9. Kapitel - Neugier

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Das Hauptquartier des Bundes der Zeitreisenden – jenseits von Zeit und Raum

Müde hob der Mann den Blick und schaute Paul in seine blauen Augen. Dieser schluckte. „Hier, das ist Ihr Mittagessen", erklärte er, obwohl diese Erklärung völlig unnötig war. Was sollte es denn sonst sein? Aber Paul hatte ihm das Teller mit dem Fleisch und den Erbsen nicht einfach wortlos vor die Nase stellen wollen – das wäre mehr als unhöflich gewesen und er hatte schließlich keinen Grund, unhöflich zu dem Gefangenen zu sein. Außerdem fühlte er sich für die Aktion mit der Entführung immer noch schuldig. Robert fuhr sich durch die Haare. „Eins muss ich euch lassen, das Essen ist wirklich nicht schlecht", brummte er. Paul grinste. „Die Mitglieder, die hier arbeiten, bekommen das gleiche zu essen", erzählte er. „Wir hatten noch nicht viele Gefangene hier, deswegen kennen unsere Köche sich nicht besonders gut mit Essen für Gefangene aus..." Er unterbrach sich selbst und ein erschrockener Ausdruck huschte über sein Gesicht. Hatte er zu viel geredet?

Robert schien die kurze Unsicherheit ebenfalls bemerkt zu haben, denn er fragte: „Ihr hattet noch nicht viele Gefangene? Dann sperrt ihr normalerweise keine Leute ein und fragt sie nach irgendwelchen Uhren?" Paul haderte mit sich selbst. „Das geht Sie nichts an!", blaffte er und warf dem Mann im nächsten Moment einen entschuldigenden Blick zu. Mit einem kaum merklichen Nicken machte er ihn auf die Kamera in der Ecke des Raumes aufmerksam. Sein Gegenüber schien zu verstehen. „Guten Appetit", murmelte Paul leise, bevor er den Raum verließ.

Zögernd klopfte Paul an die Tür des Büros, in dem der Timekeeper sich für gewöhnlich aufhielt. „Herein!", ertönte es gedämpft aus dem Inneren des Zimmers. Der junge Mann drückte die Türklinke nach unten und öffnete die Tür. „Paul. Was willst du?", fragte der Timekeeper und blickte kurz von dem alten und ziemlich verstaubt aussehenden Buch auf, das er gerade zu lesen schien. „Ich habe dem Uhrenmacher sein Essen gebracht", berichtete Paul. Er wusste selbst nicht, warum genau er hierhergekommen war. Er fühlte sich in der Gegenwart des Timekeepers äußerst unwohl, da er ihn nicht ausstehen konnte, aber gleichzeitig auch gehörigen Respekt vor ihm hatte. Letzteres könnte allerdings auch an ihrer gemeinsamen Vergangenheit liegen.

„Und deswegen störst du mich?", blaffte der Timekeeper ungehalten. Paul schluckte. „Ich wollte wissen... also... Wie lange willst du ihn noch gefangen halten? Wir wissen doch, dass er die Uhr nicht hat", stotterte der Blondschopf vor sich hin. „Aber er weiß nicht, dass wir es wissen. Er soll so viele Details ausplaudern wie möglich. Außerdem gehört er zu den wenigen Leuten im 21. Jahrhundert, die dazu fähig sind, eine Zeitreise-Uhr zu reparieren", erläuterte der Timekeeper. Paul nutzte seine ungewöhnliche Gesprächigkeit für weitere Fragen aus. „Und was passiert, wenn wir alle magischen Uhren beschlagnahmt haben?", hakte er nach. Doch vergeblich: Der Timekeeper grinste ihn herablassend an und schüttelte nur den Kopf. „Das ist nicht deine Sache", sagte er, während er sich aus seinem Schreibtischsessel erhob und neben Paul trat. Er tätschelte dem jungen Mann die Wange. „Darüber solltest du dir keine Gedanken machen", meinte er mit einem fast schon väterlichen Unterton in seiner Stimme.

„Weißt du, du könntest eine tolle Karriere hier im Bund vor dir haben", fuhr der Timekeeper fort. „Du müsstest nur aufhören, dir immer so viele Gedanken zu machen und deinen Vorgesetzten vertrauen." Nur mit viel Mühe konnte Paul ein verächtliches Schnauben unterdrücken. „Meinen Vorgesetzten vertrauen! Dass ich nicht lache!", dachte er verbittert. „Als ob ich dir vertrauen würde du Tyrann!" Sehr zu Pauls Glück konnte der Timekeeper jedoch keine Gedanken lesen und so kaufte er dem jungen Mann das falsche dümmliche Lächeln auf seinem Gesicht ab. Er klopfte Paul auf den Rücken. „Aber mach dir keine Sorgen, das wird schon", versicherte er ihm immer noch väterlich lächelnd. Paul nickte. „Ich werde mich bemühen, meine Fähigkeiten zu verbessern und weniger nachzudenken", versprach er, bevor er sich von seinem Vorgesetzten verabschiedete und das Büro verließ. „Wenn du nur wüsstest...", dachte Paul, während er die Tür hinter sich zuzog.

Auf dem Gang traf er – wie so oft – auf Oskar. „Sie wollen jetzt den letzten Zeitreisenden ins Jahr 2022 holen", berichtete dieser, nachdem die beiden einander begrüßt hatten. „Und dann fällt uns die Aufgabe zu, ihnen die Uhr abzunehmen", seufzte Paul. Oskar nickte und schaute sich vorsichtig um. Er konnte keine Kameras oder Mikrophone entdecken, doch das bedeutete nicht, dass sie nicht trotzdem da waren. „Wer ist der Letzte?", wollte Paul wissen. Oskar zuckte mit den Schultern. „Irgendein Gitarrist aus den 60ern", lautete seine Antwort. „So eine eigenartige Konstellation aus Zeitreisenden hat es wirklich noch nie gegeben, oder?", bemerkte Paul amüsiert. „Jedenfalls habe ich noch nie von zeitreisenden Musikern gehört." Oskar grinste. „Da hast du nicht ganz Unrecht", schmunzelte er.


Mal wieder ein kurzes Platzhalter-Kapitel, aber wir dürfen unsere Antagonisten ja auch nicht vernachlässigen. Was haltet ihr vom Bund der Zeitreisenden? Denkt ihr, dass alle Mitglieder böse sind? Und wie steht ihr zu Paul?

Das war's auch schon, jetzt lasse ich euch wieder in Ruhe.


Time Is FleetingWo Geschichten leben. Entdecke jetzt