Kapitel 7

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Genau einen Tag hatte ich meine Ruhe. Einen verdammten Tag, dann brach die Hölle über mich herein. Der Gasaustritt in dem öffentlichen Schwimmbad hatte natürlich das große Interesse der örtlichen Medien auf sich gezogen und so war fleißig recherchiert worden. Die Meinungen zu der Ursache gingen weit auseinander und deckten wirklich alles ab. Eine Zeitung behauptete, der Bademeister hätte das Gas mit Absicht austreten lassen, um dem Hallenbad zu schaden. Ein Onlineforum witterte hinter der ganzen Sache ein abgekartetes Spiel und beschuldigte gleich die Stadtverwaltung. Aber die meisten Zeitungen schrieben die Wahrheit: Der Bademeister wollte das Chlor nachfüllen, hatte dabei einen Unfall und so hatte das Ganze seinen Lauf genommen. Aber nicht nur über die Ursachen wurde berichtet, sondern auch über die Beteiligten. Nicht nur die junge Bademeisterin war sehr redselig gewesen. Auch ein junger Mann und eine junge Frau hatten sich breit über den Vorfall ausgelassen. Dabei berichtete die junge Frau von einem ‚gottgeschenkten Mann, der ihren Freund gerettet hatte‘ und ließ sich im nächsten Satz darüber aus, dass ‚seine arme kleine Tochter wegen dem Gas hinaus in die Kälte musste, die Sanitäter sie aber wenigstens zuerst in die Dusche gelassen und ihr einen Trainingsanzug gegeben hatten.‘ So landeten mein Vater und ich also in den Medien. Zwar ohne Namen, aber dafür mit Amateurfotos. RTWs und Feuerwehrautos zogen eben Blicke auf sich, die ich bei der ganzen Aufregung gar nicht bemerkt hatte.

Natürlich hatten auch meine Mitschüler die ganzen Berichte mitbekommen, mich erkannt und spannen ihre eigenen Geschichten. Vor der Schule erwischten sie mich damit noch nicht. Ich wartete bis zum Klingeln und schlüpfte als Letzte gerade so ins Klassenzimmer. In den ersten beiden Stunden hatten wir Gemeinschaftskunde und Wirtschaft, wobei unserer Lehrer immer eines von beiden machte, dafür aber doppelstündig und in der nächsten Woche dann das andere Fach. Herr Ratsmann war ein netter Referendar, dem man seine Unerfahrenheit sofort ansah. Er bereitete noch ausgeklügelte PowerPoint Präsentationen mit viel Farbe und kleinen Videos vor und hatte immer irgendwelche Arbeitsblätter dabei. Bei ihm konnte man auch getrost etwas anderes machen, er bekam die Klasse eh nicht unter Kontrolle. Aber weil ich genau deswegen Mitleid mit ihm hatte, versuchte ich wenigstens in seinen Stunden ordentlich aufzupassen und die ABs gewissenhaft zu bearbeiten. Heute jedoch war das ein Ding der Unmöglichkeit. Während Herr Ratsmann vorne irgendwas über Steuern erklärte und immer mal wieder um Ruhe bat, warfen sich meine Mitschüler Zettelchen zu, tuschelten und deuteten gut erkennbar auf mich. Es war nicht schwierig herauszufinden, worum es ging.

Nach nicht einmal einer Viertelstunde drehte sich Tom auf seinem Platz um und schnipste einen zusammengefalteten Zettel auf meinen Tisch. Ich hob meine Augenbraue, öffnete das A4 Blatt aber. Ein Bild von mir in meinen Badesachen und wie ich die Arme um mich geschlungen hatte prangte mir entgegen. Darüber stand ganz groß ‚Die Täterin wurde gefasst‘. Darunter stand ein Blocksatz Text und ich war wirklich erstaunt, dass meine Klasse es hinbekommen hatte, einen Zeitungsartikel zu erstellen. Mehr oder weniger. Den Text jedoch las ich mir erst gar nicht durch, knüllte das Papier zusammen und legte es neben mich. Meinen Mitschülern war nicht einmal aufgefallen, dass mich ihr Scherz nicht im Mindesten kränkte. Sie lachten sich schon kringelig und tuschelten weiter. Das änderte sich auch nicht, als Herr Ratsmann einen Stapel Arbeitsblätter verteilte. Erst, als er ein kurzes Video anmachte, passten die anderen kurz auf. Aber auch nur so lange, bis sie merkten, dass es in dem Video um Steuern ging. Nicht im Geringsten interessiert, wandte sich meiner Klasse wieder ihren Gesprächen zu und ich bearbeitete die erste Aufgabe des ABs. Da meine Mitschüler ihren Hauptspaß für heute wohl schon gemacht hatten, kam in den großen Pausen nur das Übliche. Wenigstens fiel heute die Mittagsschule aus. Zwei Stunden Mathe und eine Stunde Musik hätte ich echt nicht gebrauchen können. Wobei, das brauchte ich nie montags in der Mittagsschule.

Vor dem Tor zum Pausenhof erwartete mich die nächste Hölle. Ich hatte extra gewartet, bis keiner meiner Klassenkameraden mehr zu sehen war, ehe ich loslief. Doch nun stand meine Mutter vor mir, was noch tausendmal schlimmer war. „Wie kann dein Vater es wagen, dich so in Gefahr zu bringen!“, fing sie sofort an. „Hä?“, machte ich nicht sehr geistreich. Ich war noch viel zu verwirrt, dass sie hier vor meiner Schule stand. „Ich werde nicht zulassen, dass das noch einmal passiert!“ „Was machst du hier?“, fragte ich, aber meine Mutter ging nicht darauf ein. „Ich war ja gleich dafür, dass du zu mir ziehst.“ „Ich will aber nicht zu dir ziehen!“, rief ich aus. „Natürlich willst du das! Bei mir bist du viel besser aufgehoben.“ „Deine Wohnung ist viel zu klein und du bist viel zu unordentlich!“ Ich wurde unglaublich wütend auf meine Mutter. „Wie kannst du es wagen, so mit mir zu reden. Dir hat es nie an etwas gefehlt, als wir noch unter einem Dach lebten.“ „Auch jetzt fehlt es mir an nichts. Außerdem kann Papa doch nichts dafür, wenn der Bademeister einen Unfall hat und Chlor verschüttet.“ „Ich hätte das niemals zulassen dürfen.“ „Du wirst hysterisch“, antwortete ich trocken, wollte mich umdrehen und weggehen, aber meine Mutter hielt mich fest. „Lass mich in Ruhe!“, schrie ich und riss mich von ihr los. „So nicht, Fräulein.“ „Nein, so nicht, Mutter“, spuckte ich ihr entgegen.

„Hallo, was ist denn hier los?“ Ich blickte hinter mich. „Ich glaub ich spinne“, murmelte ich und fing an hysterisch zu lachen. „Das verfolgt mich. Müsst ihr eigentlich überall… Kann ich nicht mal in Ruhe mit meiner Mutter streiten?“ Vor uns standen zwei Polizisten, die ich Gott sei Dank nicht kannte, die aber bestimmt auch Kollegen von den mir schon bekannten Polizisten waren. „Na, junge Dame. So ganz ruhig waren sie aber nicht.“ „Kann ich nach Hause gehen?“, warf ich genervt ein. „Wenn Sie beide meinen, dass alles ok ist.“ Ich nickte und lief an den beiden Männern vorbei. „Jette!“ Ich drehte mich leicht um. „Ich ziehe nicht zu dir, Mutter! Lass mich in Ruhe, sonst rufe ich die Polizei. Oh, ich vergaß. Die sind ja schon da.“ Spöttisch wie Katniss Everdeen verbeugte ich mich und lief weiter nach Hause. Dort schnappte ich mir eine Packung Gummibärchen und schaute Tribute von Panem.

Der neue Freund meiner Mutter (AS FF)Where stories live. Discover now