzimmertür wieder auf. Das war doch ein wenig übertrieben, sie auszusperren. 

Allerdings er würde nicht so tun, als wäre alles in Ordnung. Er wollte eine Erklärung und wenn diese nicht wirklich gut war, wusste er nicht, ob sein Herz diesen Knacks wieder heilen konnte. 

Jonathan legte sich wieder ins Bett und zog die Beine an. Es ärgerte ihn weniger, dass sie Kontakt mit einem anderen Mann hätte, denn das wäre albern. Es ärgerte ihn, dass es ausgerechnet Ville war. Derjenige, den sie für ihn verlassen hatte, auch wenn es ihr schwer gefallen war. Wie oft hatte sie am Anfang noch kleine Nervenzusammenbrüche bekommen, weil er ihre Gefühle durcheinander gebracht hatte? Wie oft hatte sie ihm versprochen, dass er keine Rolle mehr in ihrem Leben spielte? 

Obwohl Jonathan grübelte und seine Wut nicht abebbte, schlief er doch noch einmal ein. Vielleicht war das die Reaktion seines Körpers, sich vor dem Durchdrehen zu bewahren. 

Slice of Life - A New Life (in Überarbeitung)Where stories live. Discover now