Kapitel 30

921 44 6
                                    

Vor dem nächsten Schultag graute mir. Nicht nur, dass meine beiden Unterarme sich taub anfühlten. Nein. Ich wusste, dass die Anzeige gegen Mara noch gestern rausgegangen war und sie sie schon erhalten haben musste. Mir schwante Übles. Niemals würde sie das einfach so auf sich sitzen lassen und wenn ich Pech hatte, holte sie auch noch Max, Moritz und Tom mit in ihr Racheboot. In den ersten zwei Stunden hatten wir Chemie. Das hatte ich leider nicht abwählen können, weil ich Physik und Latein eher hatte loswerden müssen. Mara war mit mir in dem Kurs, die glorreichen MMT zum Glück nicht. Sie warf mir immer wieder vernichtende Blicke zu und ich spürte, dass es nicht mehr lange dauern würde, bis die Bombe platzen würde. Unser Lehrer kündigte einen Schülerversuch an und ich beeilte mich, mir einen Bunsenbrenner und alle anderen Materialien zu besorgen. Dass wir überhaupt mit solchen Stoffen arbeiten durften, wo unser Lehrer doch immer wieder betonte, dass sie leicht entzündlich wären, wunderte mich schon etwas. Nach und nach baute jede Gruppe den Versuchsaufbau nach – ich war natürlich alleine, aber das machte mir nichts aus. Die Bunsenbrenner wurden einer nach dem anderen entzündet. Dann kamen die Chemikalien dazu.

„Was fällt dir eigentlich ein?“ Ich zuckte zusammen und wandte mich Mara zu, die neben mir stand und aussah wie eine Furie. „Was fällt dir eigentlich ein mir eine Anzeige zu verpassen, du nutzloses Stück Dreck!“ Durch den Lärm der anderen und weil unserer Lehrer abgelenkt war, bemerkte er gar nicht, was hier vor sich ging. „I-Ich… D-Du hast es…“ „Sag nicht, ich hab es verdient. Ich hab es nämlich nicht“, zischte Mara mir dazwischen. „Ich will, dass du die Anzeige wieder zurücknimmst, sonst…“ „Sonst was?“, unterbrach ich sie mutig. Ich hatte die Schnauze voll von diesem Mädchen! „Das wirst du schon sehen!“, kreischte Mara und fuchtelte mit ihren Armen. Plötzlich traf sie meinen Bunsenbrenner. Er fiel um. Und im selben Moment entzündeten sich meine Chemikalien in einer Stichflamme. Mara schrie auf und stolperte zurück, wobei sie einen weiteren Bunsenbrenner mit sich riss und noch mehr Chemikalien in Flammen aufgingen. Ich warf mich auf den Boden und krabbelte unter den Tischen hinter mir durch, um von den Flammen wegzukommen. „Raus hier!“, rief Herr Dirke. Im selben Moment ging der Feueralarm an. Meine Mitschüler fingen an zu schreien und zu rennen. Das Feuer bahnte sich einen Weg zur Klassenzimmertür. „Jette!“, rief Herr Dirke. Er kam zu mir, zog mich an den Schultern vom Boden hoch und rannte mit mir aus dem Klassenzimmer, hinein in eine panische Traube aus Schülern, die alle zu den nächsten Ausgängen drängten.

Draußen auf dem Hof stellten sich die einzelnen Klassen auf. Immer wieder kam ein „Vollzählig“ oder „Alle da“ von den Klassen- und Kurslehrern. Herr Dirke stellte mich zu meinem Chemiekurs und zählte alle durch. „Vollzählig!“, rief er unserer Direktorin zu. Dann ertönten Sirenen. Die Feuerwehr samt RTWs und Polizeiautos fuhr vor die Schule. Feuerwehrleute kamen auf unsere Direktorin zu, ebenso die ersten Sanitäter und Polizisten. Herr Dirke lief los und schien den drei Parteien zu erklären, dass das Feuer bei uns im Chemieraum entstanden, aber soweit keiner verletzt war. Die Feuerwehrleute verschwanden wieder. Die Sanitäter liefen die einzelnen Reihen ab und erkundigten sich bei jeder, ob jemand verletzt war. Die beiden Polizisten kamen mit Herrn Dirke zu unserer Gruppe.

„Hier. Bei Jette und Mara ist der Brand entstanden“, sagte unser Lehrer und zeigte auf mich. „Was?“, fragte ich und blickte auf. „Wir klären das, keine Sorge“, sprach der Mann zu meinem Lehrer und wandte sich dann an mich. „Hallo, ich bin der Marc Westerhoven und das ist meine Kollegin Heidi Matera. Könntest du uns denn sagen, wie genau der Brand entstanden ist?“ „Ich…“ „Sie war’s! Jette war’s!“, unterbrach Mara uns und ich schaute sie mit großen Augen an. „Sie hat den Bunsenbrenner umgeworfen! Sie wollte mich nämlich schlagen. Ich wollte ihr doch bloß helfen, aber dann hat sie plötzlich ausgeholt und den Bunsenbrenner statt mich getroffen.“ „Das stimmt nicht“, murmelte ich und blickte kurz zu den Polizisten uns dann wieder zu Mara. „Natürlich!“, kreischte Mara und machte einen Schritt auf mich zu. Erschrocken zuckte ich zurück. Die Polizistin – Heidi Matera – schob sich zwischen uns. „Ich denke, wir trennen euch beide mal. Jette, würdest du mit meinem Kollegen mitgehen. Und wir beide unterhalten uns mal“, sprach sie und drehte sich zu Mara. „Kommst du kurz ein Stück mit mir?“, fragte der Polizist – Marc Westerhoven – und als ich nicht reagierte, nahm er mich vorsichtig an den Schultern und schob mich etwas von den anderen weg.

„So, Jette. Ich bin der Marc, hallo.“ Er streckte mir die Hand hin. Ich schüttelte sie und blickte dann wieder zu Mara, die mit den Armen fuchtelnd vor Frau Matera stand. „Hey, sieh nicht darüber. Sie zu mir.“ Ich wandte meinen Blick ab und blickte dem Polizisten ins Gesicht. Er hatte sich mittlerweile vor mich gekniet, sodass ich ihn nun etwas überragte. „Erzähl mir bitte so genau wie möglich, was dort in dem Klassenzimmer passiert ist, ok?“ Ich nickte und überlegte, wie ich anfangen sollte. „Sie war sauer auf mich“, begann ich. „Deine Mitschülerin? Mara?“ Ich nickte. „Warum?“ „I-Ich hab sie gestern angezeigt, weil sie mich in einer Besenkammer eingesperrt hat. Deswegen war sie sauer. Und vorhin in Chemie… Wir sollten ein Experiment machen. Die Chemikalien waren entzündlich. Wir haben mit Bunsenbrennern gearbeitet. Mara kam zu mir. Sie hat mich angeschrien, wie ich es wagen konnte, sie anzuzeigen. Und sie hat mir gedroht, dass ich die Anzeige zurücknehmen soll.“ „Mit was hat sie dir gedroht?“ „Das hat sie nicht gesagt. Sie hat mit den Armen gefuchtelt und dabei den Bunsenbrenner umgeschmissen. Sie hat sich erschrocken und ein paar Schritte zurückgemacht. Dabei hat sie noch einen Bunsenbrenner umgeschmissen und noch mehr Stoffe angezündet. Ich bin unter den Tischen eine Reihe weiter nach hinten, damit mich nichts trifft.“ Ich atmete tief durch, als ein Zittern meinen Körper erfasste.

Marc nahm meine Hände in seine. „Es ist alles gut, Jette. Du bist draußen, in Sicherheit. Und ich glaube dir.“ „Ich bekomme keinen Ärger?“ „Du hast nichts gemacht. So wie dieses Mädchen sich aufspielt, war es eindeutig sie und will es dir jetzt in die Schuhe schieben. Ich will dir aber auch keine falschen Hoffnungen machen. Es wird ein Verfahren eingeleitet und die Feuerwehr wird überprüfen, ob sich noch irgendwelche brauchbaren Hinweise finden lassen. Aber solange Mara bei ihrer Aussage von vorhin bleibt, steht Aussage gegen Aussage und dann wird sie nicht bestraft.“ Ich nickte leicht. Weitere Autos fuhren vor. Eltern stiegen aus und schlossen ihre Kinder in die Arme. Die 12.Klässer, die schon 18 Jahre alt waren, durften sich nun abmelden und auf eigene Faust nach Hause gehen. Bei den anderen Kindern mussten ihre Eltern sie abmelden, dann durften auch sie gehen. „I-Ich muss meinen Vater anrufen“, murmelte ich. „Natürlich. Hast du dein Handy da?“ Ich nickte. Ein Glück hatte ich das in meiner Hosentasche, ebenso wie ich mein Zeichenbuch in die Tasche meines Hoodies gesteckt hatte. Jetzt schien es mir wie eine weise Voraussicht gewesen zu sein. Mein ganzer Rucksack und meine Jacke waren wahrscheinlich Opfer der Flammen geworden. Immerhin hatte das Schuljahr gerade erst begonnen und ich hatte noch nicht so viele Aufschriebe verloren. Nur um mein geliebtes Mäppchen und meine Stifte tat es mir leid.

Ich holte mein Handy aus meiner Hosentasche, entsperrte es mit zittrigen Fingern und ging auf den Kontakt meines Vaters. „Warte, ich mache das für dich. Setz dich bitte, Jette.“ Marc nahm mir vorsichtig das Handy aus der Hand und drückte mich auf den Boden. Er setzte sich neben mich und telefonierte mit meinem Vater. „Guten Tag, Westerhoven von der Polizei. Nein, nein, keine Sorge, Ihrer Tochter geht es gut. In ihrer Schule hat es einen Brand gegeben, wo Ihre Tochter Zeugin war. Natürlich, genau deswegen rufe ich Sie auch an. Fahren Sie vorsichtig.“ Marc legte auf und gab mir mein Handy wieder. „Dein Vater ist unterwegs.“ Ich nickte nur. Frau Matera kam zu uns. „Und?“, wollte sie von ihrem Kollegen wissen. „Ich glaube nicht, dass es die Kleine war. Guck sie dir mal an, sie ist ja noch völlig durch den Wind. Sie sagt, Mara war es. Die war wohl sauer, weil Jette sie gestern wegen Freiheitsberaubung angezeigt hat und hat in ihrem Übereifer dann mehrere Bunsenbrenner umgeschmissen.“ „Das glaub ich auch eher wie die Geschichte, die das andere Mädel mir aufgetischt hat. Hat sich auch ständig wiederholt und alles.“ Marc nickte. „Ihr Vater ist übrigens unterwegs. Wie sieht es bei den anderen Kindern aus?“ „Die Hälfte wurde schon abgeholt oder ist eigenverantwortlich nach telefonischer Absprache mit den Eltern gegangen. Die anderen warten noch.“

Und dann kam mein Vater. Wir fielen uns in die Arme und ich drückte mich fest an ihn. Nach ein paar Minuten lösten wir uns wieder und Marc begrüßte meinen Vater. Er erklärte ihm schnell die Situation. „Darf ich denn mit Jette jetzt nach Hause?“, wollte mein Vater wissen. „Es spricht nichts dagegen. Sie werden die nächsten Tage dann noch einmal Post von uns bekommen. Wie gesagt, wenn es keine eindeutigen Hinweise gibt oder Mara ihre Tat gesteht, wird der Brand als Unfall gewertet. Trotz der Umstände noch einen schönen Tag.“ „Ihnen auch.“ Schnell waren wir im Auto und wieder zu Hause. Am Abend kam eine Rundmail der Direktorin, dass die Schule die restliche Woche geschlossen bleiben würde.

Nein, ich habe euch natürlich nicht vergessen. Ich war nur bis jetzt ohne Internet und voll auf Achse.
Meine Geschichtsarbeit war ganz in Ordnung, ich hoffe ihr habt alle schön die Daumen gedrückt ;) Vom Gefühl her war's nämlich ne Katastrophe...
Und ich soll dieses Schuljahr Abitur machen...
LG eure Ronja

Der neue Freund meiner Mutter (AS FF)Where stories live. Discover now