29. Kapitel - Der Filmeabend

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Am nächsten Tag stellte Max fest, dass die Köpfe seiner neuen Freunde wieder einmal viel zu sehr von der Zeitreise-Sache vereinnahmt wurden. Auch Ellie stimmte ihm zu, als er sie darauf ansprach. Da sie bereits eine Ablenkungs-Jamsession veranstaltet hatten, schlug Ellie dieses Mal einen Ablenkungs-Filmeabend vor. Der Vorschlag fand bei den Musikern Zustimmung und Max begann, Ellies spärliche DVD-Sammlung nach einem guten Film zu durchforsten. „Hast du kein Netflix?", fragte er überfordert, als er den dritten Teil von „Die Wilden Hühner" zur Seite legte. „Die haben mir mein Abo gekündigt", antwortete Ellie. „Ich hab mich noch nicht um ein neues gekümmert." Max verengte die Augenbrauen. „'Die Wilden Hühner und die Liebe'? Sowas schaust du dir an?", wollte er sichtlich amüsiert wissen. Ellie verdrehte die Augen. „Die DVDs sind uralt!", verteidigte sie sich und begann nun ebenfalls ihre Filmesammlung zu durchsuchen. „Hier! Die Filme sind gut!", rief sie und hielt triumphierend eine DVD-Box in die Luft, in der sich die „Rush Hour"-Trilogie befand. Ein Grinsen bildete sich auf Max' Gesicht. „Schon besser", befand er.

Prince öffnete David Bowie und Roger Taylor die Tür zu Ellies Wohnung. Die beiden hatten Popcorn, Chips und andere Knabbereien besorgt. Auf Georges Bitten hin befanden sich auch drei Flaschen Coca-Cola in ihrer Einkaufstasche. Laut dem Wham!-Frontman war ein Filmeabend ohne die richtigen Getränke kein richtiger Filmeabend. Jimi wäre Alkohol lieber gewesen, aber nachdem Brian ihn auf den Minderjährigen in ihrer Runde hingewiesen hatte, hatte er sich mit Cola einverstanden erklärt.

Freddie war förmlich in einen Begeisterungstanz ausgebrochen, als Ellie ihm ihre zwei Kuscheldecken gezeigt hatte. Selbstverständlich durften auch weiche Polster nicht fehlen, da ja nicht alle Musiker auf dem Sofa Platz hatten. „Sind alle bereit?", fragte Andrew in die Runde, sobald sich alle einen bequemen Platz gesucht hatten. „Hat jeder eine Schüssel mit Knabberzeug in der Nähe?", wollte Michael wissen. Seine Mitbewohner nickten zur Antwort. „Und hat jeder ein Glas mit was zum Trinken vor sich?", stellte Falco sicher. Auch diese Frage wurde einstimmig bejaht. Freddie, der neben Ellie auf dem Sofa saß und sich in eine Kuscheldecke eingewickelt hatte, hüpfte aufgeregt auf und ab. „Na dann geht's los!", verkündete Ellie und drückte die „Play"-Taste auf ihrer Fernbedienung.

Schon nach den ersten zehn Minuten des ersten Filmes verkündete der Queen-Roger, dass er von diesem Tag an ein eingefleischter „Rush Hour"-Fan sei. Auch den anderen Musikern schien der Film zu gefallen und als Chris Tucker im zweiten Teil zu „Don't Stop Til You Get Enough" tanzte, sprang Michael auf und zeigte freudestrahlend auf den Bildschirm. „Das ist mein Song!", rief er glücklich, was David Gilmour zum Schmunzeln brachte.

Sobald der dritte Film zu Ende war, erhoben sich Brian, George und Andrew und verabschiedeten sich von Ellie, während sie sich vorsichtig auf den Weg zur Tür machten. Der Rest der Musiker war bereits eingeschlafen – aus Freddies Richtung ertönte ein leises Schnarchen und Max' Kopf war auf Ellies Schulter gesunken. Auch Falco, Jimi, die beiden Davids und John hatten die Augen geschlossen und atmeten ruhig. Lustigerweise waren es gerade Prince und Michael, die sich eine der Kuscheldecken teilten, während der Queen-Roger neben Michael ebenfalls vor sich hinschlummerte. Lächelnd schaltete Ellie den Fernseher aus und schob Max so sanft wie möglich ein wenig von sich fort, damit sie sich besser bewegen konnte. Seufzend lehnte sie sich über die Rückenlehne des Sofas, damit sie aus dem Fenster auf die Gebäude auf der gegenüberliegenden Straßenseite sehen konnte. In einigen Fenstern gegenüber brannte noch Licht, doch die meisten waren dunkel. Normalerweise schaffte Ellie es immer, bei Filmen einzuschlafen, doch heute wollte es ihr selbst nach dem Ende des Filmes nicht gelingen.

Ellie ließ ihre Augen weiter durch den Raum und über ihre schlafenden Mitbewohner schweifen. Beinahe hätte sie vor Schreck kurz aufgeschrien, als ihr Blick auf die grünen Augen von Roger Waters trafen, woraufhin dieser grinste. „Irgendwie kommt es mir so vor, als hätten wir das hier schon einmal erlebt", flüsterte der Bassist schmunzelnd. Ellie nickte seufzend. „Warum bist du noch wach?", fragte sie dann leise. Roger zuckte mit den Schultern. „Manchmal habe ich nachts das Gefühl, dass ich einfach wach bleiben muss, verstehst du?", erklärte er dann, während er nachdenklich auf den dunklen Bildschirm des Fernsehers blickte. „Irgendjemand muss doch aufpassen, dass nichts passiert." Ellie folgte seinem Blick und legte den Kopf schief. „Was soll uns denn hier passieren?", fragte sie ein wenig verwirrt und unterdrückte ein Gähnen. Darauf folgte Schweigen. Ellie dachte bereits, dass sie keine Antwort mehr auf ihre Frage bekommen würde, als Roger die Stimme erhob: „Was ist, wenn zum Beispiel einer von ihnen" – mit dem Kopf wies er auf die auf dem Boden schlafenden Musiker – „einen Albtraum hat und schweißgebadet aufwacht? Dann ist es bestimmt gut, wenn noch jemand wach ist und ihm versichern kann, dass alles gut ist."

Max war mittlerweile immer weiter von Ellie fortgerutscht und hatte seinen Kopf auf der Schulter des Pink-Floyd-Bassisten platziert. „Oder wenn Max fast vom Sofa fällt – dann braucht er auch jemanden, der ihn davor rettet", murmelte Roger. Ellie nickte langsam. „Und was ist mit dir?", wandte Roger sich nun an sie. „Warum schläfst du nicht?" Ellie holte tief Luft. „Da sind zu viele Gedanken", antwortete sie. „Was für Gedanken?", hakte Roger ungewöhnlich sanft nach. Seufzend hob Ellie die Schultern.

„Es ist nur... Immer, wenn wir darüber reden, wie wir diesen Timekeeper besiegen können, wird mir klar, dass das alles sehr bald passieren wird", erzählte sie. „Und das bedeutet, dass ich auch sehr bald wieder alleine in meiner Wohnung hocken werde – ohne einen Freddie Mercury, der mir beim Kochen fast meine Küche abbrennt. Ohne einen Jimi Hendrix, der mich manchmal mit seinem virtuosen Gitarrenspiel vom Arbeiten abhält. Ohne einen Prince, der sich ständig über David Gilmours Frisur beschwert und ohne einen John Deacon, der immer versucht, derartige Diskussionen zu schlichten. Ohne einen David Bowie, der mir von Roger Taylors Missgeschicken bei der Arbeit erzählt." An dieser Stelle machte Ellie eine Pause und blickte Roger in die Augen. „Ohne einen Roger Waters, der sich nachts meine Gedanken anhört und mit mir über die eigenartigsten Dinge redet, wenn ich nicht schlafen kann." Sie lächelte, als der Bassist verlegen zu Boden blickte und sie erkannte, dass sich auf seinen Lippen ebenfalls ein kleines Lächeln gebildet hatte.

Nach einer kurzen Pause fuhr Ellie fort: „Ich werde nicht mehr die Gewissheit haben, dass in der Wohnung meines Vermieters noch mehr von diesen chaotischen Musikern aus der Vergangenheit leben, die mein Leben innerhalb eines Monates auf den Kopf gestellt haben. Ich werde einfach alleine sein. Und das macht mir irgendwie Angst."

Roger holte tief Luft. „Ich verstehe, was du meinst", murmelte er leise. „Eigentlich will ich das gar nicht zugeben, aber ich werde diese Idioten auch alle vermissen. Es fühlt sich irgendwie gut an, hier zu sein. So, als müsste ich mir um keine Alben oder Musikverkäufe Sorgen machen. Ich meine, ein verrückter Zeitreisender ist jetzt auch keine kleine Bedrohung, aber trotzdem... Es ist eine wundervolle Ablenkung. Die Zukunft hat irgendwie etwas und diese eigenartige Truppe hier auch." Er machte eine kurze Pause, bevor er erneut tief Luft holte und fortfuhr: „Und ich glaube, von allen Leuten hier mag ich dich am meisten." Darauf folgte keine Antwort. „Ellie?", fragte Roger leise in die Stille hinein. Schweigen. Als er den Kopf in ihre Richtung drehte, sah er, dass ihre Augen geschlossen waren und sie ruhig atmete. Ein Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus, während er aus dem Fenster nach draußen in die sternenklare Nacht blickte.


Time Is FleetingWhere stories live. Discover now