Kapitel 26

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Die Ferien waren schon fast wieder vorbei, als mein Vater eines Abend auf mich zukam. „Jette? Ich muss mal mit dir sprechen.“ Beunruhigt legte ich mein Zeichenbuch weg. „Ist was passiert?“ Ich hatte meinen Vater selten so nervös erlebt. „Nein, nichts Schlimmes.“ Mein Vater seufzte schwer, öffnete den Mund und schloss ihn wieder, ohne ein Wort gesprochen zu haben. „Dann kannst du es mir doch einfach sagen“, warf ich ein und hoffte, dass er endlich mit der Sprache rausrückte. „Deine Mutter hat sich beschwert, dass du schon so lange nicht mehr bei ihr warst und sie dich gar nicht mehr sieht. Deswegen wollte sie, dass du mal vorbeikommst. Ich hab mein ok gegeben“, rückte er mit der Sprache raus. „Aber ich will nicht zu Mama“, machte ich sofort klar. „Ich weiß. Und ich will dich auch zu nichts zwingen, aber es muss dieses Mal leider sein. Tu mir diesen Gefallen. Du kannst auch erst zum Mittagessen hingehen und ich hole dich dann am Nachmittag ab, wenn ich von der Arbeit nach Hause fahre.“ Ich seufzte schwer, erkannte aber auch den hilflosen Eindruck, den mein Vater machte. Ich fragte mich, was da wirklich los war. Warum wollte er unbedingt, dass ich zu meiner Mutter ging. Irgendwas musste da im Busch sein. „Wann soll ich hin?“, gab ich mich geschlagen. Mein Vater atmete kaum merklich auf. „Am besten schon morgen. Dann hast du es auch hinter dir.“ Ich nickte und damit war das Gespräch beendet.

Am nächsten Tag zögerte ich den Besuch so weit wie möglich heraus, aber dann fragte mich meine Mutter schon via WhatsApp wo ich denn blieb. Schweren Herzens machte ich mich also auf den Weg. Wie immer duckte ich mich unter der Umarmung meiner Mutter weg und lief ins Wohnzimmer. Heute hatte ich extra nur mein Handy und meine Kopfhörer mitgenommen, um zu zeigen, dass ich nicht vorhatte, lange zu bleiben. Oder dass ich überhaupt die Lust hatte, hier zu sein. „Es gibt gleich Essen“, sagte meine Mutter und verschwand in der Küche. Ich ließ mich neben Emma aufs Sofa fallen. „Hey“, sagte ich und blickte zum laufenden Fernseher. „Hey“, sagte sie und zapfte weiter durch die Kanäle. „Das ist gut“, stoppte ich sie irgendwann. „Find ich auch“, sagte sie und legte die Fernbedienung weg. Nach nicht einmal fünf Minuten rief unsere Mutter allerdings zum Essen und wir konnten den Fernseher wieder ausmachen. Nach dem Essen suchten wir dann wieder eine gute Serie und ich beschäftigte mich nebenher noch mit Tagträumen und Musikhören oder ich schaute irgendwelche Videos auf YouTube.

„Riecht ihr das auch?“, fragte Emma irgendwann am späten Nachmittag. Ich zog meine Kopfhörer ab. „Was?“, hakte ich nach. „Dieser Geruch. Das riecht wie Rauch.“ Ich zog stark die Luft ein, konnte aber nichts riechen. „Also ich rieche nichts.“ Unsere Mutter sprang auf und lief in die Küche. „Von hier kann es nicht kommen. Alles ist aus“, meinte sie, als sie wiederkam. „Hört ihr das?“, fragte Emma da und setzte sich aufrechter hin. Ich runzelte meine Stirn. Litt Emma gerade unter Wahnvorstellungen oder spielte sie uns einen Streich? Doch dann hörte ich es auch. „Klingt wie Schreie“, bemerkte ich nach kurzem Horchen. Ich stand auf und lief auf die Wohnungstür zu. Dann roch ich es auch. „Scheiße, das ist wirklich Rauch. Hier brennt es irgendwo im Haus!“, rief ich und lief zurück ins Wohnzimmer. Emma sprang auf. „Was? Feuer?“, kreischte sie. „Wir müssen hier raus. Komm!“ Ich packte Emma an der Hand. „Wartet. Die Dokumente“, hielt unsere Mutter uns auf und rannte den Flur entlang in irgendein Zimmer. „Nichts ist wichtiger als unser Leben, verdammt!“, schrie ich ihr hinterher und wollte mit Emma zur Türe gehen, doch meine Schwester stemmte sich gegen meinen Griff. „Ich gehe nicht ohne Mama!“ „Willst du wegen ihr draufgehen oder was?“ „Wenn es sein muss!“ Dieses Kind war so naiv und dabei war sie offiziell schon ein Teenager! „Na schön“, schnaufte ich. Ohne meine Schwester würde ich nicht gehen.

Ich wartete genau fünf Minuten und hörte dabei den eiligen Schritten und lauten Rufen aus dem Treppenhaus zu, dann folgte ich meiner Mutter in das Zimmer. „Hast du’s dann auch mal?“ Sie wühlte jedoch einfach weiter in irgendwelchen Ordnern und Stapeln. „Das reicht. Emma, wir gehen!“ Ich lief zurück, zog an Emmas Arm und als sie nicht mitkommen wollte, hob ich sie kurzerhand hoch und trug sie zur Tür. Ich riss diese auf und knallte sie im nächsten Moment hustend wieder zu. Dort draußen war nichts als dichter, grauer Rauch. Ich konnte kaum das Treppengeländer erkennen. Wir würden eher bewusstlos werden und dann ersticken, als dass wir aus diesem Haus kommen würden. Meine Mutter kam mit einem Stapel Papiere zu uns. „Hab sie. Wir können.“ Da sah ich rot. „Nein, wir können eben nicht! Wegen dir ist unsere einzige Fluchtmöglichkeit jetzt komplett verraucht! Du bist Schuld, dass wir hier festsitzen!“ Ich schnaubte und eilte zurück ins Wohnzimmer. Hektisch griff ich nach meinem Handy. Emma und unsere Mutter folgten mir. „Was machen wir denn jetzt?“, fragte Emma mit weinerlicher Stimme. „Du bist selbst Schuld! Wärst du gleich mit mir gegangen anstatt auf Mama zu warten, wären wir jetzt draußen!“, schnauzte ich sie an und wählte dann die Nummer der Feuerwehr. „Guten Tag, Feuerwehr und Rettungsdienst, wie kann ich Ihnen helfen?“ „Hallo, Sola mein Name. Ich bin hier mit meiner Schwester und meiner Mutter in einem der Mehrfamilienhäuser in der Hausmannsstraße. Hier brennt es und das Treppenhaus ist schon so voll mit Rauch, dass wir dort nicht rauskönnen.“ Wenigstens behielt hier eine von uns den kühlen Kopf (das war ich, für alle die es noch nicht bemerkt hatten). Denn die kläglichen Beruhigungsversuche meiner Mutter für meine Schwester zeigten ja schon, dass die beiden vollkommen unbrauchbar in dieser Situation waren. „Frau Sola, der Brand wurde schon vor ein paar Minuten gemeldet und die Rettungskräfte treffen jeden Augenblick bei Ihnen ein. In welchem Stockwerk befinden Sie sich?“ „Im ersten Stock, die Wohnung links. Aber der erste Stock liegt hier viel zu hoch und direkt unter den Fenstern sind Zäune. Einen Balkon hat’s hier nicht“, berichtete ich und vergewisserte mich mit einem schnellen Blick aus allen Fenstern, dass das auch wirklich der Wahrheit entsprach. „In Ordnung, Frau Sola. Die Rettungskräfte sind soeben bei Ihnen eingetroffen. Ich werde Ihre Position weiterleiten und dann wird jemand kommen und Sie und Ihre Familie holen.“ „Vielen Dank“, bedankte ich mich und legte dann auf.

Der neue Freund meiner Mutter (AS FF)Where stories live. Discover now