,,Bringen Sie sie hier weg. Sie sollte das wirklich nicht sehen", sagt einer der Polizisten zu Sherlock und der bedauernde Blick, der er mir zu wirft, verrät mir alles, was ich wissen muss.

,,Sherlock", sage ich mit erstickter Stimme und versuche mich seinem Griff zu entziehen.
Eine Hand wandert an meinen Nacken.
Meine Bewegungen werden langsamer, kraftloser, bis ich den Kopf senke und meine Stirn gegen seine Schulter drückt, während mein Atem schwer geht.

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Alfred Bean Hospital, Bridlington
Die Wand ist kalt an meinem Rücken, selbst durch meinen Strickcardigan hindurch.
Ich lasse den Kopf dagegen sinken und schließe die Augen, während sich die Sekunden wie Stunden anfühlen.

Die Tür schwingt auf und ich bin sofort hellwach. Ich stoße mich von der Wand ab und mache einige Schritte auf John zu.

,,Ist - ist es Tommy?", frage ich und ziehe die Jacke enger um meinen Körper.

Mir wird in dem Moment klar, dass ein ganz kleiner Teil von mir tatsächlich noch gegen jede Vernunft geglaubt hat, dass es nicht wahr ist. Es ging nicht wirklich darum, wie realistisch oder wie logisch diese Möglichkeit war, sondern nur, dass sie noch existiert hat. Bevor die Ergebnisse des DNA-Vergleiches schwarz auf weiß vorgelegen haben.

,,Ja"

Und da war es also.
Das Ende nach der ganzen Zeit.
Ein knappes ja auf einem verlassenen, sterilen Gang ganz unten im Kellergeschoss eines Krankenhauses, das alles beendete.

,,Ja", wiederhole ich also leise und nicke.

Meine Stimme klingt heiser.

Die Anspannung fällt von mir ab, aber es ist kein gutes Gefühl. Vielmehr scheint mich die Anstrengung und die Ereignisse der letzten Tage plötzlich einzuholen.

,,Die Ergebnisse der... Untersuchung", sagt John behutsam. ,,Stimmen mit einem Autounfall, wie Spencer und Theo in geschildert haben, überein."

,,Okay. Also."
Ich fahre mir durch die Haare und drehe mich so, dass ich nur noch die grau gestrichene Wand des Ganges vor mir sehe. Es kostet viel Kraft, aber ich weine nicht.

Ich kann es fühlen. Der Tumult, der in mir zu toben scheint, direkt unter den Knochen meines Brustkorbes.
Aber ich kann es noch zurückhalten.

,,Ihre Eltern sind oben", fügt John hinzu.

Meine Kehle ist trocken.

,,Okay", sage ich wieder, aber es klingt mehr wie ein Krächzen. Ich räuspere mich. ,,Ich - ich schätze, ich sollte zu Ihnen gehen."

Meine Stimme klingt überraschend fest. Pragmatisch. Beherrscht. Aber ich fühle mich, als wäre ich nicht vollständig anwesend und es ist, als würde ich einer Fremden, die meine Stimme hat, beim Sprechen zuhören.

Ich habe mich nicht von der Stelle bewegt, als wären meine Füße mit dem Boden verschmolzen.
An der Decke umschwirrt eine Fliege die grellen Lichtpaneele. Und ich frage mich, ob nur mir ihr Summen und das Knistern der Deckenleuchten so laut vorkommt.

Ich will nicht nach oben gehen, wo Mum und Dad warten, wo der Rest der Welt wartet.

Ich will hier bleiben. Eine Etage unter der Erde, wo außer uns niemand zu sehen ist und ich meinen eignen Herzschlag höre.

Ob es sehr skurril ist, dass ich die kalten Flure ohne Tageslicht, die Leiche meines Bruders in einer Metallbox zwei Türen weiter, als seltsam friedlich empfinde?
Sehr wahrscheinlich, ja.

,,Brauchen... brauchen Sie noch etwas Zeit?", höre ich John fragen. ,,Ich kann mit Ihnen sprechen, zusammen mit der Polizei", bietet er an.

Ich atme hörbar aus und mein Brustkorb senkt sich.
,,Das wäre-", beginne ich und stocke dann. Das wäre? Gut, wunderbar, feige?

days at bakerstreetWhere stories live. Discover now