Kapitel 15

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Trotz diesem Abschied drehte die Welt sich weiter. Die nächsten Tage über bekam ich jede Menge Fotos von Paolo zugeschickt. Entweder von verschiedenen Gebäuden oder dem Zirkusalltag. Auch telefonierte ich morgens auf dem Weg zur Schule mit dem Jungen, wenn er denn schon wach war. Ansonsten machten wir das am Nachmittag nach seiner Mittagsvorstellung. Die Gruppe hatte in der Nähe von Hamburg wieder ihre Zelte aufgeschlagen und danach wollten sie weiter nach Dänemark und danach einmal durch Skandinavien. Ich beneidete Paolo wirklich darum und hatte ihm schon den Schwur abgerungen, so viele Fotos wie nur möglich zu schicken.

Es war einmal wieder Montag und ich ärgerte mich jetzt schon über den Tag. In den ersten beiden Stunden schrieben wir eine WBS Arbeit, für die ich zwar gelernt, aber trotzdem nichts verstanden hatte. Direkt danach hatten wir Religion, wo ich die Hausaufgaben nicht gemacht hatte, weil ich die ganze Zeit nur für WBS gelernt hatte. Und dann fand die Mittagsschule auch noch in voller Länge statt. Über all diese Sachen regte ich mich morgens auf dem Weg zur Schule bei Paolo auf. „Ich meine, wer braucht schon Steuern und all sowas? Können wir nicht wenigstens was machen, was ich verstehe? Diesen ganzen Berechnungskram checkt doch eh keiner und bei den Regelungen blickt auch keiner durch.“ „Hey Jette, atme mal tief durch. Ich verstehe dich, unser Zirkuslehrer verzweifelt auch daran mir das beizubringen. Und wenn du die Arbeit verhaust, dann ist das zwar blöd, aber ändern kannst du auch nichts.“ „Aber dann hab ich meine Zeit verschwendet, in der ich eigentlich meine Religionshausaufgaben hätte machen können. Frau Farmer dreht mir den Hals um. Ich hab schon die letzte Hausaufgabe vergessen und die davor nur halb gehabt. Die Frau legt so großen Wert auf die Hausaufgaben.“ „Mach sie in der Pause“, riet mir Paolo. Ich schnaubte leicht, antwortete aber nicht. Wenn die glorreichen MMT sehen würden, dass ich Hausaufgaben mache, würden sie erst recht versuchen, mir diese wegzunehmen. Max, Moritz und Tom waren in der Hinsicht fast wie Spürhunde, wenn es um wichtige Sachen ging, die nicht wegkommen durften. „Ich werd’s versuchen“, seufzte ich ergeben.

„Paolo! Redest du wieder mit Jette?“, schallte es im Hintergrund. Paolo lachte und auch ich musste schmunzeln. „Hallo Misha. Bist du schon wach?“ „Ja! Ich konnte nicht mehr schlafen und dann wollte ich nach Paolo schauen und ihn wecken aber jetzt ist er ja schon wach und telefoniert mit dir“, brabbelte das Mädchen aufgeregt und Paolo lachte erneut auf. „Na komm her. So. Jetzt kannst du auch mit Jette telefonieren. Sie ist gerade auf dem Weg zur Schule, also hat sie nicht mehr viel Zeit.“ „Schade. Aber ich find Schule voll klasse. Ich kann schon meinen Namen schreiben und Paolos Namen auch und Mama und Papa kann ich auch schreiben und ich kann schon fast ganz alleine lesen. Unser Lehrer sagt, ich bin viel schlauer als Paolo in meinem Alter!“ „Hey!“, rief der Frettchenjunge und ich musste automatisch laut lachen. „Na dann freu dich mal weiter. Glaub mir, ehe du dich versiehst, wirst du den Unterricht hassen“, sagte ich. „Nein, niemals!“, kreischte Misha und es hörte sich so an, als würde sie durch den Wohnwagen rennen. „Du hast sie in ihren Grundfesten erschüttert“, sagte Paolo und ich lachte auf. „Du, ich bin jetzt an der Schule. Drück mir die Daumen, aber denk nicht zu fest an mich, sonst bekomme ich Schluckauf.“ „Ist klar. Ich schicke dir dann wieder ein Bild von Hamburg, wenn ich heute Nachmittag mit Misha Eis essen gehe. Wir hören uns spätestens morgen.“ „Bis dann“, verabschiedete ich mich und legte auf.

Kurz schaute ich noch auf mein Handy, ehe ich meine Kopfhörer auszog und beides wegsteckte. Gerade als es klingelte, schlüpfte ich ins Klassenzimmer, wo schon Herr Ratsmann stand und die Arbeit austeilte. „Ich wünsche euch gutes Gelingen“, startete er die Arbeit und es war tatsächlich einmal in seinem Unterricht komplett ruhig. Die Arbeit war gar nicht so schlimm wie erwartet. Zwar schaffte ich die Aufgabe mit den Steuern nicht – es war absehbar gewesen – dafür meisterte ich die meisten anderen Aufgaben nach meiner Ansicht sehr gut. Pünktlich zum Klingeln wurde ich fertig und gab wie meine Mitschüler auch ab, die sich schon anfingen über die Arbeit zu beschweren, wobei Max, Moritz und Tom natürlich am lautesten irgendwelche Verwünschungen riefen. Ich warf einen Blick zu meinem Lehrer und bekam augenblicklich Mitleid mit ihm. Es war sein erstes Jahr und unsere ganze Klasse ließ ihn spüren, dass er uns nicht gewachsen war. Langsam packte ich meine Sachen zusammen und schulterte meinen Rucksack.

Zögerlich trat ich ans Lehrerpult und Herr Ratsmann richtete seine Aufmerksamkeit sofort mir zu. „Ist etwas, Jette?“ Diesen Tonfall kannte ich, hörte ich ihn doch oft in meinen Gedanken. Diese dünne Stimme, bei der man kurz vorm Weinen war und es um jeden Preis verhindern wollte. Das bestätigte mich nur weiter in meinem Vorhaben und ich schenkte meinem Lehrer ein leichtes Lächeln. „Ihre Arbeit war wirklich toll. Ich hab das mit den Steuern zwar nicht verstanden, aber das liegt an mir. Der Rest war sehr gut und ich fand es toll, dass sie uns die Operatoren noch auf die Vorderseite gedruckt haben.“ Herr Ratsmanns Lächeln wurde eine Spur breiter und eine Spur echter. „Das freut mich zu hören. Wenn du das mit den Steuern nicht verstanden hast, dann kann ich in der nächsten Stunde ja noch mal ein paar Übungen machen.“ „Oh, lieber nicht. Ich glaube, das fänden die anderen nicht so toll“, warf ich schnell ein. Und außerdem wollte ich nicht, dass die Übungen dann irgendwie auf mich zurückfielen und ich möglicherweise etwas Schlimmeres als Schimpfwörter abbekam. „Würde es dir helfen, wenn ich dir einfach so ein paar Übungen gebe, die du dann selbstständig machst?“ Eins musste man ihm lassen, er gab keinen Schüler so einfach auf und war wirklich engagiert, dass auch jeder alles verstand. „Das wäre nett, danke“, antwortete ich und lächelte noch einmal leicht. „Prima. Dann bis nächste Woche.“ Ich nickte Herrn Ratsmann noch einmal zu und verließ das Klassenzimmer.

Puh, da hätte ich doch fast meinen Update Termin verpasst. Ist aber auch was los hier...

Der neue Freund meiner Mutter (AS FF)Where stories live. Discover now