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Emily holte einige Male tief Luft, bevor sie die schwere Tür langsam öffnete. Draußen war es noch dunkel, die Vögel, die unter dem Kristalldach und an den Häusern der Stadt nisteten, riefen jedoch bereits zwitschernd den Aufgang der Sonne herbei.

Ich schaffe das. Es kann eigentlich gar nichts schief gehen. Um sich nicht weiter verrückt zu machen, trat sie hinaus und schloss die Türe hinter sich. Sie wandte sich nach links und lief so schnell und gleichzeitig leise wie sie konnte, den Weg vor Neds Haus entlang bis zu der Treppe, die sie nach unten führte. Am Boden angelangt, hielt sie sich wieder links und bog in die Seitengasse mit dem geheimen Eingang zur Kanalisation ein. Kail hatte ihr erklärt, wie der Schacht zu öffnen war, denn wie Emily sich schon gedacht hatte, gab es einen als Stein getarnten Verschluss, auf den sie treten musste. Zögerlich trat sie mit dem Fuß auf den Stein, von dem sie hoffte, dass es der richtige war - doch nichts passierte. Sie versuchte sich zu erinnern, ob Levin irgendetwas anders gemacht hatte, doch ihr fiel nichts ein, außer, dass er dabei triumphierend gegrinst hatte.

Sie trat erneut, nun um einiges fester, auf den Stein und merkte, wie er leicht nachgab, doch der Kanaldeckel öffnete sich immer noch nicht. Emily schluckte ihre langsam beginnende Verzweiflung herunter und nutzte sie, um so fest wie sie konnte auf den Stein einzutreten. Nach mehreren Versuchen funktionierte es endlich und sie musste zur Seite springen, um nicht von dem aufklappenden Deckel getroffen zu werden. Sie kletterte vorsichtig in den Schacht hinein und schloss den Deckel mit Hilfe des innen angebrachten Griffs über sich. In der Finsternis sammelte sie sich noch einmal und stieg, sich dieses Mal gut festhaltend, hinab.

Unten angekommen war sie für einen Moment wieder wie gebannt von der Schönheit des Anblicks. Wie kann die Kanalisation einer großen Stadt so ein schöner Ort sein? Das bläulich-weiße Licht des Kristalls ließ das rauschende Wasser schimmern und glitzern wie kleine Diamanten und erfüllte die gesamte Höhle mit einem unirdischen Leuchten. Emily schüttelte vor Verwunderung den Kopf und zählte die Abflussrohre. Das siebte von rechts, da! Sie ging zügig zu dem Rohr hin, das unter ihren Füßen seinen Inhalt ausspie und wandte sich um. Wie erwartet befand sich in der Wand ein Tunnel, der sie hoffentlich zum Eingang des Belüftungssystems der Akademie führte.

Sie tastete sich vorsichtig durch die dunkle, steinerne Röhre an der Wand entlang. Ihre Fingerspitzen glitten über die kalten feuchte Oberfläche. Die Luft wurde zunehmend wärmer, ein Zeichen, dass sie sich dem Heizraum am anderen Ende näherte. Bingo. Eine schwere Metallluke. Sowohl die Tür als auch Emily ächzten und stöhnten, als sie sich dagegen stemmte, um sie zu öffnen. Der Schweiß stand ihr auf der Stirn, als sie es endlich geschafft hatte. Die feuchtwarme Luft, die durch die Öffnung drang, trug noch dazu bei und innerhalb von wenigen Momenten klebte ihre Kleidung klamm an ihrem Körper. Emily wischte sich mit der Hand übers Gesicht. Sie befand sich in einem Maschinenraum, der nur grob aus dem Felsen gehauen war und nichts außer massiven Heizkesseln und einem Netzwerk von Rohren enthielt. Wie ein Netzwerk aus Adern zogen sich letztere an den Wänden entlang und verschwanden in der Decke. Zischende Geräusche unterbrachen das dumpfe Wummern. Die Tür zum Akademiekeller befand sich genau da, wo sie sie erwartet hatte. Sie legte ihr Ohr an das feucht-glitschige Holz und bereute es sofort. Den Impuls ihr Gesicht direkt wieder wegzuziehen, um sich den schmierigen Belag abzuwischen unterdrückend, lauschte sie, ob sich jemand in dem Gang dahinter befand. Wummern, Zischen, Dröhnen. Mehr konnte sie nicht hören. Sicherheitshalber kämpfte sie noch einige Momente länger ihren Ekel nieder, bevor sie die Holztür vorsichtig einen Spalt öffnete.

Emily streckte ihren Kopf hindurch, um sich umzusehen. Die abgestandene Luft, die ihr entgegenschlug war wesentlich kühler, aber ebenso feucht. Ähnlich grob gestaltete Wände wie im Maschinenraum und ein leises "Tropf. Tropf. Tropf", das ihr unangenehm bekannt vorkam, verrieten ihr, dass sie an der richtigen Stelle war.

Tief Luft holend sammelte Emily ihren Mut zusammen und wandte sich nach rechts. Eine Wendeltreppe führte sie in den Kerker hinunter. Zwischendurch blieb sie immer wieder kurz stehen, um zu lauschen, ob sich nicht doch jemand näherte. Ihr Herz klopfte im Takt des "Tropf. Tropf. Tropf.", das stetig lauter wurde. Sonst war nichts zu hören. Was nicht unbedingt etwas bedeuten muss, so leise, wie die hier alle schleichen können.

Am Fuß der Treppe angekommen besann sie sich kurz. Nach links. Mit geschärften Sinnen lief sie los. Und stolperte über eine Unebenheit im Boden. Emily versuchte sich zu fangen, doch sie schlug der Länge nach hin. Sie unterdrückte den Aufschrei, der ihr entweichen wollte, das laute Poltern, das ihr Körper verursachte, konnte sie jedoch nicht vermeiden.

Heart of Ageia 1 - FluchtTahanan ng mga kuwento. Tumuklas ngayon