Kapitel 18

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Gut gelaunt saß ich zu Hause auf dem Sofa und zeichnete ein wenig. Die letzte Stunde heute war überraschend ausgefallen, wir hatten keine Hausaufgaben aufbekommen und Herr Ratsmann blieb unser Lehrer. Ich war mir sicher, dass nichts heute meine gute Laune trüben konnte.

Ein lauter Knall ertönte. Mein Lächeln erlosch und mein Kopf ruckte hoch. Ich hörte jemanden vor der Haustür fluchen. Es war mein Vater. „Papa?“, rief ich, schmiss meine Zeichensachen neben mich und hetzte zur Tür. Ich riss sie auf und blieb wie angewurzelt stehen. „Verdammte Scheiße! Welche Bengel kommen denn auf die Idee! Denen werde ich es schon zeigen. Das gibt Ärger! Verdammte Scheiße!“ Ich hatte meinen Vater noch nie so sehr fluchen hören. Neben ihm verstreut lagen die Einzelteile unseres Briefkastens. Unseres ehemaligen Briefkastens. Jemand hatte ihn in die Luft gejagt. Wenigstens schien keine Post drin gewesen zu sein. „Die Polizei. Ich rufe die Polizei!“ Mein Vater zog sein Handy aus seinem Jackett und hielt es sich ans Ohr. Seine Krawatte war schon gelockert, er war im Feierabend. „Ach Mist, erst wählen.“ Er nahm das Handy wieder weg vom Ohr, tippte darauf herum und hielt es sich ans andere Ohr. Seine Haare waren auch etwas zerzaust und ein Blatt hatte sich darin verfangen.

„Papa“, murmelte ich und stolperte mit weichen Knien auf ihn zu. „Alles gut, Jette. Mir ist nichts passiert“, beruhigte mein Vater mich. Er fing mich mit einer Hand auf und drückte mich fest an sich. Ich klammerte mich an sein Jackett. „Ja, hallo. Sola mein Name. Mein Briefkasten wurde in die Luft gesprengt! Nein, ich übertreibe nicht. Ich werde es ja wohl richtig interpretieren, wenn etwas neben mir in die Luft fliegt. Malvenweg 16. Natürlich. Alles klar.“ Er legte wieder auf und steckte sein Handy weg. Fest schlangen sich seine Arme um mich und er drückte mich an sich. „Gott sei Dank sag ich dir immer, dass ich nach der Post schaue“, schnaufte er. Ich nickte an seiner Brust.

So standen wir da bis ein Polizeiwagen neben uns hielt. Ich löste mich leicht von meinem Vater und blickte zu den Polizisten. Wer stieg aus? Natürlich Stephan. Doch jetzt gerade war es mir egal. „Guten Tag. Tom Mayer mein Name. Das ist der Kollege Sindera. Was ist denn genau passiert?“, stellte sich der mir unbekannte Mann vor. „Sola, jemand hat meinen Briefkasten in die Luft gejagt, wie Sie sehen.“ Mein Vater hatte keine Ahnung, dass der Herr Sindera der Stephan von meiner Mutter war. Wie konnte er es auch wissen? Ich hatte ihm nur seinen Vornamen genannt und wir hatten nie wieder über ihn gesprochen. Stephan jedoch schien genau zu wissen, wen er da vor sich hatte, denn er war auffallend zurückhaltend und überließ seinem Kollegen das Reden. Stattdessen untersuchte er nun die Überreste unseres Briefkastens. Ich schluckte schwer. Ich hatte unseren Briefkasten gemocht. Er war zwar nur ein Briefkasten, aber er war immer da gewesen und als kleines Kind hatte ich ihn mit allen möglichen Stickern beklebt, die ich über die Jahre immer wieder erneuert oder ersetzt hatte. „Haben Sie vielleicht irgendwelche Feinde oder können Sie sich jemanden vorstellen, der das getan haben könnte?“, erkundigte sich Herr Mayer. Mein Vater fuhr sich mit einer Hand durch die Haare. Ich nahm seine andere Hand in meine. „Nein, eigentlich nicht“, antwortete er. „Jette, vielleicht waren es die Jungs, die das Auto eures Lehrers gestern in die Luft gejagt haben“, warf Stephan plötzlich ein und alle Blicke zuckten zu ihm. „Du kennst sie?“, fragte Herr Mayer seinen Kollegen, während mein Vater sich an mich wandte. „Du kennst ihn? Und jemand hat das Auto eures Lehrers in die Luft gejagt?“ „Ja. Drei Jungs aus meiner Klasse waren nicht sehr zufrieden mit ihren Arbeiten“, murmelte ich und senkte meinen Blick. „Und ich war gestern bei dem Fall halt dabei“, erklärte Stephan. „Na ich würde sagen, wenn Ihnen sonst niemand einfällt, der es gewesen sein könnte, dann werden wir mal zu diesen Jungs fahren und sie befragen. Sie bleiben bitte hier, wir kommen dann wieder vorbei, wenn wir mit der Befragung fertig sind.“ Mein Vater nickte. „Natürlich.“ Die beiden Polizisten stiegen in ihr Auto und fuhren davon.

„Das räum ich später auf“, seufzte mein Vater mit Blick auf die Briefkastenteile, wandte sich um und zog mich mit sich ins Haus. Gedankenverloren setzte ich mich aufs Sofa. Erst jetzt fiel mir auf, dass ich barfuß nach draußen gerannt war. Ein Glück war ich in keines der Splitterteile getreten. Andererseits hätte es mich vielleicht abgelenkt. Mein Vater begann, fluchend im Raum auf und ab zu gehen. Ich blinzelte mehrmals. Seit wann spielte ich an meinem Armschoner? Schnell ließ ich ihn los und folgte meinem Vater mit meinem Blick. „Papa, das bringt doch nichts. Setz dich bitte“, trotz seines Fluchens hörte er meine leisen Worte sofort und beendete seine Schimpftirade. Erneut seufzte er und setzte sich dann zu mir auf das Sofa.

„Papa?“, begann ich nach kurzer Stille. „Hm?“ „Das war Stephan“, sagte ich vorsichtig. „Welcher Stephan?“ Er schien wirklich nicht zu wissen, von wem ich redete. Aber das war bei dieser Aufregung ja auch kein Wunder. „Du weißt schon. Der Neue von Mama.“ „Ach so.“ Er schluckte vernehmlich. Ich schloss meine Augen und lehnte mich an ihn. Er legte den Arm um meine Schultern. „Dann ist es eben so.“ In diesem Moment begann mein Handy zu klingeln. Ich öffnete meine Augen wieder und beugte mich leicht vor. Mein Handy lag auf dem Couchtisch. „Das ist Paolo“, erkannte ich, nahm das Handy und stand auf. „Ich geh kurz hoch.“ „Natürlich“, lächelte mein Vater mir leicht zu. Noch auf der Treppe nahm ich den Anruf des Frettchenjungen an. „Hey Jette. Sorry, dass es heute Morgen nicht geklappt hat, aber wir waren total im Stress. Aber jetzt sind wir wieder unterwegs, also hab ich eine ganze lange Autofahrt Zeit. Was gibt’s Neues?“ Ich schluckte schwer. „Jemand hat unseren Briefkasten in die Luft gejagt.“ „WAS?“ „Gerade eben. Ich bin nur froh, dass Papa noch weit genug entfernt war und sich nicht verletzt hat.“ Zitternd atmete ich aus. „Hey, alles gut. Das waren irgendwelche Idioten. Habt ihr die Polizei gerufen?“ „Natürlich. Stephan meinte, es waren vielleicht die Jungs, die auch das Auto von Herrn Ratsmann in die Luft gejagt haben.“ „Stephan. Der Neue deiner Mutter? Was hat der denn damit zu tun?“ „Du weißt doch, dass er Polizist ist. Er war ja gestern bei dem Fall dabei und heute eben auch. Die gehen jetzt gerade und überprüfen, ob das wirklich Max, Moritz und Tom waren. Die haben übrigens einen Schulverweis bekommen.“ „Man, diese Jungs haben echt den Verstand verloren.“ „Wenn sie wirklich so wenig Skrupel haben, dann habe ich Angst vor ihnen“, hauchte ich und blickte auf meinen rechten Unterarm. Er zitterte, weil ich meine Hand so fest zur Faust geballt hatte. „Du bist stark, Jette. Lass nicht zu, dass andere dich zerstören“, wiederholte Paolo seine Abschiedsworte an mich und ich war sprachlos. Dann klingelte es an der Tür. „Oh, das sind wahrscheinlich die Polizisten. Ich muss auflegen.“ „Ist gut, aber wir schreiben später noch. Mindestens.“ „Ist gut. Bis dann.“ „Tschau.“

Ich legte auf und lief die Treppen wieder nach unten. Mein Vater stand mit verschränkten Armen im Wohnzimmer, den Polizisten gegenüber. Seine ganze Haltung sagte deutlich aus, dass er nun wusste, wer Stephan war, und dass er ihn am liebsten gar nicht im Haus haben würde. Das merkte wohl auch Herr Mayer, denn er beeilte sich mit seiner Erklärung. „Die Vermutung hat sich bestätigt. Es waren wirklich diese drei Jungs. Es werden entsprechende Verfahren eingeleitet und sie werden die nächste Zeit häufiger überprüft. Natürlich müssen sie auch für den entstandenen Schaden aufkommen“, erklärte er. „Gut“, nickte mein Vater. „Vielen Dank“, zwang er noch hinterher, blickte dabei aber nur zu Herrn Mayer, nicht zu Stephan. „Trotz der Ereignisse einen schönen Abend Ihnen noch“, verabschiedete sich der Polizist, ehe er Stephan schon fast vor sich her aus dem Haus schob. „Ihnen auch“, meinte mein Vater und schloss die Tür hinter den Polizisten. Erleichtert atmeten wir beide aus.

Seit fast einer Woche wieder in Deutschland.... Ich vermisse Afrika....
Aber wenigstens habe ich jetzt viel Zeit, um endlich wieder zu schreiben. Wenn ich nicht dieses doofe Buch von Thomas Mann für mein Deutsch LK lesen muss....
Eure Ronja

Der neue Freund meiner Mutter (AS FF)Where stories live. Discover now