Kapitel 17

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Unruhig saß ich auf meinem Platz ganz hinten am Fenster und blickte auf meinen rechten Unterarm, ballte die Faust, entspannte meine Hand wieder. Durch die Schoner schaute kein bisschen des Verbands durch. Meine Hand fing leicht an zu zittern. Um mich herum redeten alle nur über die Explosion von gestern. Keiner interessierte sich für Deutsch, was Herrn Möhring rasend machte. Irgendwann fing er an Strafarbeiten zu verteilen, aber auch das brachte meine Klasse nicht zum Schweigen. Max, Moritz und Tom waren heute nicht aufgetaucht. Die glorreichen MMT waren nach einem Anschlag auf ein Lehrerauto nicht in der Schule aufgetaucht. Alle wussten, was das hieß. Oder zumindest glaubten sie, es zu wissen. „Bestimmt sind sie auf der Flucht“, behauptete Benjamin, ein etwas dümmlicher Junge, der immer nur in höchsten Tönen von der Mobbergruppe redete, weil er selber gerne zu ihnen gehören würde. In seinen Augen waren sie die Obercoolen. „So ein Quatsch. Die haben Scheiße gebaut und müssen deswegen bestimmt zu Hause bleiben“, warf Alexandra ein. Da gab ich ihr recht. Max, Moritz und Tom hatten sowas von Scheiße gebaut und sehr wahrscheinlich einen Schulverweis deswegen erhalten. Warum sonst sollten sie nicht hier sein und von ihrer großen Tat erzählen. Das Auto eines eher unbeliebten Lehrers in die Luft zu jagen und gleichzeitig die WBS Arbeiten zu sprengen, war nun wirklich das vierte Weltwunder. Warum das vierte? Weil die drei sich als die ersten drei Weltwunder bezeichneten und nicht weiter zählten.

„Meine Damen und Herren, würden Sie sich gefälligst auf Ihre Aufsätze konzentrieren. Was Sie nicht schaffen, machen Sie bis morgen und legen es mir in mein Fach!“, donnerte Herr Möhring, doch auch durch diese Drohung bekam er nicht die volle Aufmerksamkeit. Ich griff nach einem Kuli. Meine linke Hand zitterte ebenfalls. Wenn irgendjemand herausfand, dass ich die glorreichen MMT verpfiffen hatte, dann konnte ich gleich in eine andere Stadt ziehen. Oder am besten in ein anderes Land. Gedankenversunken schlug ich eine Seite meines Blockes auf, auf der ich schon ein bisschen an dem Aufsatz gearbeitet hatte, der heute fällig war. Ich überflog den Text im Buch und las mir mein bisher Geschriebenes durch, ehe ich weiter an meinem Text arbeitete. Es wurde keine Meisterleistung – dafür war ich im Moment zu sehr durch den Wind – aber immerhin wurde ich zum Ende der Stunde fertig und legte meinen Text als einzig fertigen auf das Lehrerpult. „Na wenigstens kriegt man von Ihnen noch Aufsätze, Sola“, brummte Herr Möhring und steckte die Blätter in seine Tasche.

Diese große Pause war die ruhigste, die ich seit Monaten hatte. Kein Max, Moritz oder Tom, die mich irgendwie beleidigten oder meine Sachen klauten. Einfach nur Ruhe und Frieden. Ich konnte in meinem Notizbuch zeichnen, ohne dass es mir weggenommen und zerrissen wurde.

In der darauffolgenden Stunde hatten wir Klassenlehrerstunde und ich hatte Frau Holzfink noch nie so ernst erlebt. Fast schon enttäuscht schweifte ihr Blick durch die Klasse, blieb kurz an mir hängen und fixierte dann einen unsichtbaren Punkt an der hinteren Wand des Raumes. „Ich bin wirklich sehr enttäuscht, dass so etwas passieren musste. Wir sind eine Klasse, in der es eigentlich keine Gewalt gibt und alles ihre Harmonie hat.“ Wenn die wüsste…. Sie würde ohnmächtig werden vor Schreck. „Die Täter wurden gefasst und entsprechend bestraft. Da eure WBS Arbeiten verbrannt sind, müsst ihr sie noch einmal schreiben.“ Ein kollektives Stöhnen ging durch die Klasse. Was hatten diese Idioten denn auch anderes erwartet? Keine WBS Arbeit mehr, bloß, weil ein Auto explodiert war. Manchmal fragte ich mich, wie es die meisten hier überhaupt in die zehnte Klasse geschafft hatten. „Jedoch gibt es auch eine mehr als erfreuliche Nachricht. Herr Ratsmann hat lange darüber nachgedacht und beschlossen, dass er trotz allem noch euer Lehrer bleiben will.“ Erneut folgte ein genervtes Stöhnen seitens meiner Klasse, ich jedoch konnte mir ein erfreutes Lächeln nicht verkneifen. Herr Ratsmann blieb wirklich, das war einfach nur großartig!

Ich freute mich sogar so sehr darüber, dass ich in der nächsten großen Pause zum Lehrerzimmer lief und mir Herrn Ratsmann an die Türe holen ließ. „Jette, was kann ich für dich tun?“, lächelte der junge Lehrer mich leicht an. „Ich wollte Ihnen nur sagen, dass ich es toll finde, dass Sie unser Lehrer bleiben. Ich hätte es auch total verstanden, hätten sie eine andere Klasse gewollt.“ „Ach was, ich kann euch doch nicht im Stich lassen. Die neue Arbeit ist auch schon konzipiert. Wie war das? Steuern müssen wir noch einmal üben. Sonst noch was?“ „Ich glaube, die anderen haben das mit den ganzen Versicherungen noch nicht so gut im Blick.“ „Alles klar, dann setze ich das auf die Lernliste. Nächste Woche noch einmal schön üben und übernächste Woche dann die neue Arbeit. Ich hoffe, dieses Mal geht nichts schief.“ Herr Ratsmann seufzte und ich lächelte ihn leicht an. „Ich bin mir sicher, dass dieses Mal alles gut gehen wird. Räumen Sie die Arbeiten einfach nicht mehr in Ihr Auto.“ Herr Ratsmann lachte kurz auf. „Vorerst besitze ich eh kein Auto. Ich fahre mit der Bahn. Ist zwar etwas umständlicher, aber dafür spare ich CO2 und muss keinen Anschlag erwarten.“ In diesem Moment klingelte es. „Du solltest nicht zu spät kommen, Jette. Ich muss auch noch Unterricht vorbereiten. Bis nächste Woche.“ „Bis nächste Woche, Herr Ratsmann.“ Schnell eilte ich zurück zu unserem Klassenzimmer.

So, nach einer stundenlangen Fahrt sind wir endlich auf unserer Lodge angekommen und ich habe endlich wieder richtiges WLAN. Am Montag geht's leider wieder zurück nach Deutschland. Dann muss ich mich noch hinter ein paar neue Kapitel klemmen 😉
Eure Ronja

Der neue Freund meiner Mutter (AS FF)Where stories live. Discover now