10. Kapitel - Die weiße Gitarre

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2022

„Papa? Bist du zu Hause?", rief Max vorsichtig. Stille. Leise schloss der Junge die Wohnungstür hinter sich und setzte langsam einen Fuß vor den anderen. Die Wohnung seines Vaters wirkte verlassen und er bezweifelte, dass er ihn hier antreffen würde. Eigenartig. Vielleicht war sein Vater aber auch einfach nur einkaufen gegangen oder ähnliches. Doch irgendetwas sagte Max, dass das nicht der Fall war. Sein Blick glitt über das Zettelchaos auf dem Küchentisch. Er umklammerte den Griff seines Koffers mit seiner rechten Hand. Vielleicht war es doch keine gute Idee gewesen, seinen Vater mit einem Besuch zu überraschen. Aber er hatte ihn seit den Weihnachtsferien nicht mehr gesehen und wollte endlich wieder einmal ein wenig Zeit mit ihm verbringen. Glücklicherweise hatte seine Mutter eingewilligt, ihn alleine mit dem Zug hierherfahren zu lassen. Normalerweise mochte sie es lieber, wenn ihre beiden Söhne ihren Vater während den Ferien besuchten, doch weil Max nicht lockergelassen hatte, hatte sie schließlich nachgegeben. Und nun stand Max alleine in der verlassen wirkenden Wohnung seines Vaters und wusste nicht so recht, was er tun sollte. Zwar wusste er, wie er sich selbst versorgen konnte – immerhin war er 17 Jahre alt und kein Kleinkind mehr – aber er war doch nicht hierhergekommen, um dann auf sich gestellt zu bleiben.

Vielleicht sollte er es einfach mit einem Anruf versuchen. Doch kaum, dass das Wählzeichen das erste Mal ertönt war, hörte Max auch schon den Handyklingelton seines Vaters, der aus der Richtung des Küchentisches kam. Seufzend legte er auf und ging zum Küchentisch, um das Handy seines Vaters zur Hand zu nehmen. Offenbar war er nicht die erste Person, die versucht hatte, seinen Vater zu erreichen. Eine gewisse Ellie hatte ihn ganze drei Mal angerufen. Hatte sein Vater etwa eine Freundin, von der Max nichts wusste? Nein. So etwas hätte er ihm doch bestimmt erzählt. Wahrscheinlich war Ellie einfach eine Mieterin, die irgendein Problem mit ihrer Wohnung hatte.

Max setzte seinen Weg ins Wohnzimmer fort und zog seinen schwarzen Reisetrolley hinter sich her. Er stutzte, als er die weiße Akustikgitarre erblickte, die auf dem Sofa lag. Vorsichtig strich er mit seinem linken Zeigefinger über das Instrument und zupfte probehalber an einer Saite, die daraufhin einen leisen Ton von sich gab. Seit wann spielte sein Vater denn Gitarre? Davon hatte er Max nie erzählt. Und diese Gitarre hatte Max ebenfalls noch nie zuvor gesehen. Vielleicht hatte sein Vater sie zu Weihnachten geschenkt bekommen. Aber von wem? Und warum sollte jemand ihm eine Gitarre schenken? Das ergab doch keinen Sinn! Doch bevor Max sich weiter den Kopf über die Gitarre zerbrechen konnte, wurde der Raum in ein so helles Licht getaucht, dass der Junge sich schützend die Hände vor die Augen halten musste.

So schnell wie das Licht aufgetaucht war, war es auch wieder verschwunden und Max blinzelte, um seine Augen an die Lichtverhältnisse zu gewöhnen. Erst als er wieder ein wenig klarer sehen konnte, bemerkte er den Mann in der roten Schlaghose und der dunkelblauen Husarenjacke. Verdattert wich Max zurück, soweit das auf dem Sofa seines Vaters möglich war. Wie war der Typ denn so schnell hierhergekommen? Ein paar Minuten, in denen keiner der beiden so recht wusste, was er sagen sollte, verstrichen. Ungläubig rieb Max sich die Augen, um sicherzustellen, dass er nicht träumte. Dann wurde die Stille endlich von dem Mann unterbrochen, dessen Blick auf die weiße Akustikgitarre gefallen und dann wieder zu dem Jungen auf dem Sofa gewandert war. „Hey", sagte Jimi und grinste. „Die Gitarre hab ich zu Weihnachten gestohlen."

„Wer zum Teufel sind Sie?", fragte Max verdattert. „Und was machen Sie hier? Und wie sind Sie hier überhaupt reingekommen?" Fragen über Fragen schossen ihm durch den Kopf, sodass er sie gar nicht schnell genug aussprechen konnte. Der junge Afroamerikaner legte den Kopf schief. „Du musst schon Englisch sprechen. Sonst verstehe ich dich nicht", erklärte er. Auf eine abstrakte Art und Weise erinnerte diese Situation Max an den Englischunterricht in der Schule. Ein wenig verlegen kratzte der Junge sich am Kopf. „Oh...", murmelte er. Dann wiederholte er die Fragen noch einmal auf Englisch. Sobald er zu Ende geredet hatte, ergriff Jimi das Wort: „Also, zu deiner ersten Frage: Ich bin Jimi. Jimi Hendrix. Vielleicht hast du schonmal etwas von mir gehört – jedenfalls bin ich ein Musiker aus dem Jahr 1967. Das führt uns auch gleich zu deiner letzten Frage... Ich bin in der Zeit gereist." Als er den letzten Satz hörte, prustete Max los. „Du... du bist... was?", japste er und schüttelte den Kopf. „Komm schon, das kann doch unmöglich dein Ernst sein!" Doch als er Jimis ernsten Gesichtsausdruck bemerkte, beruhigte er sich schlagartig. „Das ist kein Witz, oder?", fragte er zaghaft, woraufhin der Gitarrist den Kopf schüttelte. „Glaub mir, ich wünschte, es wäre einer", erwiderte Jimi. „Ich wollte nämlich gar nicht hierherreisen. Das kam für mich genauso überraschend wie für dich."

„Apropos... Welches Jahr haben wir überhaupt?", erkundigte sich der Musiker dann. „2022", antwortete Max. Langsam nickte Jimi, während er sich in der Wohnung umblickte. „Hier bin ich das letzte Mal auch gelandet, als ich in die Zukunft gereist bin", erzählte er. „Das war in der Weihnachtszeit 2021." Max' Augen weiteten sich ungläubig. „Hast du meinem Vater die Gitarre geschenkt?", fragte er und deutete auf das Instrument. Der Gitarrist nickte, kurz darauf hielt er jedoch inne. „Moment mal... Robert ist dein Vater?", fragte er den Jungen. Jetzt war Max an der Reihe, zu nicken. „Ja, ist er. Ich bin übrigens Max", stellte er sich dem Musiker vor. „Max... Nett, dich kennenzulernen", meinte Jimi. Max mochte die Art, wie der Amerikaner seinen Namen sagte. Er sprach den deutschen Namen als „Mäx" aus – was der Meinung des Teenagers nach viel cooler klang.

Jimi erinnerte sich an die Wohnung, in der er bei seinem letzten Aufenthalt im 21. Jahrhundert gewohnt hatte, und schlug vor, sich dort einmal umzusehen, da Robert sowieso nicht da war, um ihnen behilflich zu sein. Also machten sie sich auf den Weg zu besagter Wohnung. Selbstverständlich wurde die Gitarre nicht in Roberts Wohnung gelassen, sondern mitgenommen. Jimi wollte überprüfen, ob die Tür abgeschlossen war und daher einfach versuchen, sie zu öffnen, doch Max schlug vor, lieber anzuklopfen, um niemanden zu verschrecken, falls die Wohnung mittlerweile neue Bewohner bekommen hatte. Gesagt, getan. Tatsächlich staunte Jimi nicht schlecht, als er sich auf wiederholtes Klopfen hin plötzlich Michael gegenübersah. Auch Max musste sich erst einmal daran gewöhnen, vor einem der größten Stars aller Zeiten zu stehen.

„Jimi?", fragte Michael ungläubig. „Michael?", fragte Jimi zurück. „Du bist auch hier?" Der Popstar grinste. „Nicht nur ich", antwortete er und trat zur Seite, damit der Gitarrist und sein Begleiter die Wohnung betreten konnten. „Ach ja... Das ist übrigens Max", stellte Jimi den 17-Jährigen im Vorbeigehen vor. „Ich bin in Roberts Wohnung angekommen und er war auch da." Michael lächelte den Jungen freundlich an und führte die beiden Neuankömmlinge ins Wohnzimmer. Auf dem Weg dorthin bat er John, die anderen zusammenzutrommeln, und so hatten sich wenig später alle Bewohner von Ellies Wohnung im Wohnzimmer eingefunden und Jimi begrüßt. Freddie war derjenige, der sich am meisten über die Ankunft des Gitarristen freute, doch auch die anderen waren froh darüber, dass Jimi endlich zu ihnen gestoßen war.

Max bekam die Zeitreise-Sache von David in Ruhe erklärt und Brian klärte Jimi über das Verrücktspielen der Uhr und die eigenartige Abwesenheit von Robert auf. Als Max hörte, dass sein Vater unauffindbar zu sein schien, huschte ein besorgter Ausdruck über sein Gesicht. „Was soll ich denn jetzt machen? Was ist, wenn ihm etwas passiert ist? Ich kann doch jetzt nicht einfach wieder nach Hause fahren, oder?", fragte er verzweifelt. George legte ihm eine Hand auf die Schulter. „Keine Sorge, wir werden schon herausfinden, was Robert zugestoßen ist", versprach er. „Genau!", stimmte Ellie ihm zu. An Max gewandt fügte sie hinzu: „Und wenn du willst, kannst du so lange hier bei uns bleiben – auf die eine Person mehr oder weniger kommt es jetzt auch nicht mehr an." Max warf ihr ein dankbares Lächeln zu. So war die Zeitreise-WG – wie Freddie sie mittlerweile nannte – an diesem Tag gleich um zwei Bewohner reicher geworden.


Alright, nach über einem Monat gibt es auch bei diesem Buch endlich mal wieder Updates. Allerdings kann ich euch verraten, dass ich dieses Monat nicht tatenlos verbracht, sondern schon ein paar Kapitel vorgeschrieben habe. Das bedeutet, dass es jetzt wieder häufigere Updates geben wird - ob diese regelmäßig kommen werden, kann ich noch nicht genau sagen. Wir werden sehen.

Time Is FleetingDär berättelser lever. Upptäck nu