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Die ersten paar Minuten gingen sie schweigend nebeneinanderher, dann begann Levin jedoch zu sprechen.

"Ist alles in Ordnung? Du bist so ... ruhig", fragte er mit scheinbarer Gleichmütigkeit, ein kleines Zittern in seiner Stimme verriet jedoch seine Anspannung. Emily konnte es sich nicht erklären, aber Levins Frage zündete einen Funken, der das Emotionsfass in ihrer Brust zum Explodieren brachte. Nicht nur, dass sein plötzlicher Stimmungsumschwung nichts Gutes zu verheißen schien, sondern die Formulierung an sich war so augenscheinlich manipulativ, dass sie tief einatmen musste, um nicht auszuflippen. In Ordnung? Alles?

"Nein. Gar nichts ist in Ordnung", zischte sie mit gepresster Stimme. Emily musste sich anstrengen, um sich zusammenzureißen. Sie atmete tief. Trotzdem spürte sie wieder die hysterische Panik in sich aufsteigen, die sie am Morgen schon überwältigt hatte. Die vielen neuen Eindrücke hatten sie zwischendurch abgelenkt, doch nun in der Stille wurde es immer schwerer, sich zu beherrschen.

"Meine Mutter liegt im Krankenhaus, weil sie sich töten wollte und ich bin mit einem Anhänger - mit einem Kettenanhänger! - in eine andere Dimension gereist. Mit einem Fremden - Ja, ich kenne dich kaum - und ich war gerade im Haus einer Frau, die nach ihrem Tod von einer Fee - von einer Fee! Einer FEE, verdammt! - zu einem- einem Wertiger gemacht wurde!" Wütend stapfte sie voran und ballte die Hände zu Fäusten, um nicht zu brüllen. Doch sie konnte nicht umhin, fortzufahren:

„Ich trage eine Oberschenkelscheide mit einem Messer unter meiner Shorts. Und das klingt so unanständig, wenn ich das sage, dass es mich noch mehr aufregt. Ich hoffe, du nimmst mir nicht übel, dass ich ruhig bin." Ausgesprochen klang das alles noch verrückter und Emily musste den Drang unterdrücken, sich in den Arm zu kneifen. Das kann doch alles nicht real sein.

"Hör mal-", setzte Levin an, doch Emily fiel ihm ins Wort:

„Nein, ich habe vorerst genug gehört! Ich will im Moment gar nichts mehr hören. Vor allem nicht von dir. Du kannst sowieso immer nur kryptische Andeutungen machen und Halbwahrheiten erzählen! Lass mich einfach für eine Weile in Ruhe." Für einen kurzen Moment drohte die Panik sie wieder zu übermannen, doch mit einigen tiefen Atemzügen der erdig-würzigen Waldluft konnte sie sich gerade noch kontrollieren.

Levin war verstummt und Emily war sicher, dass er wieder den angespannten Gesichtsausdruck mit den zusammengepressten Kiefern aufgelegt hatte. Doch es war ihr egal. Sie sehnte sich gerade einfach nach dem Schweigen, das sie mit Chris teilen konnte. Nicht so ein angespanntes Nichtreden, obwohl man reden möchte, wie jetzt, sondern einfach nur dasitzen und nicht sprechen und auch nicht denken müssen. Wahrscheinlich hatte sie Levin wieder zu scharf angefahren, war zu gemein gewesen, aber es interessierte sie nicht. Sie wollte an sich selbst denken und ihre Gedanken ordnen, stattdessen musste sie sich hier für ihr Schweigen rechtfertigen. Noch eine ganze Weile hing sie ihren Gedanken auf diese Weise nach, als hinter ihnen ein Zweig knackte.

Ruckartig hob sie den Kopf. Sie wollte Levin fragen, was das gewesen sein konnte. Doch er stieß sie grob zur Seite. Emily fiel rücklings ins Dickicht und zog sich einige Kratzer durch spitze Zweige und Dornen zu. Empört wollte sie aufschreien, doch da sah sie, dass an der Stelle, an der sie gerade gestanden hatte, nun ein Pfeil im Boden steckte. Ihre Augen weiteten sich vor Schreck und sie öffnete den Mund zu einem Schrei. Aber eine Hand legte sich ihr von hinten darüber und erstickte den Versuch. Die Hand riecht nicht nach Levin. Angst brodelte in ihr hoch. Sie wurde unsanft auf die Füße gerissen. Unsanft? Definitiv nicht Levin.

Panisch suchte sie mit ihren Augen die Umgebung nach Levin ab. Sie sah ihn nirgends. Also tat sie das Erste, was ihr einfiel. Sie riss den Mund auf und biss kräftig in die Hand, die ihn zugehalten hatte. Hinter ihr schrie jemand und schubste sie fluchend von sich. Emily fiel wieder. Dieses Mal auf die Knie. Noch mehr Kratzer. Als sie sich umdrehte, sah sie die Angreifer. Drei Männer und zwei Frauen unterschiedlichen Alters. Der Jüngste vielleicht siebzehn oder achtzehn Jahre alt, der älteste etwa um die fünfzig.

Heart of Ageia 1 - FluchtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt