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Also schloss sie die Augen und hob das Glas an die Lippen. Sie hörte jemanden ihren Namen rufen, zunächst aus der Ferne, dann immer näher, doch der Elfenwein, der ihren Mund füllte, ließ sie alles um sich herum vergessen.

Er schmeckte süß und vollmundig, überhaupt nicht alkoholisch. Wie Erdbeeren und Rosen und mehr und es war, als würde sie flüssiges Licht trinken. Als würde der Wein ihr Innerstes erhellen und alle Sorgen und allen Schmerz einfach schmelzen lassen. Glück.

Sie hörte wieder die Stimme, die ihren Namen rief – nun ganz nah - und spürte, wie sie grob an der Schulter gepackt und herumgedreht wurde. Ruckartig aus ihrem wohligen Moment des Genusses gerissen, öffnete sie die Augen und sah - Levin.

Und sie sah ihn, als würde sie ihn zum ersten Mal sehen. Als hätte sie bisher immer an ihm vorbeigeschaut. Als hätte sie sich bisher nicht getraut, ihn wirklich anzusehen.

Hatte sie vor wenigen Minuten noch bewundert, wie schön Alars Gesicht war, mit seiner Blässe, seinen schwarzen Haaren und den silbrigen Augen, so kam es ihr nun ordinär und kaum bemerkenswert vor. Blass. Farblos. Denn Levins goldenes Haar fing schimmernd die Lichtreflexe der vielen Lampions auf und seine leuchtend grünen Augen überstrahlten alles. Wo Alar wirkte, als wäre er aus Eis und düsterem Mysterium gemacht, war Levin Wärme und leuchtende Lebenskraft. Er war die Sonne. Sie konnte förmlich sehen, wie er Leben ausstrahlte. Und sie konnte es spüren.

Die Wärme, die von seinen Händen ausging, die ihre Arme weiterhin umklammerten, vertrieb jede Erinnerung an die Schauer, die Alars Berührungen ihr soeben noch über den Rücken gejagt hatten und erfüllte ihr Inneres vollständig. Sie ließ ihre Augen an seinen starken Armen entlangwandern, höher zu seinen Schultern, der Kuhle zwischen seinen Schlüsselbeinen, seinen Hals hinauf, wo sie an der Bewegung seines Adamsapfels sehen konnte, dass er schluckte. Sie tastete mit ihrem Blick weiter und wollte eigentlich in seine Augen sehen, die immer hell leuchteten, wollte seine Gefühle in diesem Moment darin lesen, wollte sehen, ob er das Gleiche fühlte. Doch so weit kam sie nicht, denn sie blieb an seinen Lippen haften.

Er sagte irgendetwas zu ihr, doch sie konnte ihn kaum hören. Als wären sie beide unter Wasser. Sie konnte nur die Wärme spüren, die sich in ihrem Inneren ausbreitete und sehen, wie seine vollen Lippen sich bewegten. Wie sie elegant Worte formten. Worte, die nicht an sie gerichtet waren, sondern an Merissa. Er schien wütend zu sein und die Rage, die er ausstrahlte, verstärkte Emilys Verlangen nur noch. Sie musste diesen Mund küssen und so zog sie sich an Levin heran, stellte sich auf Zehenspitzen und presste ihre Lippen auf seine.

Es war unglaublich. Die Schauer wurden zu Wogen, die ihren Körper durchliefen und ihren Hunger auf mehr weckten. Unter ihrer Berührung wurde Levin für einen Moment ganz weich. Ein Seufzen entfuhr ihm. Seine Finger wanderten von ihren Armen hinauf über ihre Schultern, hinterließen eine Gänsehaut auf ihrer nackten Haut, strichen über ihren Hals und verweilten schließlich auf ihren Wangen. Gierig begann sie, ihre Lippen gemeinsam mit Levins zu bewegen, während ihre Hände sich in sein Haar krallten. Es war so weich und geschmeidig, genau wie seine Lippen, an denen sie zu knabbern begann, als er sie nach einigen viel zu kurzen Momenten wegschob und ein Stück zurückwich. Schwer atmend. Die Augen vor Schreck geweitet. Die Haare völlig zerzaust. Den Mund mit ihrem Lippenstift verschmiert. Die Hände, die vorher noch ihre Gesicht gehalten hatten, an den Seiten verkrampft.

"Emily. Hör mir zu. Das bist nicht du. Das ist der Elfenwein. Er wirkt wie ein Liebestrank auf Menschen." Er keuchte. Der sonst so kontrollierte Levin brauchte mehrere Momente, um sich wieder zu fangen. Fasziniert betrachtete sie ihn dabei, während das, was er sagte nur langsam zu ihr durchdrang. Sie verstand seine Worte, doch sie ergaben keinen Sinn. Sie trat einen Schritt auf ihn zu und als er nicht zurückwich, noch einen, sodass sie wieder ganz nah vor ihm stand. Nah genug, um die Wärme seines Körpers durch den dünnen Stoff ihres Kleides zu fühlen.

Heart of Ageia 1 - FluchtWhere stories live. Discover now