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Blinzelnd erwachte Emily in ihrem Bett. Die graue Dämmerung drang durchs Fenster herein und tauchte alles in konturloses Zwielicht. Ein Blick auf ihr Handy verriet ihr, dass es die Morgendämmerung war. Sie fühlte sich fürchterlich. Ihr Kopf dröhnte, ihr Hals brannte, als hätte sie sich auf einer Achterbahn heiser geschrien. Sie wollte sich umdrehen und weiterschlafen, doch ihr Brustkorb schmerzte es ebenfalls. Selbst ihr Fuß tat weh. Es dauerte eine ganze Weile, bis sie sich erinnerte, warum das so war. Der verknackste Fuß, die Blutergüsse an Rippen und Rücken und dann fiel es ihr ein und sie stieß unwillkürlich einen Schrei aus. Der Strand! Aber da war noch etwas. Ihre Gedanken waren träge und sie watete hindurch, wie durch Schlamm.

Norah, Levin, der Klops ... Levin hatte den Fleischklops niedergeschlagen und war auf sie zugegangen. Danach wusste sie nichts mehr so richtig. Schwammige, unzusammenhängende Erinnerungsfetzen gingen ihr durch den Kopf, aber sie konnte keinen Sinn daraus konstruieren.

Instinktiv schaute sie sich um, um sich zu vergewissern, dass sie in ihrem Zimmer lag. Weiße Wände, weiße Möbel, roter Teppich. Ihr Herz stolperte. Ihre Brust fühlte sich an wie zugeschnürt. Panik ergriff sie. Wie bin ich hierhergekommen? Da hörte sie ein Geräusch, die Tür öffnete, sehr langsam wurde der Lichtspalt größer und eine Gestalt zeichnete sich ab. Im Gegenlicht konnte sie kaum etwas erkennen, aber sie hatte schon eine Vorahnung, zog reflexartig ihre Decke hoch bis unters Kinn und setzte sich trotz Schmerzen ruckartig auf.

"Emily?", fragte eine grauenvoll vertraute Stimme leise, fast flüsternd. "Bist du wach? Ich habe einen Schrei gehört", fuhr die Stimme fort. Die Tür öffnete sich ganz und in der Öffnung stand Levin. Er hatte dunkle Schatten unter seinen grünen Augen und einen wachsamen Ausdruck auf dem Gesicht, als sei er darauf gefasst, dass sie losbrüllen oder ihn attackieren würde.

Doch Emily konnte nicht schreien. Ihr Hals war wund, ihr Atem ging flach und viel zu schnell und in ihrem Kopf hämmerte es grässlich. Sie sammelte ihren Mut und ihre Kräfte und sprach ebenso leise zurück:

"Was willst du von mir? Was ist das für ein komisches Spiel, das du hier spielst? Mimst den netten Jungen, den Helden, den Stalker? Entführst meine Freundin, schlägst deinen Komplizen nieder und bringst mich dann wieder nach Hause?" Emilys Stimme hörte sich fremd in ihrem Kopf an, sie klang müde und etwas nasal, kratzig und sehr untypisch:Kraftlos.

"Es tut mir leid. Ich-", begann Levin und brach dann ab. Er klang abgespannt und mindestens genau so müde und kraftlos wie Emily. Er lächelte nicht, witzelte nicht.

"Sag mir endlich, was du von mir willst. Willst du meinen Anhänger haben? Nimm ihn. Ich hänge zwar sehr an ihm, aber wenn du mich dann endlich in Frieden lässt: Bitte nimm ihn. Ich habe keinen Nerv mehr, das alles zu ertragen." Bei den letzten Worten füllten sich ihre Augen wieder mit Tränen. Die Anspannung und Angst, die Verletzungen, der Selbstmordversuch ihrer Mutter, Norahs Entführung. Das alles in so kurzer Zeit zu erleben, war einfach zu viel für Emily.

"Behalte ihn. Gib aber sehr gut auf ihn Acht. Ich werde dir alles erklären, aber wir müssen von hier fortgehen. Hier ist es viel zu gefährlich. Ares wird sicherlich bald hier auftauchen und nach uns suchen und ich glaube, dieses Mal wird er nicht allein sein. Ich weiß nicht, wie viel Zeit uns noch bleibt." Levin sprach sehr ruhig und ernst, doch Emily spürte, wie Gelächter seinen Weg ihren Hals hinaufbrodelte. Es war kein fröhliches, sondern ein hysterisches, schrilles Lachen.

"Ich soll mit dir irgendwohin gehen? Nach all dem? Lass mich mal kurz überlegen: Ähm, NEIN?" Jetzt schrie sie doch, obwohl es sich anfühlte, als würde sie Reißnägel einatmen.

"Emily, du musst mir vertrauen." Levin sprach sehr eindringlich und nicht mehr ruhig.

Schon wieder lachte Emily schrill. Levin sah sie besorgt an.

Heart of Ageia 1 - FluchtWhere stories live. Discover now