Kapitel 24

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Und nach einer weiteren Woche Schule begannen endlich die lang ersehnten Sommerferien. Noch am letzten Schultag (der natürlich nur drei Schulstunden gedauert und rein organisatorisch und formell gewesen war) holte ich Paolo vom Kölner Hauptbahnhof ab. Aufgeregt wartete ich auf dem richtigen Gleis auf den richtigen Zug, der schon dreimal seine Ankunft um ein paar Minuten verschoben hatte. Verflucht sei die Deutsche Bahn! Dann endlich konnte ich den Zug in der Ferne erkennen und wartete ungeduldig, dass er in den Bahnhof einfuhr und die Türen sich öffneten. Zuerst sah ich gar nichts vor lauter Menschen, dann hörte ich eine Stimme „Jette!“ rufen. „Paolo!“, schrie ich und sprang etwas nach oben, um ihn besser entdecken zu können. Der Lockenkopf winkte mir eifrig zu. Ich rannte los, quetschte mich durch die Menge und fiel meinem Frettchenjungen in die Arme. „Es ist so schön dich wiederzusehen!“, murmelte ich gegen seine Brust. „Was glaubst du, wie sehr ich mich freue?“, grinste Paolo, drückte mich fest und strich mir über die Haare. Ich löste mich wieder von ihm und grinste ihn leicht an. „Komm, mein Vater hat extra unser Haus aufgeräumt und dir das Gästezimmer hergerichtet. Das kann er gut, du weißt ja, er ist Hotelfachmann.“ Lachend ließ sich Paolo von mir zum Ausgang ziehen und warf sich dabei seine Reisetasche über die Schulter.

Die folgenden zwei Wochen zählten wohl zu den mit Abstand schönsten des ganzen Sommers. Paolo und ich waren viel im Freibad oder in der Stadt Eis essen. Natürlich machte ich mit ihm auch das typische Sightseeing, damit er meine Heimatstadt etwas besser kennenlernte. An einem dieser Tage mussten wir meine Schwester Emma mitnehmen, weil sie Paolo unbedingt kennenlernen wollte. Emma textete den Jungen am laufenden Band zu und ich freute mich schon darauf, sie heute Abend wieder loszuwerden. Mit einem Mal bekam ich eine Sprachnachricht von meiner Mutter. „Wartet mal kurz“, bat ich die beiden und blieb stehen. „Was ist denn?“, wollte Emma wissen. „Ich hab eine Sprachnachricht bekommen.“ Ich zog meine Kopfhörer aus meiner Tasche. Die Nachricht musste ja nicht jeder hören. Ich stöpselte mir einen der Kopfhörer leicht ins Ohr und wollte die Nachricht gerade abspielen, als es mit einem Mal krachte. Mein Ohr wurde heiß. Ich hörte ein Piepsen. Und dann kam der Schmerz. „Fuck, Jette!“, schrie Paolo. Keuchend wollte ich mir ans Ohr fassen. „Nicht!“, rief der Junge und fing meine Hand ab. „Was habt ihr denn in Deutschland für Kopfhörer, die einfach explodieren?“, fragte er und begutachtete mein Ohr. „Au, tut das weh!“ „Kann ich mir vorstellen. Damit müssen wir in die Notaufnahme. Wo ist euer nächstes Krankenhaus?“ „Ah, das ist…. Verdammt.“ Ich kniff meine Augen zusammen und fasste mir an den Kopf. „Emma, wo ist hier das nächste Krankenhaus?“ „Gleich dort in die Richtung. Die Klinik am Südring.“ „Alles klar, wir gehen. Geht’s, Jette?“ Ich nickte leicht. Paolo nahm mich am Arm und führte mich hinter Emma her zur Klinik.

„Hallo? Meine Freundin braucht Hilfe!“ Ein junger Arzt trat zu uns. „Ja, ich sehe schon. Kommen Sie am besten direkt nach hinten mit.“ Der Mann führte uns in einen Behandlungsraum und ich setzte mich auf die Liege. Paolo blieb neben mir stehen und Emma setzte sich auf meine andere Seite. „Dr. Klemm mein Name. Sie sind noch minderjährig? Darf ich Sie dann noch duzen? Alles klar. Dann müssten wir deine Eltern noch informieren.“ Ich gab Paolo mein Handy und ließ ihn schnell meinen Vater anrufen. „Er ist auf dem Weg“, sagte er wenige Minuten später. „Alles klar, solange fange ich schon einmal an. Was ist denn genau passiert?“ „Ich wollte eine Sprachnachricht anhören und hab mir den Kopfhörer ins Ohr gesteckt, da ist der einfach explodiert“, berichtete ich und hielt gleichzeitig den Zwilling des Übeltäters hoch. „Wann ist das denn passiert?“ „Gerade eben.“ „Ok, ich werde mir das Ohr mal anschauen. Das wird an einigen Stellen auch bestimmt wehtun, aber ich versuche, vorsichtig zu sein.“ Ich nickte und ließ den Arzt an meinem Ohr rumfummeln, wobei ich nach Paolos Hand griff und sie festhielt. „Alles klar. Im Ohr ist zum Glück nichts verbrannt, da wirst du also keine Schäden davontragen. Die Verbrennungen außen sind zweiten Grades, aber ganz einfach mit einer Salbe zu behandeln. Es kann aber leider sein, dass Narben davon übrig bleiben werden.“ „Ok.“

In diesem Moment kam mein Vater herein. „Jette, was machst du denn für Sachen?“ „Mein Kopfhörer ist explodiert“, berichtete ich den Tränen nahe. „Was? Die teuren Dinger? Das kann doch gar nicht sein.“ Mein Vater nahm die Box in die Hand und untersuchte den übriggebliebenen Kopfhörer. „Sind das die neuen Sound2ear?“, fragte mit einem Mal der Pfleger. „Ja! Da hab ich voll lange drauf gespart und mein Vater hat mir extra den Restbetrag noch zu Ostern geschenkt, damit ich mir die kaufen konnte.“ „Moment mal, das sind aber keine Originale.“ „Hä?“, fragten mein Vater und ich gleichzeitig. „Ja, hier, der Knopf ist anders. Das sind Plagiate“, erklärte der Pfleger. „Das kann doch gar nicht sein!“ „Sind ja auch nicht deine Kopfhörer“, murmelte Emma plötzlich und wir alle blickten zu ihr. „Was?“, fragte ich. Emma schaute unbehaglich zu Boden. „Emma?“, fragte mein Vater. „Man, ich fand die Kopfhörer so cool und am letzten Wochenende wo ich bei euch war, hab ich mir die halt genommen. Aber dann sind sie mir runtergefallen und kaputtgegangen. Dann musste ich ja neue besorgen, aber ich hatte nicht so viel Geld“, gestand Emma dann und ich schaute sie mit offenem Mund an. „Ich glaub ich spinne.“ „Ich dachte das fällt nicht auf.“ „Offensichtlich doch!“ Ich atmete tief durch.

„Emma, das geht so nicht. Das wird noch Konsequenzen haben. Jette, dir kaufe ich natürlich neue Kopfhörer“, sagte mein Vater. „So, und um noch mal auf das Ohr zurückzukommen. Da machen wir gar nicht erst ein Pflaster oder so drauf, sondern nur Salbe. Da gebe ich Ihnen dann auch gleich ein Rezept, damit sie die Salbe in der Apotheke besorgen können. Mindestens dreimal am Tag auftragen und dann kommen Sie bitte in zwei Tagen nochmal mit Ihrer Tochter hier vorbei“, sagte der Arzt und schmierte mir eine Salbe auf mein Ohr. Mein Vater bekam das Rezept. Wir stiegen alle ins Auto. Zuerst fuhren wir zur Apotheke, wo mein Vater die Salbe besorgte. Dann lud er nach einer ordentlichen Standpauke Emma bei unserer Mutter ab und fuhr mit Paolo und mir nach Hause. Ich konnte von Glück reden, dass mein Ohr nur eine Woche später schon wieder soweit ganz in Ordnung war.

Die restlichen Tage mit Paolo waren dennoch sehr schön. Nach zwei Wochen wurde es für ihn aber wieder Zeit, zu seiner Familie zurückzukehren. Mein Vater nahm sich an diesem Tag extra frei, um Paolo und mich zum Bahnhof zu bringen und mich später wieder mitzunehmen. Er wartete im Auto, während ich mit Paolo zum richtigen Gleis lief und dort auf den Zug wartete, der natürlich Verspätung hatte. „Du musst uns auf jeden Fall mal besuchen kommen. Versprich es mir“, bat Paolo, während wir warteten. „Versprochen“, antwortete ich sofort. „Gut, dann kann ich ja beruhigt ohne dich fahren. Hättest du nein gesagt, hätte ich dich einfach entführt und jetzt mitgenommen“, grinste er mich an. Ich schlug ihm lachend gegen die Brust. Er zog mich fest in seine Arme. „Wir hören uns, wenn ich angekommen bin.“ „Wehe du vergisst es“, nuschelte ich und drückte meinen Frettchenjungen fest. Als die Ansage für den Zug kam, löste er sich wieder von mir. „Die Welt könnte untergehen und ich würde trotzdem nicht vergessen, dich anzurufen.“ „Na dann ist ja gut.“ Lachend und weinend gleichzeitig fuhr ich mir über die Augen. „Bitte nicht weinen, dann muss ich auch weinen.“ „Ich werde dich vermissen.“ „Ich dich auch. Aber wir hören und sehen uns bald wieder.“

Der Zug fuhr ein und nun war der endgültige Abschied gekommen. Noch einmal zog Paolo mich fest in seine Arme und hauchte mir einen Kuss auf den Kopf. „Bis dann.“ Der Schaffner pfiff. Paolo schnappte sich seine Tasche und sprang in den Zug, welcher sich kurz darauf in Bewegung setzte. Winkend lief ich neben dem Zug her, bis er zu schnell wurde und ich anhalten musste. Ich stand noch eine Weile am Gleis, bis ich den Zug am Horizont aus den Augen verlor. Seufzend lief ich zurück zum Auto und strich mir ein paar Tränen aus meinem Gesicht. „Eis?“, fragte mein Vater, sobald ich neben ihm saß. „Aber ein ganz großes.“ „Gut, dass ich einkaufen war.“ Lachend blickte ich zu ihm und wischte mir die letzte Träne weg.

*der Kopfhörer Unfall inspired by einer Klinik am Südring Folge*

So, jetzt bin ich nur noch ein bisschen verschnupft und freue mich auf das verlängerte Wochenende. Eine Freundin kommt vorbei und wir machen einen Hobbit - Herr der Ringe - Marathon.
LG eure Ronja

Der neue Freund meiner Mutter (AS FF)Where stories live. Discover now