Kapitel 20

1.2K 52 2
                                    

Leichte Schläge auf meiner Wange holten mich aus der Schwärze. Mit ein paar Sekunden Verzögerung begann der Schmerz durch meinen Kopf zu pochen. Ich kniff meine Augen fest zusammen und stöhnte auf. „Sie wird wach. Jette, wenn du mich hören kannst, dann öffne einmal bitte die Augen.“ Ich schluckte, versuchte gegen den Schmerz anzukämpfen und öffnete blinzelnd meine Augen. Verschwommen erkannte ich ein Gesicht, ehe sich alles zu drehen begann und ich meine Augen wieder schloss. „Hey, schön Augen auflassen“, mahnte die Stimme mich, die ich mittlerweile einer Frau zuordnen konnte. „Dreht alles“, murmelte ich. „Alles klar, das ist vollkommen normal, wenn man einen Ball gegen die Birne bekommt. Kopfschmerzen hast du vermutlich auch?“ „Mhhm.“ Mein Magen schien Purzelbäume zu schlagen und plötzlich kam mir die Galle hoch. Ich würgte und versuchte sie zurückzuhalten. Da wurde ich schon auf die Seite gedreht und konnte es nicht mehr länger verhindern. Wenigstens kam nur Magensäure hoch, was es zwar nicht wirklich angenehmer machte, dafür aber nicht so stank. „Ist gut, lass es alles raus“, vernahm ich eine zweite, eindeutig männliche Stimme. Ich spuckte den letzten Rest der Säure aus, dann wurde ich zurück auf den Boden gelegt. „Jette, bist du gegen irgendwelche Medikamente allergisch?“ „Nein“, sagte ich und kniff meine Augen wieder fester zusammen, als der Kopfschmerz weiter zunahm. „Pass auf, wir geben dir jetzt was gegen die Kopfschmerzen und die Übelkeit, dann nehmen wir dich mit in die Klinik.“ „Ok“, murmelte ich. Die Frau hantierte an meiner Armbeuge und setzte mir zwei Spritzen. Dann legten die beiden mich auf eine Rolltrage und fuhren mich in den RTW.

„Warten Sie! Das hier sind Jettes Sachen“, vernahm ich die Stimme meines Sportlehrers und öffnete leicht meine Augen. Immerhin drehte sich nicht mehr alles und die Medikamente schienen langsam zu wirken. „Wir fahren in die Klinik am Südring. Würden Sie Jettes Eltern bescheid geben?“, bat die Ärztin. „Natürlich“, nickte Herr Müller. „Meinem Vater, bitte“, warf ich schnell dazwischen und hoffte, dass mein Lehrer mich verstanden hatte. „Alles klar“, erwiderte dieser und entfernte sich vom RTW. Ich schloss wieder meine Augen. Kurz darauf ruckelte das Auto und wir fuhren los. „Wenn die Schmerzen oder die Übelkeit wieder schlimmer werden oder etwas anderes sein sollte, sag mir bitte sofort bescheid“, bat die Notärztin. „Mhhm.“ Jedoch kamen wir ohne irgendwelche Zwischenfälle an der Klinik an und ich wurde in einen der Schockräume gefahren. Die Sanis betteten mich um, verabschiedeten sich mit einem Winken und Genesungswünschen und schon war ich mit der Ärztin und einem Pfleger alleine.

Die Frau rollte auf einem Hocker zu mir. „Hallo, Charlotte Engel mein Name. Kannst mich gerne Charlotte nennen. Darf ich dich denn noch duzen?“ „Natürlich“, murmelte ich und wunderte mich gleichzeitig über die Absurdität dieser Frage. „Sehr schön. Nicht erschrecken, ich leuchte dir einmal in die Augen und dann machen wir auch direkt ein CT, um Schäden in deinem Kopf auszuschließen.“ „Ok.“ Charlotte leuchtete mir mit einem kleinen Lämpchen in die Augen, was meine Kopfschmerzen wieder etwas anheizte. Ich konnte es nicht verhindern und verzog mein Gesicht. „Ja, helles Licht und Kopfschmerzen verstehen sich nicht sehr gut. Tut mir leid, der Test war aber wichtig. So, der Pfleger Tobias bringt dich jetzt zum CT. Wir sehen uns dann danach wieder.“ Und schon war ich aus dem Schockraum raus. Das CT an sich war wirklich unspektakulär und fast schon entspannend. Ich musste mich auf eine Liege in eine Art Röhre legen. Mein Kopf wurde fixiert und ich sollte die Augen geschlossen halten. In meiner momentanen Verfassung hätte ich sie eh nicht geöffnet. Denn trotz der Medikamente war mir immer noch leicht schlecht und meine Kopfschmerzen hielten sich auch hartnäckig, wenn auch auf einem geringeren Niveau. Ich hatte keine Ahnung, wie viel Zeit vergangen war, als ich wieder zurück in den Schockraum geschoben wurde. Fast war ich mir sicher, dass ich während dem CT kurz eingenickt war. Ein Blick auf die Uhr gegenüber zeigte mir, dass es keine halbe Stunde gedauert hatte.

Dass es wirklich nur so wenig Zeit gebraucht hatte, bestätigte sich auch, als mein Vater den Schockraum betrat. Er begrüßte die Ärztin und setzte sich dann auf einen Hocker neben mich. „Was machst du denn für Sachen, hm?“, lächelte er mich leicht an und strich mir über meine Stirn. Ich schloss meine Augen und genoss es kurz, ehe ich sie wieder öffnete. „Fußball ist einfach nicht so meins“, erklärte ich leise. Mein Vater verzog das Gesicht. „Oh je. Aber das ist Freunden von mir auch schon passiert, da bist du nicht alleine.“ „Wenn ich Sie kurz unterbrechen dürfte, die CT-Bilder sind da“, meinte Charlotte und schaute sich die Bilder schnell an. „Sehr schön, keine Auffälligkeiten. Von mir aus dürfen Sie ihre Tochter gerne wieder mit nach Hause nehmen. Sie soll sich nur ausruhen. Fernsehen, lesen und alles, was für die Augen und den Kopf anstrengend ist, ist strengstens verboten. Je nachdem, wie es mit der Übelkeit aussieht, rate ich zu Zwieback oder Suppe. Und gegen die Kopfschmerzen darf sie ganz normal Medikamente einnehmen, aber nur die normale Tagesdosis und das auch erst ab morgen, da sie vorhin schon Medis bekommen hat.“ „Alles klar, vielen Dank.“ Mein Vater schüttelte erneut die Hand der Ärztin, griff sich meine Schulsachen und half mir dann beim Aufstehen. Noch leicht schwankend stand ich da und als mein Vater dies sah, nahm er mich kurzerhand vorsichtig hoch. Ich schloss meine Augen und lehnte meinen Kopf an seine Schulter. Ich war schon eingeschlafen, ehe wir überhaupt beim Auto ankamen.

Ich war die komplette nächste Woche krankgeschrieben. Die meiste Zeit lag ich in meinem Bett oder auf dem Sofa. Wenn ich nicht schlief, hörte ich irgendwelche Hörbücher an oder ließ leise Musik laufen, sodass es gerade noch im Rahmen des Möglichen war. Mein Vater hatte extra für die Woche Homeoffice beantragt und natürlich hatte sein Chef ihm diesen auch gewährt. Papas Chef war sowieso der Meinung: solange die Arbeit erledigt wird, ist es egal, von wo aus man arbeitet. Zwar wusste ich nicht so ganz, wie mein Vater seinen Job von zu Hause aus machen sollte – er war Hotelfachmann – aber mir war es nur recht, ihn in meiner Nähe zu wissen. Essen tat ich vor allem die ersten zwei Tage wirklich nur Zwieback, Maiswaffeln und Buchstabensuppe – mein Vater konnte einfach nicht so gut mit anderen Suppen und wir hatten noch einen Vorrat an Buchstabensuppe von der Zeit, als meine Schwester andauernd diese Suppe zum Abendessen haben wollte. Fragt mich nicht, warum. Ich wusste es bis heute nicht. Wahrscheinlich wusste sie es selber nicht einmal.

Pünktlich zum Wochenende ging es mir dann wieder besser. Direkt am Samstag merkte ich dann, dass Herr Ratsmann mir Übungsaufgaben geschickt hatte. Im selben Moment fiel mir siedend heiß ein, dass wir am Montag die WBS Arbeit nachschreiben würden. Ich saß das ganze Wochenende vor den Übungen und ließ mir zusätzlich von meinem Vater alles erklären, was ich nicht verstand. Am Montag saß ich dann also auf meinem Platz ganz hinten im Klassenzimmer, wurde zum Glück von allen ignoriert und betete, dass ich auch wirklich alles konnte, was gleich in der Arbeit drankommen würde. Herr Ratsmann betrat die Klasse, ließ die Handys nach vorne bringen und verteilte die Arbeiten. Bei mir blieb er kurz stehen. „Ich hab von deinem Unfall gehört, Jette. Wenn du keine Zeit zum Lernen hattest, kannst du die Arbeit auch erst nächste Woche schreiben“, schlug er mit gesenkter Stimme vor. Kurz war ich verblüfft, ehe ich schnell meinen Kopf schüttelte. „Ich hatte am Wochenende Zeit und mein Vater ist auch alles mit mir durchgegangen. Ich denke, ich bin gut vorbereitet.“ Herr Ratsmann nickte und legte eine Arbeit vor mich. Und ich musste wirklich sagen, diese WBS Arbeit lief noch besser als die vor zwei Wochen.

Der neue Freund meiner Mutter (AS FF)Where stories live. Discover now