53. Kapitel

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Wenn ich vorstellen darf 👆🏽: Arrow


A R R O W



Ich witterte sie bereits, bevor sie aus dem runden Guckfenster aufs Dach kletterte. Sie roch wie die kühle Meeresbriese, erinnerte mich an das Strahlen und Glitzern des Mondscheins auf der blauen Wasseroberfläche der Veshari. Ruhig, mysteriös und wunderschön.

Mit blitzschneller Reaktion wirbelte ich sie aufs Dach und drückte meinen Arm gegen ihren Hals. Schnitt ihr die Luftzufuhr ab. Noch einen Tick enger und ich würde ihr das Genick brechen und ihr Leben beenden.

June keuchte. »Oh! Du hast mich erschreckt.« Ihre rot glitzernd geschminkten Augenlieder blinzelten hastig und sie sah mich aus geweiteten mitternachtsblauen Augen an. »Hi ... Arrow.«

Ihre Stimme strich seidenweich über mich, und mein leise gehauchter Name verursachte, dass sich mein Herz zusammenzog. Ich wollte ihn noch einmal aus ihrem hübsch geschwungenen Mund hören.

Ein stummes Knurren bahnte sich in meinem Inneren an und liess meine Brust vibrieren, während jedoch kein Ton nach aussen drang. Mein Wolf in mir brüllte auf und sprang gegen die Fesseln.

»Du fragst dich, was ich hier mache? Ich beantworte dir die Frage, wenn du deinen Arm von mir nehmen würdest.« presste June leise hervor und ihre geschwungenen Wimpern lagen wie zwei dunkle Halbmonde auf ihrer gebräunten Haut.

Meine Augen verengten sich und ich regte mich keinen einzigen Millimeter. Doch zu meinem Erstaunen war sie nicht ärgerlich. Sie lächelte leicht und sagte dann sorgenlos: »Ich komme jede Nacht hierher. Minkaujinsieht bezaubernd aus, von hier oben, findest du nicht auch?« Sie wartete auf meine Antwort.

Sie hatte sich weder verteidigt noch den Versuch gewagt, an eines der vielen Messer, die in ihren über die Brust geschlungenen Gurte steckten, zu gelangen. Entweder war sie eine miserable Kriegerin oder aber sie war klug genug zu wissen, dass sie selbst mit hunderten von ihren kleinen Dolchen keine Chance gegen mich hegte.

Als sie begriff, dass ich ihr nicht antworten würde, sagte sie: »Wir können die Aussicht zusammen geniessen, wenn du möchtest.«

Sie konnte eine Feindin sein, konnte vielleicht Absichten hegen, meinem Rudel weh zu tun. Dennoch liess ich sie los und setzte mich auf, meine Augen liessen sie jedoch nicht los.

Das kleine Lächeln auf ihren Lippen verflüchtigte sich, als sie ihre Arme um ihre angewinkelten Beine schlang und auf die Stadt starrte. Eine Weile blieb sie so, dann sagte sie plötzlich: »Stille.«

Ich zog meine Kapuze tiefer in mein Gesicht. Es war eine reine automatische Bewegung. Gewohnheit.

»Es ist die Stille, die ich so mag. Minkaujin ist nie ruhig, doch hier oben, während alle anderen schlafen und die Laternen immer noch angezündet sind, hat man das Gefühl, man sei ganz alleine hier. In völligem Frieden.«

Der Wind blies June durch ihre goldblonden, langen Haare und sie zog ihren blutroten Mantel enger um sich. Ich hätte beinahe geknurrt. Sie sollte verschwinden und durchs Fenster zurück in den Palast, wo sie die Scheiben von dem kühlen Wind schützten. Insulaner waren nicht gemacht für die Kälte.

»Mein Vater sagte mir immer, dass vor fünftausend Sonnenumläufen Ozuro über unsere Stadt geflohen sei, und in der Nacht das Vesharische Meer mit seinen blauen Feuerzungen geschmückt hatte. Jeder, der ihn sah, betrachtete das Schauspiel in Stille, gebannt, was er als nächstes tun würde. Ozuro mochte die Stille ebenfalls. Mache sagen, darum sei er aus Minkaujin verschwunden, weil es ihm zu laut sei.« June stützte ihr Kinn auf ihre Knie. »Wenn ich ein Drache wäre, dann wäre es mir auch zu laut. Ich würde ebenfalls verschwinden, aber nicht nur wegen der Stille.«

B E A U | ✔️Where stories live. Discover now