5. Kapitel

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B E A U







»Wie schön bist du hier, mein Süsser! Ich hab dich schon vermisst.« rief Tante Rose mir aus der grossen Gemeinschaftsküche des Packhauses zu. Ich sah sie herumhantieren, vernahm das Klirren von Küchenutensilien.

Eben noch konnte ich das aufgebrachte Knurren meines Wolfes unterdrücken. Schon vor langer, langer Zeit hatte ich aufgehört, mich über den bescheuerten Kosenamen zu beschweren. Ich würde immer ihr kleiner Neffe sein, egal, wie gross oder alt ich war. Oder welche Rangordnung ich im Rudel pflegte. Sie sah mich als ihr eigenes Jungen an. Und oh weh, Mütter sollte man nie wütend stimmen, das hatte ich scheisse noch mal tatsächlich gelernt. 

Darum hielt ich ausnahmsweise meinen Mund und setzte mich auf den Barstuhl, der beinahe zu klein für meine Grösse war. Ich lehnte über den Tisch und stützte mein Kopf in meine Hände, während ich ihr dabei zusah, wie sie in der Küche hin und herlief. Es war eine geräumige, helle Küche, die mit lieblicher Dekoration passend zum Herbst geschmückt war und sie in ein wahres Zuhause verwandelte. Zwar standen mir meine Haare zu Berg bei all diesem verfluchtem Firlefanz, aber ich akzeptierte es stillschweigend. Das mussten die Omegawölfe gewesen sein; ihre Art, um für das Rudel zu sorgen.

»Möchtest du eine heisse Schokolade? Weisst du noch, wie frühe?« schwelgte Rose in den Erinnerungen.

»Keine Schokolade, um Himmels willen.« grummelte ich und meine finstere Miene erntete ein helles Lachen. Ihre roten Haare flogen um ihren Kopf, als sie sich schwungvoll zu mir drehte und mich mit einem kecken Grinsen anguckte.

Die eine Hand in die Hüfte gestellt und einen Finger hoch erhoben, sagte sie tadelnd: »Früher hast du mich angebettelt, um dir eine zuzubereiten.«

Ich lehnte mich auf dem Hocker zurück und verschränkte meine Arme. »Da war ich scheiss elf Jahre alt.« brummte ich und tat als hätte sie meinen Stolz gekränkt, wenn in Wirklichkeit ich jeden noch so kleinen Spott hingenommen hätte, um die Frau, die mich mehr liebte, als es meine eigene Mutter getan hatte, zu einem Lächeln zu bringen.

»Nun ja, manche Dinge ändern sich eben nie.« Ihr Grinsen wurde wärmer und eine sanftere Seiter der sonst so taffen Soldatin schimmerte hervor. Rose hatte mir diese Seite von ihr nie verschwiegen, hatte nie mit ihrer hingebungsvollen Liebe und Zuneigung gespart, die für einen traumatisierten Elfjährigen doch so wichtig waren. Mit nichts als erschüttertem, dünnem Fell und Knochen hatte sie ihn am Rande des Packterritoriums gefunden – ausser sich vor Sorge, was ihrem Neffen zugestossen war, der über in Blut getunkt war. Seit da an hatte sie ihn bei sich aufgenommen, mit der Beharrlichkeit einer Soldatin dafür gekämpft, dass er wieder in seine menschliche Seite zurückfand und nicht die vollständige Kontrolle verlor. Es hatte einen ganzen Sonnenumlauf gebraucht, bis er sich endlich wandelte – schon damals war die Grenze der rohen Wildheit seines Wolfes zu verfallen, knapp gewesen. Heute war sie hauchdünn. Als Elfjähriger hatte sein Wolf die Führung übernehmen müssen. Er hatte begriffen, dass der Junge in ihm nicht dazu fähig war, allein zu überleben. Doch heute sah das anders aus. Heute wusste der Mann, dass sein Wolf immer wilder wurde. Heute wusste er, dass jede weitere Verwandlung ihn unaufhaltsam näher an diese Grenze brachte, die er nicht überschreiten durfte.

»Also, was darf es nun sein?«

»Nur ein Wasser, bin auf dem Sprung. Xenos hat eine Besprechung angeordnet.«

»So? Wegen der Insulanerin?« Rose Stirn wölbte sich besorgt. Es erstaunte mich nicht, dass sie von der Frau wusste. Rose stand weit oben in der Rangordnung. Ich nickte.

»Hier.« Sie reichte mir das stille Mineralwasser und setzte sich dann mit einer heissen Tasse Tee für sich selbst neben mich an die Barthecke. »Und wie geht es dir?«

B E A U | ✔️Where stories live. Discover now